ÖBB statt DB Mit den Österreichern durch die Nacht

Das Ende einer Ära: Die Deutsche Bahn hat keine Schlaf- und Liegewagen mehr. Dafür versuchen es die Österreichischen Bundesbahnen mit neuen Strecken in Deutschland. Eine Fahrt im Nachtzug quer durch die Bundesrepublik.

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Derzeit fahren eine Millionen Menschen pro Jahr mit einem ÖBB-Nightjet. Quelle: dpa

Hamburg/München 21.15 Uhr, Hamburger Hauptbahnhof. Mit etwas Verspätung rollt der Nachtzug aus dem Bahnhof. Ziel: Innsbruck. In einem Abteil des Schlafwagens wurde das oberste von drei schmalen Betten bereits mit weißer Bettwäsche und einem flauschigen Kissen hergerichtet. Ein Willkommenspaket wartet auf den Bahnreisenden: Ein Fläschchen Prosecco, Saft und Wasser, dazu Pantoffeln und Handtücher versehen mit dem Schriftzug „Nightjet“.

Die Österreichische Bundesbahnen (ÖBB) bemühen sich um ihre neuen deutschen Kunden. Denn seit dem 11. Dezember steht der neue Fahrplan: Die Deutsche Bahn (DB) hat die City Night Line, ihre Züge mit Schlaf- und Liegewagen, komplett eingestellt – dafür hat die ÖBB zwei neue Nightjet-Verbindungen von Deutschland nach Österreich, eine in die Schweiz und drei nach Italien (hin und zurück) in Betrieb genommen. Verbindungen von Hamburg und Düsseldorf nach Wien gab es bereits.

Mit dem Angebot erhofft sich die ÖBB einen Schub für ihr Nachtzug-Geschäft. Bis 2020 erwartet sie nach eigenen Angaben zusätzlich 1,8 Millionen Fahrgäste. Derzeit fahren eine Millionen Menschen pro Jahr mit einem ÖBB-Nightjet. Mit dem vergrößerten Angebot ergeben sich für die ÖBB auch Synergien mit einigen der bestehenden ÖBB-Nachtverbindungen, wie der Konzern mitteilt – Züge werden etwa in Nürnberg zusammengeführt.

Der Deutschen Bahn bereiteten die Nachtzüge hingegen in letzter Zeit nur Ärger. Bei 90 Millionen Jahresumsatz machte die Bahn mit der City Night Line zuletzt 30 Millionen Euro Verlust, wie Bahn-Vorstandsmitglied Berthold Huber sagte.

Warum sollte es den Österreichern besser ergehen? „Die ÖBB glaubt an den Nachtzug“, sagt Bahn-Forscher Marco Bellmann von der Technischen Universität Dresden. Während es für die DB ein Nischengeschäft war, hat sich die ÖBB auf Nachtzüge spezialisiert. Etwa 17 Prozent ihres Umsatzes im Fernverkehr kommt aus der Nacht.

Rund 40 Millionen Euro will die ÖBB nach eigenen Angaben insgesamt in die Beschaffung von 42 Schlaf- und 15 Liegewagen der DB und den Umbau weiterer Wagen investieren. Betten sollen erneuert, das Innen- und Außendesign soll aufgepäppelt werden. Denn abgesehen von dem Willkommenspaket und dem Schriftzug „ÖBB“ an der Außenwand erinnert der Schlafwagen von Hamburg nach Innsbruck noch stark an den vorherigen Besitzer.


Keine Konkurrenz zum Billigflieger

Die ÖBB wirbt mit einem „erstklassigen Service für ausgeschlafene Kunden“ und günstigen Preisen. Doch ob so genug Reisende angelockt werden können, muss sich noch zeigen. Bellmann ist skeptisch: „Die bisherigen Betreiber wie die DB AG und die ÖBB kannten ihre Nachtzugkunden meines Erachtens nicht wirklich gut.“ Mit Hilfe einer Online-Umfrage erforscht er derzeit, wer der ideale Nachtzugkunde ist.

Mit Sparangeboten kommen Nachtzuganbieter aus seiner Sicht nicht gegen Billigairlines an. „Für ein erfolgreiches Konzept braucht man eine Dienstleistung, welche auf komfort- und zeitnutzungsorientierte Kunden abzielt und nicht auf diejenigen, die primär auf den Ticketpreis schauen.“

Kunden wie Kerstin Haßmann. Die 55-Jährige ist begeisterte Zugfahrerin. „Man kann sich langsam an sein Ziel rantasten“, erzählt sie. Haßmann macht es sich im obersten Bett im Abteil gemütlich. Sie ist auf dem Weg zurück nach München von einem Besuch bei ihrer Familie in Neumünster, nördlich von Hamburg. Mit einem Flug oder normalem Zug würde die Reise den halben Tag kosten, sagt sie - „wenn ich nachts fahre, kann ich meine Familie länger sehen“. Außerdem will sie ausgeruht ankommen, da sie am Folgetag gleich arbeiten muss. Mit Ohropax im Ohr kann sie im Nachtzug einigermaßen gut schlafen, sagt sie.

Aus Bellmanns Sicht wollen Nachtzug-Kunden vor allem Bequemlichkeit, Privatsphäre, Sauberkeit und Sicherheit - was günstige Fluglinien und Tagzugverbindungen meist nicht leisten können. „Das muss ein künftiger Anbieter erfüllen, um dauerhaften Erfolg zu haben“. Zudem müsse das Ziel ein transeuropäisches Netz sein, sagt Bellmann. „Momentan ist die ÖBB noch sehr stark auf Verbindungen von und nach Österreich fokussiert. Dadurch wird das vorhandene Marktpotenzial nicht annähernd ausgeschöpft.“

Der Bahn-Experte und ehemaliger DB-Mitarbeiter ist überzeugt, dass Nachtzüge weiter bestehen können. Allerdings in Form eines Hotels oder einer Kreuzfahrt auf Schienen.

Eine Stunde vor der Ankunft in München werden die Fahrgäste geweckt. Für Gäste in den Schlaf- und Liegewagen gibt es ein kostenloses Frühstück, Schlafwagen-Kunden können sogar à la carte wählen: Kaffee und Tee, Joghurt und Brötchen, Marmelade und Nutella. Auf einem Tisch in dem kleinen Abteil wird das Essen serviert. Für Haßmann ist das Frühstück ein Plus. Sie muss gleich als Bedienung in der Gastronomie den ganzen Tag auf den Beinen stehen. Zu spät kommt sie nicht: Pünktlich um 7 Uhr rollt der Zug im Münchner Hauptbahnhof ein.

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