Jahrzehntelang war die deutsche Discounterwelt sorgsam austariert: Während Billigpurist Aldi sein Sortiment ausschließlich mit bewährten Eigenmarken bestückte, lockte Lidl die Kundschaft mit günstigen Markenartikeln.
Doch im vergangenen Jahr hat nach Aldi Süd auch Aldi Nord den Glanz der Marken entdeckt. Produkte wie Butterkekse von Leibniz, Bier von Krombacher und Chips von Funny-Frisch füllen inzwischen die Regale des Discounters.
Nach einer neuen Studie des Nürnberger Marktforschungsinstituts GfK geht der Strategieschwenk auf. Die Markenartikel sprechen vor allem jüngere Käufer an und tragen dazu bei, dass „die Umsätze des Händlers wieder steigen“, konstatieren die GfK-Experten.
Laut einer Analyse der Forscher ist der Umsatz der Discounter insgesamt im ersten Halbjahr 2016 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 1,8 Prozent gestiegen. Die GfK geht davon aus, dass Aldis Markenoffensive eine zentrale Ursache dafür ist.
Aldis Offensive löst Preiskampf aus
Auch den Herstellern nutzt Aldis neue Strategie. Sie konnten laut GfK mit den 19 Marken, die der Discounter zwischen April 2015 und Januar 2016 ins Sortiment aufgenommen hat, in den ersten sechs Monaten dieses Jahres „im Durchschnitt zehn Prozent mehr Umsatz erzielen“ als im Vorjahreszeitraum.
Warum Aldi billig ist
Es ist eine Gretchenfrage: Wie viele Artikel biete ich meinen Kunden an? 1946 ging es um nichts mehr als ums Sattwerden. Die Aldi-Brüder schauten auf ihren Tages- und Wocheneinkauf. Erst im Laufe der Jahre kamen Non-Food-Artikel hinzu – anfangs waren sie verpönt.
Mit der Zeit pendelte man sich bei 400 Artikeln ein. Inzwischen – in Zeiten der feiner werdenden Nuancen – ist die Zahl auf über 900 Basisartikel gewachsen. Der Stellplatz in den Filialen hat natürliche Grenzen. Zudem ist Produktpflege ein aufwändiges Geschäft.
Von Beginn an galt bei den Albrechts das Gebot der Warengleichheit: In allen Filialen sollten die Kunden dieselben Produkte finden. Schnell ging es soweit, dass sie es sogar an derselben Stelle fanden.
Eine echte Revolution war die Einführung von Kühlware in den Siebzigerjahren. Sowohl bei Aldi Nord als auch bei Aldi Süd gingen Grundsatz-Diskussionen voraus. Entgegen der Behauptungen gab es darüber aber keinen brüderlichen Zwist. Allerdings musste der vorpreschende Karl Überzeugungsarbeit leisten beim abwägenden Theo. Doch die Kühltruhe kam, erst im Kleinformat, dann immer mehr.
Seit Jahren macht andere Discounter wie Netto (vorher Plus) gute Geschäfte mit Markenartikeln. Aldi hat stets eine Aversion gegen sie gehabt - gab inzwischen aber nach. Auf der anderen Seite taten sich die Hersteller von Markenartikeln anfangs auch sehr schwer, bei einer Billigkette zu listen, als die Aldi galt.
Vereinfacht gesagt besteht Aldis größtes Problem darin, die erforderlichen Liefermengen von mehreren Anbietern zu beziehen. Bei vergleichenden Qualitätsstandards heißt es immer wieder: Bedarfsdeckung versus Preis. Gerade zu Ostern und Weihnachten ist es eine Sisyphusarbeit in Planung und Organisation, für ausreichend Waren zu sorgen und sie auf die Filialen zu verteilen.
