Myanmar Ärger im neuen Billigmode-Boomland

Der Mindestlohn liegt in Myanmar bei 2,50 Euro – pro Tag. Ein Grund dafür, warum die Textilindustrie gerade boomt. Auch deutsche Konzerne lassen hier produzieren. Jetzt allerdings regt sich Protest.

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Näherinnen arbeiten in einer Halle der Textilfabrik Shweyi Zabe in Rangun. Myanmar hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Land für die billige Produktion von Kleidung entwickelt. Quelle: dpa

Rangun Auf dem Bogyoke-Markt von Myanmars ehemaliger Hauptstadt Rangun ist die Welt noch ziemlich in Ordnung. Außer Obst, Gewürzen und den üblichen Buddha-Souvenirs lassen sich dort auch T-Shirts kaufen – bedruckt mit einer der vielen Pagoden, die es im früheren Birma (oder Burma) gibt, oder auch mit dem Gesicht der international sehr geachteten Nobelpreisträgerin Aung Sang Suu Kyi. Alles „Made in Myanmar“, manches sogar bio zu 100 Prozent.

Eine Autostunde außerhalb von Rangun, wo keine Touristen hinkommen, sieht die Sache anders aus. Im Umland der 7,5-Millionen-Stadt haben sich in den letzten Jahren jede Menge neuer Textilfabriken angesiedelt. Dort wird Kleidung für den Weltmarkt produziert, zu Billiglöhnen und unter sehr fragwürdigen Bedingungen. Nach einer kürzlich veröffentlichten Studie gehört auch Kinderarbeit dazu.

Der südostasiatische Staat hat sich seit seiner Öffnung - das Militär gab einen Teil der Macht an Suu Kyi ab, die jetzt als „Staatsrätin“ de facto die Regierung führt – zum Boomland der Textilindustrie entwickelt. Mehr als 400 Fabriken gibt es inzwischen, mit 400.000 Arbeitern, fast alles Frauen. Weltmarken wie H&M und Adidas lassen dort produzieren, aber auch Aldi, Tchibo oder Jack Wolfskin.

Der Boom hat auch damit zu tun, dass der Ruf des Nachbarn Bangladesch arg gelitten hat. Beim Einsturz eines Gebäudes mit Textilfabriken kamen dort im April 2013 mehr als 1100 Menschen ums Leben. Aus Furcht ums eigene Image zogen internationale Unternehmen weiter, ins unbelastete Myanmar. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass manche Kunden in den Umkleidekabinen mittlerweile doch darauf achten, wo die Kleidungsstücke herkommen.

So wird Myanmars Bekleidungsindustrie das Geschäftsjahr 2016/17, das diesen Monat endet, mit einem Rekord beenden. Das Handelsministerium erwartet Exporte von mehr als 1,8 Milliarden US-Dollar (etwa 1,7 Milliarden Euro), ein Großteil davon nach Europa. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies ein Plus von mehr als 85 Prozent. Geht das so weiter, wird das Ziel von vier Milliarden Dollar bis 2020 locker erreicht.

Hinter vielen Fabriken steckt allerdings ausländisches Geld, aus China vor allem. Stoffe, Knöpfe und Reißverschlüsse werden importiert; in Myanmar wird dann nur noch geschnitten und genäht. Zum Plan, „Made in Myanmar“ zum Standard für eine „ethische und nachhaltige Produktion“ zu machen – wie es im Verhaltenskodex des nationalen Textilverbandes heißt -, passt das nicht.


2,50 Euro pro Tag

Vor allem aber gibt es inzwischen auch massive Kritik an den Arbeitsbedingungen. Die holländische Organisation SOMO veröffentlichte kürzlich eine Studie, für die mehr als 400 Arbeiter aus zwölf Fabriken befragt wurden. Demnach sind extrem niedrige Löhne und Überstunden die Regel, Kinderarbeit ist keine Ausnahme. Deutsche Zulieferer wurden in der Studie übrigens nicht erfasst.

In Myanmar liegt der gesetzliche Mindestlohn gerade einmal bei 3600 Kyat (umgerechnet etwa 2,50 Euro) – nicht pro Stunde, sondern pro Tag. Weil das auch hier nicht zum Leben reicht, müssen viele Überstunden machen. In Hlaing Tharya – einem der Vororte von Rangun, wo die Textilfabriken stehen - dauert der Arbeitstag für viele von 8.00 Uhr bis 22.00 Uhr. 14 Stunden, sechs Tage die Woche.

Auch Kinder arbeiten dort. Manche zeigen den Ausweis von erwachsenen Verwandten vor, um an den Job zu kommen. Bei Kontrollen ist es angeblich gängige Praxis, von den Vorgesetzten in die Küche oder auf die Toilette geschickt zu werden.

Mittlerweile kam es in mehreren Fabriken in Hlaing Tharya aber auch schon zu Protesten. Zum Zentrum hat sich die Firma Hundred-Tex entwickelt, ein chinesisches Unternehmen, das für H&M produziert. Hier schlugen Arbeiter im Zorn über Entlassungen und ausbleibende Gehälter Maschinen und Überwachungskameras kaputt. Die Produktion steht schon seit Wochen still.

Eine der protestierenden Frauen, Chit Su Wai, sagt: „Es tut mir leid, das wir Schaden angerichtet haben. Aber die schulden mir Geld.“ Der 23-Jährigen zufolge geht es um 20.000 Kyat. Umgerechnet sind das nicht einmal 14 Euro. Aber für sie ist das der Lohn von fünfeinhalb Tagen Arbeit.

Das Problem haben auch die internationalen Konzerne längst erkannt. Mehrfach wurden in Rangun nun schon „Ethik-Konferenzen“ organisiert. Adidas betont, dass die SOMO-Vorwürfe den Sportartikelhersteller nicht betreffen. „Der durchschnittliche Monatsverdienst der Angestellten in unseren Zulieferfabriken liegt mehr als doppelt so hoch wie der Mindestlohn“, sagt eine Sprecherin.

H&M verweist darauf, das sich alle Zulieferer in Myanmar zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns verpflichtet hätten. „Es ist von größter Wichtigkeit für uns, dass all unsere Produkte unter guten Arbeitsbedingungen hergestellt werden.“ Und Kinderarbeit sei „absolut unakzeptabel“.

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