Für gutes Olivenöl muss der Kunde Abschied nehmen. Abschied von romantischen Vorstellungen. Abschied vom Glauben an Etiketten. Abschied von der Überzeugung, Qualität ohne großes Lernen erschmecken zu können. Abschied von der Annahme, er könne für weniger als 10 Euro pro 0,5 Liter ein gutes Olivenöl kaufen. Gute Qualität hat ihren Preis. Gute Qualität ist selten. Sie zu erkennen ist Übungssache. Ist es trübe, wird es schneller schlecht. Und wenn es nicht im Hals kratzt, dann fehlt etwas. Aber was ist gutes Öl?
Die Stiftung Warentest hat in ihrer Februarausgabe 26 Olivenöle getestet. Einige von Discountern, andere aus dem Supermarkt. 13 davon erhielten die Note Mangelhaft. Ein "Sehr Gut" wurde nicht vergeben, gut war nur einziges. Es kam aus Spanien und kostet rund 40 Euro pro Liter. Einige Öle waren falsch deklariert, fielen in der sensorischen Prüfung durch oder enthielten gar Mineralöl - was in einem Falle beispielsweise der geschmacklichen Note aber gar keinen Abbruch tat. Andere Öle erhielten Abwertungen, die nicht mit der Qualität des Produktes in der Flasche zu tun hatten. Lesern bleibt ein genaues Studium der Bewertungstabellen nicht erspart.
Fragen zum Olivenöl
Weder an einem hohen Preis noch am Etikett - schreibt die Redaktion Merum in ihrem Dossier Olivenöl. Das Datum der Abfüllung gibt immerhin Aufschluss über die Frische, nicht jedoch das Haltbarkeitsdatum. Ist die Flasche geöffnet muss die Nase ran. Es riecht pflanzlich und frisch. "Grüne Aromen wie frisches Gras, Gartenkräuter, unreife (nicht eingelegte) Oliven, grüne Bananen, frisches Blattgemüse, Artischocken und - bei gewissen Sorten - grüne Tomaten oder Tomatenblätter deuten auf Verwendung von gesunden nicht überreifen Oliven und eine nicht oxidative Verarbeitung hin."
Ist das Öl gut hergestellt, dann sind viele Polyphenole erhalten. In einer frischen Olive sind etwa 50.000 Milligramm Antioxidantien in einem Kilo Oliven enthalten. In einem sehr guten Öl sind es nur noch 500 bis 900. Diese schmecken etwas bitter und vor allem scharf, das Kratzen im Hals ist ein Qualitätsmerkmal.
In deutschen Supermärkten wird fast ausschließlich "Extra Vergine" verkauft. Die Zeitschrift Merum schätzt, dass mehr als 95 Prozent aller Öle mit dem Zusatz "Extra Vergine" nicht tragen dürften, da sie im Geschmack Noten aufweisen, die von verletzten Oliven oder Fehlern in der Produktion rühren. "Vergine" heißt Öl, das aus nicht gesunden Oliven gewonnen wird oder aus einer nicht ganz perfekt arbeitenden Mühle stammt. Danach folgt in der Klassifizierung das Lampantöl, das aus verdorbenen und vom Boden aufgesammelten Früchten stammt. Es darf nicht direkt verkauft werden, sondern kann nur als "rektifiziertes", also industriell gesäubertes Öl verschnitten werden zu "Olivenöl - bestehend aus raffinierten Olivenölen und Nativen Olivenölen".
Es gehört nicht in den Kühlschrank, aber sollte trocken und dunkel lagern. Und dann möglichst sobald die nächste Ernte verfügbar ist, nachkaufen.
Ja. "Die Aussage, dass fürs Anbraten nur einfaches Olivenöl und kein Extra Vergine verwendet werden soll, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage" schreibt die Redaktion Merum im Dossier Olivenöl.
Nein. Frisch aus der Mühle ist es natürlicher. Dank der Schwebstoffe ist es jedoch weniger lange haltbar. Auch die Farbe des Öls ist kein Gradmesser für seine Qualität.
Andreas März ist Autor und schreibt in seiner Zeitschrift Merum seit Jahren über die Fallstricke der Olivenölproduktion. „Die meisten Öle sind schlecht“, zieht März Fazit aus seinen Recherchen, die er nun zum fünften Mal in seinem „Dossier Olivenöl“ veröffentlicht hat.
Die Ursachen sind vielfältig. Sie beginnen beim Produzenten, der oft mit hübscher aber überholter Technik und Methoden arbeitet und enden beim Verbraucher, der das Ideal der kleinen handwerklichen Betriebe herbeisehnt, wenn eine moderne Knetwerktechnik doch viel besser ist. Eines steht fest: Ein italienisches Olivenöl, das für unter 5 Euro der halbe Liter im Supermarkt verkauft wird, ist entweder nicht aus italienischen Oliven, kein „Natives Extra Vergine“, also der höchsten Qualitätsstufe oder sehr fehlerhaft.
