Nahrungsergänzung Wie Ärzte uns Vitamin-Pillen unterjubeln sollen

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Die Arztpraxen werden zum Vertriebskanal

Die Arztpraxen werden so zum Vertriebskanal. In einer Umfrage der Verbraucherzentrale unter Patienten gab ein Drittel an, dass ihr Arzt ihnen schon mal Proben von Nahrungsergänzungsmitteln oder eines Vitaminpräparates angeboten habe. 17 Prozent kauften das Produkt daraufhin auch. Diese Umfrage sei nicht wissenschaftlich und repräsentativ, warnt der Herstellerverband Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). Doch ein ungutes Gefühl bleibt. Laut ihrer Berufsordnung dürfen Ärzte keine Waren an ihre Patienten austeilen. „Eine Arztpraxis darf kein Krämerladen für Gesundheitsprodukte sein“, kritisiert die Verbraucherzentrale. Die Industrie sieht das naturgemäß anders: „Die Bedeutung der Selbstmedikation wächst in allen Gesundheitssystemen“, sagt Gert Bendixen.

So viel zahlen Pharmakonzerne an Ärzte und Kliniken
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Zimt und Kakao zum Schnupfen

Und sie wächst mit jedem neuen Präparat, das auf den Markt kommt. So warten die Hersteller wieder auf den nächsten Trend. Das Vitamin B6 zum Beispiel, das dem Körper beim Abbau von Proteinen hilft. Ein B6-Mangel kann zu Hautentzündungen und sogar Nervenschäden führen. Allerdings tritt der äußerst selten auf, Langzeitalkoholiker sind eine Risikogruppe. „Wir glauben, dass die Zeit von Vitamin B6 noch kommen wird“, sagt Jan Kuskowski.

Es haben sich schon ganz andere Trends durchgesetzt. In den USA schnupfen die Leistungsbewussten im Land für den Energiekick nun Coco Loco, ein Kakaopulver mit Ginkgo und dem aus Energiedrinks bekannten Taurin. Auch Zimt hat die Branche schon zum Wundermittel gekürt: „Ein Beitrag zum gesunden Blutzuckerspiegel“, warb zum Beispiel das Unternehmen Truw aus Gütersloh für seinen Zimtextrakt. Die Wettbewerbszentrale klagte dagegen, das Landgericht Bielefeld untersagte dem Hersteller daraufhin solche Werbeaussagen. Truw legte Einspruch ein: Das Unternehmen will für die juristische Anerkennung seiner Forschungsergebnisse kämpfen. Die entsprechende wissenschaftliche Studie ist vier Seiten lang.

Wie isst Deutschland? Erkenntnisse aus dem Ernährungsreport

Die Partnerschaft der Industrie mit der Wissenschaft hat eine lange Tradition. Die Konzerne finanzieren Lehrstühle an deutschen Universitäten oder teilweise auch Institute. Auf Unabhängigkeit achten sie dabei selten. So sitzen im Vorstand der Gesellschaft für Vitaminforschung nicht nur Vertreter der Chemiekonzerne BASF und DSM, sondern auch der Pharmakonzern Pfizer und der Langenfelder Nahrungsergänzungshersteller Orthomol sind vertreten. Finanziert von den großen Herstellern, betreibt die Gesellschaft Forschung und Kongresse. Die Pressearbeit hat die Gesellschaft mittlerweile weitgehend eingestellt. 2010 teilte sie noch mit: „Vitamin-D-Mangel auch in den Sommermonaten weit verbreitet.“

Aktiver ist da die Gesellschaft zur Information über Vitalstoffe und Ernährung (GIVE). Auch zu ihren Mitgliedern zählen DSM und Pfizer, außerdem auch Queisser und der Mittelständler Merz. Wie die „Zeit“ aufdeckte, bezahlte das Institut 180.000 Euro im Jahr an eine PR-Agentur, damit diese den Einfluss von Vitaminen auf Schönheit und Leistungsfähigkeit in Magazinen und Zeitungen unterbringt.

Und das mit Erfolg. Seit Jahren wächst der Umsatz der Branche. Die Marketingmethoden wirken. Und das zeigt kein Beispiel besser als das von Gabi Steiner. Ende der Neunziger startete sie mit dem Verkauf von Lifeplus-Produkten, als absolute Quereinsteigerin. „Ich erkannte, dass dieser Marketingplan ohne Einstiegsgebühren wirklich für jeden machbar und duplizierbar ist!“, schreibt sie auf ihrer Homepage.

Selbst ihr Sohn Tim Steiner ist mittlerweile mit im Geschäft, in YouTube-Videos erklärt der selbsterklärte Sportfanatiker, wie auch junge Menschen als Verkäufer von Lifeplus wohlhabend werden können. Oder gesund und schön, ganz wie die Mutter: „Ich werde auch älter, aber auf Klassentreffen sieht man durchaus den Unterschied“, bekannte die in einem Interview. „Letztens wurde mir bei einem Check bestätigt, dass mein Herz für eine Frau ungewöhnlich stark ist.“

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