Die Preisfindung in diesem „Wettkampf“ ist das eigentliche Erfolgsrezept Aldis. Als Marktführer, ausgestattet mit dem Hebel der Mengenmacht, hat man hier natürlich Vorteile. Dabei bündeln Aldi Nord und Aldi Süd ihre Einkaufsstrategie in vielen Sortimenten. Auf der anderen Seite hat Aldi auch kein Interesse, die Lieferanten so sehr zu schröpfen, dass sie in den Ruin gehen.
Lieferanten unterliegen leicht der großen Verlockung, mit Aldi so zu verhandeln, dass die eigentlichen Kapazitätsgrenzen überschritten werden. Zwar kann man mit Aldi vermögend werden, aber das Risiko, sich zu sehr abhängig zu machen, ist groß. Denn Aldi streicht durchaus schnell einen Lieferanten. Fachleute raten dazu, maximal 50 Prozent seiner Produkte an Aldi zu verkaufen.
Die Wettbewerber sind dem Preisdiktat ausgesetzt. In den vergangenen Jahres war gut zu beobachten, was passiert, wenn Aldi die Preise für Alltagsprodukte wie Milch senkte: Die Konkurrenz zog innerhalb weniger Stunden nach. Preisvergleich und Preispolitik sind Tagesaufgaben.
Doch warum agieren die Discounter eigentlich so nah am „gerechten Preis“? Die Frage ist durchaus berechtigt, denn die Durchschnittskunde ist eigentlich sehr wenig mit den Preisen vertraut. Er stellt seinen Warenkorb den Bedürfnissen und Gepflogenheiten zusammen. Die meisten gehen nicht mit offenen Augen durch die Läden. Angebote werden auch bei Aldi sehr deutlich mit andersfarbigen Schildern gekennzeichnet, damit sie überhaupt auffallen. Umso wichtiger ist also, dauerhaft der Preisführer zu sein – und dieses Image zu pflegen.
Egal wie günstig ein Produkt ist – die Qualität muss stimmen: Aldi testet wie auch die anderen Discounter ständig seine aktuellen und auch mögliche neuen Produkte. Zudem nützt das tollste Sonderangebot nichts, wenn es um 11 Uhr ausverkauft ist.
Kein Produkt hat bei Aldi eine Existenzgarantie. Jeder Lieferant ist austauschbar. Und das lässt Aldi seine Partner ganz genau wissen. Es herrscht rigorose Preiskontrolle vom Einkauf bis zum Verkauf. Der Kunde entscheidet. Nimmt er ein Produkt nicht (mehr) an, fliegt es aus dem Sortiment. Das gilt besonders für Sonderverkäufe. Schlagen sie nicht ein, bekommen sie keine zweite Chance.
Im Fachjargon heißen sie Zugartikel, die Produkte, an denen Aldi praktisch nichts verdient. Die Marge liegt nahe null, aber sie sind dennoch sehr wichtig. Denn sie locken Kunden in den Laden. Und die Kunden kaufen dann eben auch andere Produkte, wo die Margen entsprechend höher liegen. Die sogenannte Quermarge stimmt also auch bei Zugprodukten.
Regale sind das eine, Vorstelltische das andere. Bei Aldi haben sie eine sehr hohe Bedeutung. Reste gehen hier rasant weg.
Der Filialleiter hat die wesentliche Aufgabe, sein Personal geschickt einzuspannen. Aldi näht hier auf Kante, sprich: Die Personaldecke ist extrem eng. Im Krankheitsfall bricht rasch der Notstand aus, wenn nicht umgehend Ersatz zur Hand ist: verdreckte Böden, unsortierte Regale, Schlangen an den Kassen. Entsprechend sind Filialleiter entscheidende „Produktchefs“ und es gelten hohe Standards.
Heute, in Zeiten der Piep-Piep-Kassen, ist es nicht mehr so wichtig: Aber groß geworden ist Aldi auch wegen einer vermeintlich selbstverständlichen Eigenschaft der Kassiererinnen und Kassierer: Sie kannten die Preise der Produkte auswendig und konnten sie blitzschnell in die Kasse eingeben.
