Kein Flagship-Gedöns. Kein Shopping-Chichi. Kein „Schrei vor Glück“. Die ehemalige Fabrik in Berlin-Kreuzberg versprüht den rustikalen Charme eines Warenlagers. In robusten Holzregalen stapeln sich Schuhe, Hosen hängen dicht an dicht. Hier zählt allein die Magie des Rotstifts: Marco-Polo-Shorts gibt’s für 9,95 statt 19,95 Euro, Bench-Jacken kosten 69,95 statt 159,95 Euro.
In dem Outlet verramscht der Online-Händler Zalando seine Ladenhüter, offenbar mit Erfolg. Im Frühjahr öffnet ein zweiter Alles-muss-raus-Shop in einer ehemaligen Kaufhof-Filiale in Frankfurt. Warenhaus weicht Web-Ableger – ausgerechnet Zalando, die Marke, die wie keine zweite zum Symbol geworden ist für den harten Umbruch in der Modebranche, nutzt das stationäre Geschäft als Resterampe.
Milliardenumsätze fließen von Boutiquen und Handelsketten ins Netz ab. Zalando zählt zu den größten Treibern und Gewinnern der Entwicklung. Aus dem Nichts sind die Berliner binnen fünf Jahren zu Europas größtem Online-Fashionhändler aufgestiegen und werden von Internet-Euphorikern und Investoren als eine der großen Online-Erfolgsstorys bejubelt: ein deutscher E-Commerce-Gigant, der in einer Liga mit Amazon und Ebay spielt.
Wettbewerber geraten in Wallung
Seit Zalando Anfang Dezember zu einer Aktiengesellschaft umfirmierte, zeichnet sich der nächste große Schritt ab: der Börsengang. Ende 2014, spätestens Anfang 2015 könnte die Z-Aktie starten, heißt es in Finanzkreisen. Schon operieren Analysten mit teils schwindelerregenden Zahlen und taxieren den Zalando-Wert auf mehr als fünf Milliarden Euro.
Angesichts solcher Dimensionen geraten Wettbewerber in Wallung: Umsatzschübe schön und gut, am Ende muss der Verkauf von Blusen, BHs und Ballerinas aber auch Geld einbringen. Doch daran hapert es. Seit der Gründung 2008 ziert allein die Trendfarbe Rot die Bilanzen. Das Ganze funktioniere nur, solange Investoren bereit seien, Rückschick-Orgien, Werbewahn und ungehemmte Expansion zu alimentieren, lautet die Dauerkritik der Zalando-Zweifler.
Modemärchen oder Fashion-Flop – was taugt Zalando wirklich? In den kommenden Monaten entscheiden Investoren und Gründer, Wettbewerber und Kunden über den Ausgang der größten Internet-Wette Deutschlands. Das Casting fürs Börsenparkett hat begonnen – wenn auch mit verstolpertem Start.
2013 ist der Verlust auf 100 Millionen Euro gestiegen. Wichtiger noch: Der Umsatz ist nur um 52 Prozent auf 1,76 Milliarden Euro geklettert. An sich ein beeindruckender Wert, doch die Branche hatte rund zwei Milliarden erwartet.
Mehrere Tausend Bestellungen pro Tag
Mit einem fliptop.de getauften Shop für Freizeit-Schlappen starteten die Studienfreunde Robert Gentz und David Schneider Mitte 2008 ins Schuhgeschäft. Vorbild war der US-Anbieter Zappos, der später von Amazon übernommen wurde. Anfangs ließen sich die Gründer noch jede neue Bestellung aufs Handy weiterleiten, um sich rund 15 Mal am Tag am Klang des Erfolgs zu erfreuen. Wenige Monate später legten Gentz und Schneider mit dem eigentlichen Zalando-Shop los und schalteten ihre Telefon-Weiterleitung schnell wieder ab – zu groß war der Andrang.
Heute würden ihre Smartphones mehrere Tausend Mal am Tag klingeln. Rund 15 Millionen Zalando-Kunden in 15 Ländern können aus 150.000 Artikeln wählen, darunter auch Kleidung, Accessoires sowie Heimtextilien wie Bettwäsche und Gardinen. Die Sturm-und-Drang-Ära mit ungestümer Expansion scheint vorüber. Jetzt steht das Upgrade zum Konzern an.