Olivenöle in der Bewertung von Stiftung Warentest
Im vergangenen Jahr haben die Olivenölproduzenten nur halb so viel Olivenöl hergestellt wie im Vorjahr. Grund dafür waren der laue Winter und der verregnete Sommer – beide führten dazu, dass sich die Olivenfliege vermehrte und große Teile der Ernte unbrauchbar machte.
Sieben der untersuchten Olivenöle schmecken laut Stiftung Warentest „stichig, modrig, ranzig oder gar wurmstichig“. Sie erhielten allesamt eine mangelhafte Note in Bezug auf die sensorische Qualität.
Fünf Olivenöle wurden wegen Schadstoffen mit der Note mangelhaft versehen. Vier von ihnen sind mit Mineralöl-Kohlenwasserstoff vom Typ MOAH belastet – dieser gilt als möglicherweise krebserregend.
Für fünf untersuchte Olivenöle konnte die Laboranalyse die angegebene Herkunft nicht bestätigen. Laut Stiftung Warentest sind nicht einmal EU-Herkunftssiegel eine Garantie für die tatsächliche Herkunft.
Von den 26 getesteten Olivenölen ist keines so deklariert, wie es die Olivenölverordnung vorschreibt. Nur fünf Öle machen die drei Pflichtangaben, die im Hauptsichtfeld zu sehen sein müssten: „Natives Olivenöl extra“, „erste Güteklasse – direkt aus Oliven ausschließlich mit mechanischen Verfahren gewonnen“ sowie die jeweilige Herkunft. Lagerungshinweise fehlten bei drei Herstellern.
Das einzige Olivenöl, das mit der Note "gut" abschnitt, ist "O-Med Picual". Das spanische Öl kostet allerdings auch stolze 40 Euro pro Liter.
Die Zeitschrift „Der Feinschmecker“ testet jährlich für ihren Olivenöltest rund 700 Öle in der Endrunde seines Olio Awards. Sie hat den Rechenschieber bemüht und ausgerechnet, dass ein Olivenöl aus italienischen Oliven, das in Italien sachgerecht verarbeitet wird einen „Endpreis zwischen acht und zwölf Euro pro Halbliterflasche“ kosten muss. Die Kosten setzen sich aus Pflege des Hains, Mitarbeiter, Transportkosten, Abfüllen, Etiketten zusammen, die am Ausgang einer Ölmühle sich bei etwa acht Liter zusammenrechnen. Erst danach kommen die Aufschläge für den Handel dazu.
Oft sind es ausgerechnet die Produzenten, die dem im Weg stehen. „Der Bauer ist überzeugt, sein Öl sei gut, weil er seine Olivenbäume ein Jahr lang gepflegt hat und glaubt, sein ehrlicher Schweiß allein sei Garantie für Qualität“, sagt März. Conrad Bölicke versucht mit seinem Unternehmen Artefakt seit 18 Jahren Produzenten dazu zu bringen, weiter zu denken. „Qualität beginnt im Kopf“, sagt Bölicke, der die Ernte seiner Olivenbauern vollständig vermarktet, Geld für Investitionen in Technik bereitstellt und in Schulungen die Olivenbauern mit dem nötigen Know-How ausstattet. Die meisten Öle werden in kleinbäuerlichen Strukturen produziert.
Zum einen fehlt das Geld, seine Produktion an moderne Standards anzupassen. Zum anderen ist gerade in dieser Klientel Veränderung das größte Problem. Die Tradition der Herstellung wird hoch gehalten. Was früher gut war, kann heute nicht schlecht sein. Ist es aber für die Olive. Die wunderbaren Fotos von großen Steinmühlen, die gemächlich durch den Brei aus Oliven rollen, mögen die romantische Sucht des Großstädters nach heilem Leben auf dem Land und handwerklicher Produktion befriedigen. Gutes Öl mit wenig Fehlern wird anders hergestellt.
Qualität kommt aus Übersee
Die Qualität der Früchte könne in Minutenschnelle in einer herkömmlichen Ölmühle ruiniert werden, sagt März. Oliven müssten unmittelbar nach der Ernte möglichst unverletzt rasch weiterverarbeitet werden und Anlagen, die möglichst wenig Sauerstoff an die Oliven lassen, verhinderten ungewünschte Prozesse, die sich in Fehlnoten wie Kakao, Essig oder Fußschweiß äußerten.
Moderne Anlagen kosten jedoch Geld. Die Familie Jordan aus Solingen hat betreibt seit 1989 eine Olivenölproduktion in Griechenland und vermarktet unter dem eigenen Namen das Öl. Das Unternehmen betreibt auf Lesbos eine Ölmühle nach neuestem Standard. Hier wird das Öl im sogenannten "Kaltextraktionsverfahren" gewonnen, bei dem die Oliven in einem geschlossenen und weitestgehend vor Luft geschützten Kreislauf verarbeitet werden. Gepresst werden die Oliven im klassischen Sinne nicht. Jordan vermarktet das Öl unter der eigenen Marke für rund 17 Euro den Liter. Die Marke steht über der Herkunft.