Die Logistik dahinter ist alles andere als einfach: Wie bekommt man all die hohen Bargeldsummen, die sich in den Kassen auftürmen, sicher zur Bank? Das ist die eine Frage, die Discounter wie Aldi lösen müssen. Die andere ist, wie man die Liquidität möglichst schnell reinvestiert. Bei einer Umschlaggeschwindigkeit der Waren von 8,5 Tagen und einem Zahlungsziel von 14 Tagen gegenüber dem Lieferanten ist die Ware nahezu zweimal verkauft, ehe sie einmal zu bezahlen ist. Und das mit zwei Prozent Skonto.
Wohin also mit dem Geld? Die erste Antwort lautet: Nicht mehr mieten, sondern kaufen – also die Immobilien, in denen sich die Filialen befinden. Zudem fließt bei Aldi viel Geld in die Familienstiftung. Dort wird es gefahrensicher angelegt. Zudem war Aldi frühzeitig darauf aus, in der Plastikindustrie zuzukaufen.
Aldi ging schon früh einen Weg, der damals alles andere als üblich war und setzte auf eigene Produkte. Die alte Kaufmannsweisheit, dass der Vertreiber nicht selbst produzieren soll, damit er nicht mit Reklamationen überschüttet wird, gilt heute längst nicht mehr. Aber damals war es etwas ziemlich neues. Es begann mit eigenem Kaffee, der in Herten produziert wurde.
Bei Aldi wird alles und ausnahmslos umgetauscht, wenn der Kunde dies wünscht. Jede eingequetschte Tomate und jede Laufmasche. Filialleiter dürfen unter keinen Umständen Einwände erheben.
Die beiden Aldi-Unternehmen brüsten sich damit, nicht zu werben. Das ist natürlich nicht wörtlich gemeint, schließlich sind die Anzeigen aus den regionalen und überregionalen Zeitungen nicht wegzudenken. Was Aldi meint ist, dass man die Kunden besonders anspricht, also über den Preis argumentiert und auf Mund-zu-Mund-Propaganda setzt.
Einmal im Jahr gibt es den bisweilen gefürchteten Vergleich zwischen Aldi Nord und Aldi Süd. Folgende Zahlen spielen darin die Hauptrolle: Hauptkostenarten bei Personal, Mieten, Energie usw. sowie Anzahl der Filialen, Umsätze und Gesamtkosten.
Bei Aldi gibt es praktisch keine innerbetrieblichen Veranstaltungen. Sozialkontakte erstrecken sich auf den gemeinsamen Einsatz für sprudelnde Umsätze. Als ein Geschäftsführer mal anlässlich der Heirat seiner Tochter Theo Albrecht nebst Gattin Chily einlud und es dort Zusammentreffen mit wichtigen Lieferanten gab, verzog Theo keine Miene. Das Arbeitsverhältnis wurde gelöst.
„Hersteller sind sehr daran interessiert, im Discounter zu landen“, sagt Klaus-Dieter Koch, Gründer der Managementberatung Brandtrust und Markenexperte. So können sie sich neben Rewe und Edeka ein weiteres Standbein aufbauen. „Dadurch sinkt die Erpressbarkeit.“ Auch finanziell lohnt es sich für die Markenproduzenten: „Mir sind Fälle bekannt, wo Lieferanten lieber Aldi beliefern.“ Dort gäbe es im Verhältnis zum Volumen deutlich bessere Margen.
Allerdings sinken dadurch offenbar auch die Preise der Markenprodukte. So setzten zuletzt regelmäßig Wettbewerber wie Lidl, Rewe und Edeka den Rotstift an, sobald eine Marke auch nur als Kandidat für das Aldi-Sortiment gehandelt wurde. Am Ende würde Aldi die prominenten Labels im Schnitt aber immer noch um knapp vier Prozent billiger verkaufen als die Konkurrenz, geht aus der Untersuchung hervor.