Nur im deutschsprachigen Raum schwarze Zahlen
Für Gentz, Schneider und den 2010 dazugestoßenen Vorstand Rubin Ritter, der wie die beiden Gründer an der WHU Vallendar studiert hat, eine Gratwanderung: Sie müssen Konzernstrukturen schaffen, die Start-up-Wendigkeit erhalten, alle Bedenken zerstreuen, dass der Siegeszug der Verkaufsmaschine ins Stocken gerät und Zalando in Richtung Gewinnzone treiben.
Bisher schreibt nur die Region Deutschland/Österreich/Schweiz schwarze Zahlen. Insgesamt verliert das Unternehmen Geld. Dass Umsatz und Verlust 2013 fast im Gleichschritt gestiegen sind, dürfte Finanzexperten wenig begeistern.
Ein Blick auf den Online-Shop verrät den Grund: „Sale Endspurt“ verheißt ein roter Button auf der Startseite und wirbt mit Preisnachlässen „bis zu 70%“. Der Kundenschwund infolge widriger Witterungsbedingungen habe Rabattschlachten im Textilhandel entfacht, heißt es im Zalando- Umfeld. Zudem schlagen Anlaufkosten für neue Logistikstandorte ins Kontor.
Doch Investoren sind derlei Argumente im Zweifel egal. Sie wollen vor einem Börsengang sehen, dass Gewinne zumindest in Reichweite rücken. „Die Chefs müssen Zalando auf Profitabilität trimmen“, bringt es ein früherer Manager auf den Punkt.
Wenig Sparpotenzial
Als Mittel der Wahl gilt ein Mix aus Kostensenkungen und Skalierung, sprich: Mit jedem zusätzlichen Euro sollen die relativen Kosten für Logistik und IT-Struktur sinken. Zudem dürfte das Management den Ausbau margenstarker Eigenmarken vorantreiben. Rund ein Dutzend Eigenkreationen wie die Schuhmarke Zign und das Kleiderlabel Kiomi gibt es schon.
Das wirkliche Sparpotenzial ist indes überschaubar. Auf den Markteintritt in neuen Ländern wird die Führungscrew wohl vorerst verzichten. Unrentable Projekte wurden bereits Ende 2013 eingestampft. So wurde beschlossen, den Luxusmodeableger Emeza einzumotten. Das Anpacken der wirklich großen Kostenblöcke, etwa für Retouren und Marketing, gilt als wesentlich gefährlicher. Denn fällt das Kostenregiment zu rigide aus, schrumpfen die Wachstumsraten wie Wollpullis in der 90-Grad-Wäsche.
Zalando auf einen Blick
Die Berliner Robert Gentz und David Schneider starteten im Oktober 2008 mit dem kleinen Online-Schuhshop Zalando. Ihr Büro diente als Warenlager, der Service lief über ihre Mobiltelefone.
Zu den Investoren zählen die Tengelmann-Gruppe (6 Prozent), der Facebook-Investor Digital Sky Technologies DST (9 Prozent), Holtzbrinck Ventures (8 Prozent) sowie die Samwer-Brüder Marc, Oliver und Alexander über ihren Berliner Startup-Entwickler Rocket Internet und European Funders Fund (17%). Die schwedische Investment AB Kinnevik hat mehrfach aufgestockt und hält mittlerweile 36 Prozent an Zalando direkt und indirekt via Rocket Internet. Damit sind die Schweden die größten Gesellschafter des E-Commerce Unternehmens. Im August 2013 stieg die Mode-Gruppe Bestseller von Anders Holch Povlsen mit 10 Prozent ein. Er kaufte u.a. Holtzbrinck und Tengelmann Anteile ab. Weitere Investoren wie der russischen Dotcom-Finanziers Yuri Milner halten insgesamt zusammen 13,5 Prozent.
Zalando expandierte in den vergangenen vier Jahren extrem schnell und aggressiv in ganz Europa und ist mittlerweile in 15 Ländern aktiv. Dafür setzte das Unternehmen große Summen für das Marketing, vor allem TV-Spots ein. Das Marktforschungsunternehmen Nielsen berechnete die Ausgaben für die Spots im Jahr 2011 allein in Deutschland auf 90 Millionen Euro. Der Bekanntheitsgrad der Marke Zalando liegt in der werberelevanten Zielgruppe bei 95 Prozent. In Frankreich kennt den Online-Händler nach einem Jahr am Markt bereits jeder Zweie.