Denn besser verkaufen lässt sich immer noch der Zusatz „Italienisches“ Olivenöl. „Die Kosten für die Mitarbeiter sind in Italien jedoch höher“, sagt Conrad Bölicke. Preise zwischen 2,30 bis 2,80 pro Kilogramm Oliven wären in Italien üblich, in Griechenland lägen sie bei 1,80 bis 2,25. Italienisches Öl, zumal mit dem Zusatz der Herkunft aus Ligurien oder Toskana ist besonders beliebt. Gleich bei fünf Ölen ermittelte Stiftung Warentest, dass die Öle nicht aus dem Land stammten, das auf dem Etikett angegeben war.
Der Autor Tom Hillenbrand schildert in seinem Buch „Tödliche Oliven“ die Problematik der Begeisterung für italienische Oliven. Es wird weit mehr verbraucht, als das Land produziert. „Die Panscherei ist zu 90 Prozent ein italienisches Problem“, sagt Hillenbrand, der für die Fälle seines Kommissars Kieffer die Hintergründe der Olivenöl-Produktion recherchiert hat. „Es ist Teil der noch größeren Lebensmittelbetrugs-Industrie“.
Selbst wenn sie nicht illegal handelt – Olivenöl ist selbst dann ein industrialisiertes Produkt von großen Konzernen, wenn das Gebinde und das Etikett die romantische Welt Italiens beschwört. Das beliebteste Olivenöl in den USA ist die Marke Filippo Berio, an dessen Mutterkonzern Salov wiederum der staatseigene chinesische Lebensmittelkonzern Bright Foods die Mehrheit hält. Die in Deutschland bekannte Marke Bertolli gehört inzwischen zum spanischen Weltmarktführer deOleo mit einem Marktanteil von 22 Prozent.
Den Produzenten, die es zu einem Teil nicht besser wissen, die es zum anderen Teil nicht anders wollen, den Händlern, die daran verdienen wollen, spielt in die Hände, dass die Bewertung von Olivenöl sehr schwierig ist. „Am verheerendsten ist, dass die professionellen Verkoster sich untereinander nicht einig sind und auf sie somit kein Verlass ist“, sagt Andreas März. Er fordert nicht nur eine Abschaffung des Klassifizierungssystems hin zu lediglich den zwei Bezeichnungen „Olivenöl“ und „rektifiziertes Lampantöl“, sondern auch die Abschaffung von offiziellen Panels. „Tatsächlich lässt der Gesetzgeber die Panels mit der undankbaren Aufgabe der Qualitätsprüfung völlig allein“, sagt März. Er schlägt vor, wichtige Parameter wie zum Beispiel Fehlaromen mittels elektronischer Nasen ermitteln zu lassen. So könnten fehlerhaft Öle aussortieren, bevor sie die menschlichen Tester beurteilen.
Qualitätscheck mal mit modernem Know-How
Das Problem liegt in der Vielfalt der Fehltöne. So sei der Geruch von schwarzen Johannisbeeren beispielsweise ein Zeichen für einen Fehler einer einzelnen Sorte in Spanien. „Niemand kann mit Sicherheit sagen, wo im Feinbereich die Grenze zwischen Frucht und Fehlaromen liegt. Es sind gerade die Verkoster mit den empfindlichsten Nasen, die an ihrer Aufgabe verzweifeln.“ sagt März. Autor Hillenbrand hat trotz Leidenschaft für das Thema und zahlreichen Proben „gar keine Lösung“. Es sei ein ständiges Suchen. „Es gibt Anhaltspunkte, aber es ist schwierig.“
Das weiß auch Conrad Bölicke, der mit Artefakt in langjähriger Arbeit vor allem vom Vertrauen lebt, das die Käufer in das Unternehmen stecken. Dem Kunden bleibt im Supermarkt und selbst im Feinkosthandel kaum eine Wahl. Er kann nur hoffen, dass das, was drauf steht auch drin ist und zumindest auf das Abfülldatum statt des Haltbarkeitsdatums achten. Denn selbst wenn das Öl noch lange nicht um ist, sind seine Aromen doch viel flüchtiger und nach wenigen Monaten fort.
Sich selber zu schulen, hält Andreas März für Kunden unabdingbar. Nur wer die Bandbreite kennt von Öl, das aus tage- und wochenlang gelagerten, fauligen Oliven gewonnen wird, bis zu topfrischem Öl aus unversehrten, rasch und kühl verarbeiteten Oliven, wird einen Anhaltspunkt haben, wenn er selber ein Urteil treffen möchte. Und landet vielleicht weit weg von Italien.
Denn wer sich von seinen Erwartungen verabschieden kann, der schwenkt seinen Blick vielleicht sogar gleich nach Übersee. Dort sind überlieferte Riten und Vorstellungen, wie etwas zu sein habe, kein Thema, weil es keine Tradition der Herstellung von Olivenöl gibt. Moderne Analysetechniken und Verfahren in der Ölmühle sind dort üblich. „Das tragische ist, dass aus der neuen Welt Qualität kommt, die Europa abhängt“, sagt Conrad Bölicke. Tragisch, weil lediglich ein höheres Einkommen der Olivenbauern und der Mühlen den Produzenten die Chance gäbe, die Qualität zu produzieren, zu der sie in der Lage wären.