Was aus den Eigenmarken wird
Sparsamkeit als bestimmender Gedanke beim Einkaufen ist für viele Kunden passé. Den Verbrauchern geht es schon seit Jahren gut, sie geben laut Handelsexperten mehr Geld für Lebensmittel aus und wollen vor allem mehr Qualität. „Die Erwartungen der Konsumenten sind gestiegen“, sagt Martin Fassnacht, Professor für Marketing und Handel an der WHU – Otto Beisheim School of Management.
Bis zum vergangenen Jahr konnten von der guten Konjunkturlage vor allem die Supermärkte profitieren und ihren Marktanteil spürbar vergrößern – zulasten der Discounter. Laut Daten des Nürnberger Marktforschers GfK stiegen die Umsätze im Lebensmittelhandel damals um 0,8 Prozent. Während Marktführer Edeka 2015 um 2,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr zulegte und Rewe sogar auf 4,9 Prozent kam, schrumpften Aldi Nord und Süd um 1,8 und 2 Prozent.
„Ohne die Listung von Marken hätte Aldi damals noch mehr Marktanteile verloren“, ist sich Fassnacht sicher. Das die Markenoffensive aufgeht, zeigen aktuelle Zahlen: „Im laufenden Jahr hat sich der Umsatz im Gesamtunternehmen im Vergleich zum Vorjahr um drei Prozent gesteigert“, sagte Kay Rüschoff, Geschäftsführer Marketing und Kommunikation bei Aldi Nord dem Handelsblatt. Konkurrent Lidl, der schon lange vor Aldi auf Marken setzte, wuchs dagegen nur um zwei Prozent. Die Essener holen auf.
Wie Aldi groß wurde
Wer hatte eigentlich die Idee Aldi so zu gründen, wie wir es heute kennen? Es wird wohl nie endgültig zu klären sein. Aber viele Indizien deuten darauf hin, dass es eher Karl Albrecht war als sein Bruder Theo. Das soll aber nicht schmälern, welch wichtigen Beitrag auch Letzterer beitrug.
Der Krieg war aus. 1946 im zerbombten Essen-Schonnebeck begann die Erfolgsgeschichte zwischen Lebensmittelkartons und Krämerware. Das Brüderpaar Karl und Theo Albrecht erkannte die Chance, die die Phase der sozialen Umorientierung bot. Sie bauten den Tante-Emma-Laden der Eltern aus.
Karl und Theo Albrecht erkannten rasch, dass der Laden der Eltern ihnen beiden keine Zukunftsaussicht bot. Sie entdeckten die betriebswirtschaftliche Zauberformel der Zeit „Nachfrage versus Bedarfsdeckung“ für sich und schafften es, sie im Sinne des Kunden zu lösen.
Karl und Theo Albrecht lebten die Anforderungen der damaligen Zeit in perfekter Symbiose. Sie hatten weder äußerlich viel gemeinsam noch waren sie ähnlich gepolt. Theo überragte seinen Bruder um Kopfeslänge. Doch der „Kleinere“ war Vordenker und Impulsgeber. Ungeduldig, beredt, rastlos, bisweilen explosiv war Karl. Theo wirkte dagegen eher zurückhaltend, sogar zögerlich abwägend.
Die beiden Brüder waren in ihrer uniformen Arbeitsauffassung füreinander ein Glücksfall. Von vornherein waren die Aufgaben geteilt: Karl versah den Innen-, Theo den Außendienst. Sprich: Karl kümmerte sich um die schwierige Einkaufspolitik. Es war nicht einfach, die richtige Ware preiswert und in ausreichende Menge zu erhalten. Theo betreute die Verkaufsstellen sowie die Verwaltung und Buchhaltung.