Laut Bundesanzeiger wies Zalando für 2009 einen Fehlbetrag von 1,6 Millionen aus. 2010 waren es 20,4 Millionen. Der Umsatz lag 2010 bei 150 Millionen Euro. 2011 waren es bereits 510 Millionen Euro, 2012 hat Zalando die Milliarden-Marke mit 1,15 Milliarden Euro Nettoumsatz geknackt und den Vorjahresumsatz verdoppelt. 2013 kletterte der Umsatz um 52 Prozent auf 1,76 Milliarden Euro. Dabei steht aber ein Rekordverlust von 100 Millionen Euro in den Büchern.
Zalando beschäftigt aktuell mehr als 1200 Mitarbeiter. In Berlin entsteht ein neuer Bürokomplex mit 20.000 Quadratmetern für mehrere hundert Mitarbeiter. Ab Sommer 2013 sollen weitere Büroflächen in Berlin Mitte angemietet werden. In Erfurt eröffnet Anfang Dezember das erste eigene Logistikzentrum, mit dem Bau eines weiteren hat der Online-Händler in Mönchengladbach begonnen, hier sollen bis zu 1000 Beschäftigte arbeiten.
Wie empfindlich Investoren selbst auf vage Anzeichen einer Wachstumsdelle reagieren, hat das Telekomkonglomerat Kinnevik bereits im Vorfeld der Zalando-Zahlen zu spüren bekommen. Die Schweden halten 36,5 Prozent der Anteile und sind der größte Aktionär noch vor den Investorenbrüdern Samwer (siehe Kurztextgalerie).
Eine große Wette
Nachdem kürzlich Daten eines Internet-Marktforschers bekannt wurden, wonach die Zahl der Zalando-Shopbesucher im Dezember nur noch 26,4 Prozent über dem Vorjahreswert lag, brach der Aktienkurs von Kinnevik ein. Kurz zuvor war Mia Brunnel Livfors, langjährige Konzernlenkerin und Chefkontrolleurin von Zalando, zurückgetreten. Wie wichtig die Berliner sind, zeigt die Nachfolge: Cristina Stenbeck, Vertreterin einer Kinnevik-Großaktionärsfamilie und Verwaltungsratschefin, soll dem Vernehmen nach den Zalando-Aufsichtsratsvorsitz übernehmen.
Stenbeck ist eine der reichsten Schwedinnen. Die heute 36-Jährige nahm angeblich schon als 14-Jährige an ihrer ersten Besprechung im väterlichen Unternehmen teil, lebte lange in New York und ist maßgeblich für die Online-Ausrichtung von Kinnevik verantwortlich. Zalando ist auch für sie die größte Wette.
Dem Wachstum sollen Gewinne folgen
So soll Kinnevik das komplette Unternehmen zuletzt mit rund vier Milliarden Euro bewertet haben, deutlich mehr als die Modemarken Esprit und Tom Tailor an der Börse zusammen wert sind.
Anhängern klassischer Kennziffern mag das utopisch vorkommen. Doch im Vergleich zu mancher Analystenschätzung erinnert die Kinnevik’sche Zalando-Bewertung eher an den Preisabstand zwischen KiK und Gucci.
Die Investmentbank Goldman Sachs durchleuchtete im Januar das Portfolio der Schweden samt Zalando-Paket. Der Gesamtwert des Online-Shops lässt sich danach auf 11,9 Milliarden Euro hochrechnen. In einem perfekten Umfeld – dem „blue sky“-Szenario – seien sogar 15 Milliarden Euro drin.
Andere Analysten sind mit rund fünf Milliarden Euro weit vorsichtiger. Sie kalkulieren dabei eine kräftige Abschwächung des Wachstumstempos ein. Schon 2014 könnten die Zuwachsraten auf 20 Prozent fallen und danach sukzessive weiter absacken. 2017 würde Zalando dann rund 3,35 Milliarden Euro Umsatz erzielen und 3,6 Prozent Marge erwirtschaften, schätzt der Experte einer Schweizer Großbank.
Zalando als Meisterstück
Unter diesen Annahmen liegen selbst die gekappten Milliardenbewertungen fernab jeder fundamentalen Basis. Doch darum geht es auch nicht. „Die Bewertung von Zalando wird Resultat des Marktumfeldes und Umsatzwachstums sein“, sagt Marco Rodzynek, Gründer der Finanzierungsberatung Noah Advisors in London. Zalando sei eine „Wette darauf, dass dem hohen Wachstum dereinst üppige Gewinne folgen“.