1946 begann es mit dem kleinen Laden der Eltern. 1950 nannten die beiden Brüder eine Kette von 13 Läden inklusive Bedienungen ihr Eigen. Nun strukturierten sie ihre Läden nach dem Discountprinzip um. 1961 trennten sie ihre Geschäfte in Aldi Nord und Aldi Süd.
Zur moralischen Stabilität ihrer Konzerne trug maßgeblich die persönliche Lebensweise der Brüder bei. Beide waren im Auftreten zurückhaltend und lebten bescheiden. Sie waren nach alter Schule nach den Prinzipien Sparsamkeit und Kargheit erzogen.
Als einzigen „Luxus“ erlaubten sie sich ein eigenes Auto. Auf sein Golfschloss in Donaueschingen schickte Karl Albrecht seine Führungskräfte zum Entspannen. Die Brüder kannten keine Scheu vor ihrer kleinbürgerlichen Herkunft. Die Adresse Huestraße 89 in Essen-Schonnebeck wollten sie nie abstreifen. Sie waren stets praktizierende Katholiken und wollten in der Öffentlichkeit so wenig wie möglich wahrgenommen werden.
Theo Albrecht hatte eine Marotte: Er wollte jede Filiale sehen, bevor die zentrale Schreinerei an die Fertigung der Regale und Einrichtungsteile ging. Dabei kümmerte den Hobbyarchitekten die Delegation von Aufgaben zur eigenverantwortlichen Erledigung nur bedingt. Es galt: In dubio pro Theo.
Es gab durchaus Spannungen zwischen dem quirligen Theo und dem abwägenden Karl Albrecht. Besonders deutlich wurde das beim ersten Schritt über die Grenzen Deutschlands. 1971 expandierte Aldi nach Österreich. Karl war es, der die Familie als erster international aufstellte. Heute firmiert Aldi Nord in Österreich übrigens unter dem Namen „Hofer“.
Verschwiegenheit war stets Trumpf im Hause Albrecht. Aldi lässt sich partout nicht in die Karten schauen. Die totale Verschleierung aller Kulissen ist institutionalisiert. So wenig undichte Stellen wie möglich, lautet die Devise.
Die Brüder gaben sich Maßregeln, die zu unverrückbaren internen Prinzipien wurden: Keine Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Keine Firmensprecher. Keine Interviews im Radio oder Fernsehen. Keinerlei mondäner Lifestyle. Keine Lobbyarbeit. Keine Firmenjubiläen. Lückenlose Rückgabe von Werbegeschenken.
Die Zurückhaltung hatte einen guten Grund: Abgucker und Schmarotzer sollten keine Gelegenheit zur Einsicht in Interna haben. Die innovative Discount-Struktur war eine zarte Pflanze und schutzbedürftig. Das neue Konzept musste sich in Ruhe verfestigen. Erfahrungen waren Gold wert.
Aldis Verwaltungsrat ist ein frei schwebendes Organ. Gesellschaftsrechtlich ist es nirgendwo in den Statuten eingebunden. Seine Mitglieder haben freiberuflichen Status, sind aber dennoch die „Macher“: Der Verwaltungsrat ist das zentrale Machtorgan des Konzerns. Aldi steht seit jeher zu seinem Führungssystem, dass sich mit dem Wort Durchgriffs-Management am besten umschreiben lässt. Der Verwaltungsrat hat den Alleinführungsanspruch.
Aldi stellte stets besondere Anforderungen an seine Mitarbeiter und richtet seine Personalsuche darauf ab. Vorstellungsgespräche sind exzessiv angelegt, manchmal über mehrere Sitzungen. Man lotet die charakterlichen und sozialen Hintergründe des Bewerbers genau aus. Personalvermittlungen kommen nicht zum Zug.