Im November veranstaltete Rodzynek eine Konferenz für Online-Unternehmer und Investoren in London. Stargast: Oliver Samwer, der mit seinen Brüdern Marc und Alexander vom Start weg auf Zalando gesetzt hat. Die Brüder zählen zu den bekanntesten und umstrittensten deutschen Online-Unternehmern. Sie haben sich auf den fabrikmäßigen Auf- und Ausbau von Internet-Firmen samt anschließendem Weiterverkauf spezialisiert. Mit dem Ebay-Pendant Alando ging es los, der Klingeltonanbieter Jamba und das soziale Netzwerk StudiVZ folgten. Zalando soll nun ihr Meisterstück werden.
Gezeitenwandel
Auf dem Podium in London saß Moderator Rodzynek: grauer Anzug, Krawatte, nach hinten gegeltes Haar – klassischer Finanz-Style. Nur die knallgrüne Uhr am Handgelenk passte nicht ins Schema. Oliver Samwer trug zur Feier des Tages ein blaues Hemd unterm schwarzen Pullover nebst verstrubbelter Out-of-Bed-Frisur – Entrepreneurs-Look. Das Internet verändere die Gesellschaft ähnlich tief greifend wie die Erfindung der Dampfmaschine, philosophierte Samwer. Der klassische Handel werde Milliardensummen in Richtung Online verlieren. Für Investoren täten sich damit Chancen wie zur Zeit des großen Goldrauschs auf. Denn der Markt, der derzeit neu verteilt werde, sei schlicht gigantisch groß, „it’s bloody big enough“.
Tatsächlich vollzieht sich ein Gezeitenwandel – die Massenabwanderung der Kunden ins Netz. Selbst Schwergewichte müssen kämpfen. So verhandelt der Schuhfilialist Ludwig Görtz mit Investoren über eine Übernahme. Der Outdoor-Händler Globetrotter streicht Stellen, und das Modelabel Strenesse ringt mit den Gläubigern.
Die Marktverschiebungen spüren auch die Hersteller. Erst im Juli hatte sich die Nobelmarke Boss lautstark von Zalando verabschiedet. Umfeld wie schriller Auftritt passten „nicht zum Premiumanspruch unserer Marke Boss“, hieß es damals. Inzwischen ist der Tonfall deutlich freundlicher. „Zalando ist für uns ein durchaus wichtiger Partner“, teilt das Unternehmen mit. Gemeinsam würde geprüft, „wie wir unsere Marken zukünftig präsentieren und welche Marken dafür infrage kommen“.
Zalando und Amazon entscheiden
Die traditionsreiche Schuhmarke Peter Kaiser aus Pirmasens hat jüngst eine Schuhbörse aufgebaut, über die alle Bestellungen, die im eigenen Online-Shop eingehen, zur Abwicklung an einen stationären Händler in der Nähe des Kunden weitergeleitet werden. „Trotz solcher Ansätze ist uns aber klar, dass Zalando und Amazon die entscheidenden Online-Player sind“, sagt Geschäftsführer Marcus Ewig. „Dem Sog kann sich kaum ein Hersteller mehr entziehen, der nicht die eigene Zukunft riskieren will.“
„Das Konsumverhalten der Kunden hat sich dramatisch verändert“, bilanziert auch Otto Christian Lindemann, Handelsexperte der Beratungsgesellschaft Ebner Stolz. „Zalando hat diesen Trend genutzt und durch Werbung und eine optimierte Bestellabwicklung noch verstärkt.“
"Schrei vor Glück"
Anfangs sorgte das Unternehmen mit einer Flut an TV-Spots dafür, dass die überwiegend junge und weibliche Kundschaft überhaupt auf den Gedanken verfiel, Schuhe im Internet zu ordern.
Inzwischen hat sich der Werbeslogan „Schrei vor Glück“ ins Gedächtnis gebrannt. 95 Prozent aller Deutschen kennen die Marke. Die volle Werbewucht spielt das Unternehmen allerdings im Netz aus. „Kein anderer Modeanbieter ist bei Google ähnlich präsent wie Zalando“, sagt Wolfgang Thomas, Chef der Hamburger Online-Agentur NetzwerkReklame.