Natürlich variiert das Anforderungsprofil je nach Stelle, aber es gibt gewisse Grundvorstellungen: Der Bewerber sollte unauffällig und zurückhaltend im Auftreten sein, seine Bekleidung schlicht und gediegen, seine Herkunft möglichst bodenständig, die Familienverhältnisse geordnet, Sparsamkeit wird sehr geschätzt wie auch Pflichtbewusstsein und Normalität hinsichtlich des Lebensprinzips.
Das Warenumschlagssystem von Aldi mit seinen schematisierten Abläufen erfordert erfahrene Praktiker. Es wird nicht vorrangig Kopfarbeit am Schreibtisch verlangt. Wer richtig aufsteigen wollte, hatte bei den Albrechts eine Ochsentour vor sich. Ein Akademikerstatus ist entbehrlich.
Für Aldi liegt das Geheimnis des langfristigen Erfolges im Zeitmanagement der Führungskräfte. Es gibt eine detaillierte Planungsphilosophie und strenge Normen nach dem Motto: Plan dich oder friss dich! Zudem hat Aldi ein umfangreiches Prämiengerüst. Bezirksleiter bekommen solche und vergeben wiederum welche an ihre Filialleiter. Einzig der Geschäftsführer bekommt keine Prämie.
Wer den Ansprüchen Aldis gerecht werden will, muss sie beherrschen: die Handbücher. Das gilt aber vor allem für die regionalen Geschäftsführer. Aldi Nord hat im Laufe der Jahre alles, was Firmeninterna angeht, in solchen Handbüchern fortgeschrieben. Da ist einiges Zusammengekommen – viel Lesestoff.
Aldi-Mitarbeiter lachen wenig. Zu stark lastet der Druck auf allen. Er wird von der Spitze her aufgebaut und durchgereicht. Das einzige, was lacht, ist die Liquidität.
Es ist auch für Journalisten vom Fach sehr schwierig, Details über die beiden Aldi-Konzerne herauszubekommen. Das Unternehmen ist nicht börsennotiert und somit nur zu bestimmten Veröffentlichungen verpflichtet. Umso wertvoller sind glaubwürdige und detaillierte Berichte, wie sie Eberhard Fedtke in seinem Buch nun geliefert hat. Er war viele Jahre lang Gesellschafter bei dem Konzern.
Bibliografie:
Eberhard Fedtke
Aldi Geschichten. Ein Gesellschaftler erinnert sich
NWB Verlag, Herne 2011
296 Seiten
Allerdings verfügt Lidl immer noch über einen Marktanteil von 26,6 Prozent und ist damit führend unter den Discountern. Es folgt Aldi Süd mit 21,2 Prozent. Aldi Nord rangiert hinter der Edeka-Tochter Netto mit einem Anteil von 16,1 Prozent.
Eigenmarken verschwinden nicht
Dass die Markenoffensive ankommt belegt auch der aktuelle „POS-Marketing-Report“ der „Lebensmittel Zeitung“ und der Wiesbadener Agentur UGW. 63 Prozent der Befragten Konsumenten finden es demnach positiv, dass Aldi immer mehr Marken listet.
„Aldi versucht die Markenikonen zu identifizieren, für die die Kunden eigens ein Geschäft aufsuchen“, sagte der frühere Aldi-Topmanager Johann Mörwald Anfang des Jahres der WirtschaftsWoche. Das Konzept Eigenmarken kommt trotzdem weiterhin zum Tragen. Rund 93 Prozent der bei Aldi Nord gelisteten Waren sind Eigenmarken.
„Die Eigenmarken sind für den Unternehmenserfolg weiterhin der entscheidende Faktor“, sagt Fassnacht. Die Margen sind wesentlich besser als bei den Markenwaren. „Aufgrund des Preisdrucks sowie der extrem günstigen Aktionspreise glaube ich, dass Aldi bei einigen Markenartikeln kein Geld verdient.“ Sie sind vor allem notwendig, um Kunden weiter in die Filialen zu locken.
Vor allem markenaffine Jungkunden. „Bisher sind solche Kunden für die günstigen Einkäufe zu Aldi gegangen und haben sich die Markenwaren beim Supermarkt beschafft“, sagt Fassnacht. Seitdem Edeka und Rewe aber ihr Angebot an Preiseinstiegsartikeln ausgebaut haben, hierbei immer genauso günstig sind wie der Preisführer Aldi sowie darüber hinaus eine größere Warenvielfalt bieten, blieben immer mehr Kunden gleich im Supermarkt. „Aldi möchte genau diesen Kunden ein umfangreicheres Angebot bieten und somit den Wert ihres Warenkorbs erhöhen.“
Wie es zum Umschwung kam
Den ersten Schritt in diese Richtung machte Aldi Nord 2012. Damals begannen die Essener mit der umfassenden Sanierung des Filialnetzes. Laut Rüschoff, Geschäftsführer Marketing und Kommunikation bei Aldi Nord, ist der „Umsatz pro modernisiertem Markt im Schnitt um 19 Prozent gestiegen“, wie er dem Handelsblatt sagte. 437.000 Euro bringe jede Filiale im Schnitt pro Monat ein.
Daneben hat Aldi 50 Märkte, die nicht rentabel waren, geschlossen, zehn neu eröffnet und, um längere Öffnungszeiten anbieten zu können, 4000 neue Mitarbeiter angestellt. All das hat Aldi Nord Milliarden gekostet. Zu der genauen Summe äußert sich der Konzern nicht.
Allerdings ist fraglich, ob solche Investitionen künftig noch möglich sind, denn die Eigentümer von Aldi Nord sind zerstritten. Auf der einen Seite steht Gründersohn Theo junior, auf der anderen die Erben seines Bruders Berthold, der im November 2012 nach schwerer Krankheit starb. Bertholds Witwe, Babette Albrecht, stieß 2013 auf Merkwürdigkeiten im Reich Aldi Nord, als sie die Erbangelegenheiten regelte.
Die Gesellschafter könnten Aldi Nord lähmen
Zu Beginn ging es in dem Streit vor allem um die Jakobus-Stiftung. Hier hatte 2010 eine Satzungsänderung den Einfluss von Bertholds Kindern stark beschnitten. Schnell ergriff der Streit auch die Lukas- und die Markus-Stiftung. Die Markus-Stiftung hält 61 Prozent der Aldi-Nord-Anteile, die anderen beiden Stiftungen je 19,5 Prozent.
Vor dem Verwaltungsgericht Schleswig kam die Regelung in der Jakobus-Stiftung aus dem Jahr 2010 Anfang des Jahres zu fall. Damit verfügen die Erben von Berthold Albrecht de facto über ein Veto-Recht bei grundlegenden Entscheidungen. Denn die Stiftungen können wichtige Entscheidungen nur dann treffen, wenn die Vertreter aller drei Stiftungen zustimmen. Ohne diese Zustimmung ist weder die Expansion in neue Länder noch die Vertragsverlängerung von Managern möglich.
Die Gesellschafter können sich so gegenseitig blockieren und Aldi Nord lähmen. Bis dato ist davon zwar noch nichts zu spüren, was die guten Zahlen belegen. Doch ob das auf Dauer so bleibt, ist offen.
Auf Dauer scheint eine Trennung der sinnvollste Weg, den Familienzwist zu beenden. „Wenn Du Deine rein persönlichen Motive nicht den Interessen unseres Unternehmens unterzuordnen bereit bist, müssen wir uns trennen“, teilte Theo Albrecht junior seiner Schwägerin per Brief mit. Die antwortete ihm laut „Focus“, er möge seine Anteile gerne an sie und ihre Kinder verkaufen.
Die Anteile der beiden Seiten dürften allerdings jeweils Milliardenbeträge wert sein – eine Summe, die selbst im Albrecht-Klan niemand ohne weiteres aufbringt. Wie es bei Aldi Nord weitergeht, bleibt abzuwarten.