Für die WirtschaftsWoche hat der Experte das Online-Marketing der großen Modeshops in Deutschland verglichen. Resultat: Das Web-Aufgebot von Zalando lässt selbst das millionenschwere Engagement von Fashion-Giganten aussehen wie die Handzettelkampagnen örtlicher Nähstübchen. Der sogenannte Sistrix-Wert, ein Maßstab für die Sichtbarkeit einer Web-Seite bei Google, erreicht bei Zalando 154 Punkte, Hennes&Mauritz (H&M) folgt auf Platz zwei mit 10,6 Punkten.
Optimiert für die Google-Suche
Der Abstand ist gewaltig und bedeutet, dass ein Kunde, der bei Google nach Neuware für den Kleiderschrank fahndet, an den Berlinern kaum vorbeikommt. „Jedes einzelne Produktangebot ist für die Google-Suche optimiert, zudem gibt es extrem viele Links von anderen Internet-Seiten auf Zalando“, sagt Thomas. Als noch entscheidender, um Interessenten auf die Seite zu lotsen, gelten sogenannte AdWords. Sucht ein Google-Nutzer etwa nach „Adidas Bikini“ oder „Stiefeletten Größe 39“ erscheinen im Umfeld der Trefferliste Werbeanzeigen von Anbietern, die das Gewünschte liefern. Bei Mode ist fast immer Zalando dabei.
Insgesamt an die 129 000 Suchbegriffe soll der Berliner Großversender direkt bei Google geschaltet haben, H&M kommt nur auf 4700, C&A auf 2300 AdWords. Die Stichwörter versteigert Google an die Meistbietenden. Sobald ein Nutzer auf die Werbung klickt, wird ein Betrag fällig, der je nach Attraktivität des Suchworts von wenigen Cent bis zu mehr als 1,50 Euro pro Seitenabruf reicht. Dafür ist egal, ob die Kunden dann wirklich Bikinis oder Stiefeletten shoppen. Doch Zalando tut alles dafür, dass aus dem Klick auch ein Geschäft wird, und setzt dabei vor allem auf Technik.
Meister im Produkt-Stalking
Rund 400 IT- und Technologieexperten steuern im Hintergrund die Systeme aus, bestücken Apps und Mobilversionen des Shops mit neuen Funktionen. Selbst wenn ein Kunde allem Technikschnickschnack zum Trotz den Kaufprozess abbricht, bleibt ihm Zalando auf den Fersen. Wer bei dem Online-Händler etwa den Dreierpack Boss-Unterhosen für 39,95 Euro inspiziert, muss damit rechnen, dass ihn fortan auch zig andere populäre Web-Seiten auf ihren Werbeplatzhaltern mit Zalando-Reklame für die Marken-Buxen malträtieren. Ein Klick auf den Button führt direkt zum Shop.
Der Fachbegriff für derlei Produkt-Stalking lautet dynamisches Retargeting, und Zalando hat es darin zur Meisterschaft gebracht. Die stete Erinnerung an den Wunschartikel, so das Kalkül, befördert den Kaufabschluss. „Die Schattenseite ist, dass sich viele Nutzer durch den hohen Werbedruck verfolgt und belästigt fühlen“, warnt Experte Thomas. Zudem verschlingt der Werbeeinsatz Unsummen: Auf 315 Millionen Euro schätzt ein Analyst Zalandos Marketingetat für 2013.
Noch teurer sind nur die Retouren. Dass das Unternehmen ein Problem hat, steht spätestens seit Schlagzeilen über Zalando-Partys fest. Bei derlei Ausschweifungen sollen Teenager haufenweise Klamotten ordern, um sich am gemeinschaftlichen Auftakeln zu erfreuen – und die Fummel hernach wieder loszuwerden. Gratis, versteht sich.
Die Hälfte der Bestellungen gehen zurück
Das Gros der Retouren ist jedoch die Folge von Auswahlbestellungen: Kunden machen ihr Wohnzimmer zur Umkleidekabine, bestellen die gleiche Hose in drei Größen und schicken zurück, was nicht passt. Europaweit rund die Hälfte aller Bestellungen landet laut Zalando wieder beim Absender. In Deutschland dürfte die Retourenquote noch deutlich höher liegen. Die Kosten dafür seien im Geschäftsmodell einkalkuliert, heißt es bei Zalando.
Klar, dass die Samwer-Brüder das ähnlich sehen. Für sie könnte sich ihr Zalando-Einsatz als Milliardengeschäft entpuppen. Und so trommeln sie lautstark für die These von der neuen Kleiderordnung. In einer Präsentation für potenzielle Geldgeber, die 2013 die Runde machte, vergleichen die Samwers Zalando schon mal mit dem weltgrößten Modeimperium Zara aus Spanien.
Doch hat das Unternehmen wirklich das Zeug zur globalen Modemacht? Der Abstand zu den Regenten der Einkaufsstraßen ist nach wie vor gewaltig.
Das Frühjahr wird zum Retrofest: „Patchworkjacken und Hosen aus Wildleder im Stil der 80er treffen auf Volantblusen mit Fransen, Beuteltaschen und zarte Kleider aus Baumwollvoile im Hippie-Stil der 60er“, weiß das Magazin „Glamour“ über die Frühjahrskollektion von H&M zu berichten. Normalerweise werden die Kreationen der schwedischen Designer auch zum Kassenschlager. 14,6 Milliarden Euro Umsatz hat der Verkauf von Shirts, Shorts und Schuhen in 53 Ländern H&M 2013 beschert. Voraussichtlich mehr als 16 Milliarden Euro flossen 2013 in die Kassen des spanischen Zara-Mutterkonzerns Inditex. Der Multi betreibt mehr als 6000 Filialen in 86 Ländern.
Weltweite Expansion schwer vorstellbar
Zwar ist Zalando bereits in 15 europäischen Ländern präsent und beschäftigt mehr als 4000 Mitarbeiter. Doch eine wirklich weltweite Expansion ist langfristig nur schwer vorstellbar.
Denn neben Zalando haben die Samwers bereits rund um den Erdball separate Online-Boutiquen nach deutscher Bauart hochgezogen. Selbst in Nigeria, Pakistan oder auf der Arabischen Halbinsel können sich Kundinnen mit High Heels, Bikinis und überraschend knappen Tops eindecken (siehe Karte). Die Portale weichen mitunter nur in Nuancen von Zalando ab, andere orientieren sich stärker an Amazon, haben aber ebenfalls Mode im Programm.
Die Expeditionskorps gehören nicht zu Zalando, werden aber primär ebenfalls von den Samwers und Kinnevik finanziert. Einige der Shops stellen bereits die Zuwachsraten des deutschen Vorbilds in den Schatten. So werden auch die russische und die brasilianischen Online-Formationen der Samwers als Börsenaspiranten gehandelt.
Trend zum Online-Einkauf ist ungebrochen
Dass die Beteiligten große Neigung verspüren, sich mit einem Markteintritt von Zalando zusätzliche Konkurrenz zu machen, darf bezweifelt werden. Die Expansion in etliche attraktive Regionen, in denen der Trend zum E-Commerce zusätzlich durch kräftiges Wirtschaftswachstum gehebelt wird, scheint für Zalando damit tabu. In den USA und China ist der Markteintritt zu kostspielig, auch die Türkei wurde schon verworfen. So bleibt mittelfristig allenfalls eine Expansion nach Osteuropa.
Auf dem Kernmarkt Deutschland wächst derweil der Druck. Der Trend zum Online-Einkauf ist ungebrochen, doch die Zahl der Konkurrenten steigt. Stationäre Händler und Markenhersteller rüsten ihre Internet-Präsenzen langsam auf. Spezialshops für Öko- und Luxus-, Surfer- und Molligen-Mode decken längst alle geschmacklichen wie physiognomischen Nischen ab.
Für Zalando ist vor allem ein Wettbewerber von zentraler Bedeutung: Asos. „Unsere Kernzielgruppe sind modeaffine Twens, wir wollen gar keine Universalmarke für alle sein“, sagt Moritz Hau, Deutschland-Statthalter des britischen Online-Händlers. 2014 will Asos rund 200 bis 250 Millionen Euro in Deutschland umsetzen, rund 60 Prozent davon mit der Asos-Eigenmarke.
Für Zalando sind die Briten nicht nur Rivalen, sondern auch Referenzgröße. Analysten ziehen Asos fast immer als Bewertungsmaßstab für Zalando heran. Der Börsenwert des Konzerns liegt bei mehr als sechs Milliarden Euro, obgleich der weltweite Asos-Umsatz rund 500 Millionen Euro hinter dem von Zalando liegt.
Ein Argument ist offenkundig doch wichtiger: Asos verdient seit Jahren Geld.