Bei Deutschlands zweitgrößtem Lebensmittelhändler Rewe gibt es für Kunden künftig keine Plastiktüten mehr. Stattdessen können sie ihre Einkäufe in Kartons, Papiertüten, Stofftaschen oder stabile Mehrweg-Taschen aus Recyclingmaterial packen.
Dadurch sollen in Deutschland jährlich rund 140 Millionen Plastiktüten weniger im Müll landen, wie das Unternehmen am Mittwochmorgen ankündigte. Testläufe dafür seien erfolgreich gewesen, sagte Konzernvorstand Lionel Souque. „Die Leute haben ihr Verhalten sehr schnell geändert.“
Damit geht die Supermarktkette noch einen Schritt weiter als die inzwischen rund 300 Einzelhandelsunternehmen, die sich seit Ende April freiwillig verpflichtet haben, Geld für die umweltschädlichen Plastiktüten zu nehmen.
Der Kampf gegen die Plastiktüten
Plastiktüten sind für ihr Gewicht ganz schön stabil. Doch was Verbraucher freut, kann der Umwelt schaden. Hunderte Jahre kann es dauern, bis die praktischen Tragetüten sich in der Natur zersetzen. Kleinteile werden von Seetieren wie Fischen und Vögeln gefressen.
Nach Zahlen aus dem Jahr 2010 kommen jedes Jahr etwas weniger als 100 Milliarden Plastiktüten in Europa in Umlauf. Das entspricht 198 Tüten pro Jahr und Bürger, die meisten davon Einwegtüten. Deutschland steht laut Handelsverband Deutschland (HDE) gut da. Das sei auch dem durch den grünen Punkt bereits weit verbreiteten Recyclingsystem zu verdanken. In Deutschland liege der Verbrauch bei jährlich 76 Tüten pro Kopf, die EU-Kommission spricht mit Blick auf das Jahr 2010 von 64 Einwegtüten.
Genau. Nach derzeitigem Stand soll jeder EU-Bürger Ende 2019 nur noch 90 Einwegtüten verbrauchen pro Jahr, Ende 2025 nur noch 40 Tüten. Ganz dünne Tüten, die es etwa an der Gemüsetheke gibt, wären aber ebenso wie stabile Mehrfachtüten nicht betroffen. Genauso gut könnte es Abgabegebühren geben oder Steuern für den Einzelhandel. Die Regierungen hätten die Wahl - Hauptsache, die Tüte wäre nicht mehr kostenlos. Auch andere Maßnahmen mit ähnlicher Wirkung wären möglich.
„Das bedeutet für die Verbraucher und Verbraucherinnen und insbesondere den Einzelhandel eine Neuausrichtung zu bewussterem und ökologischerem Konsum“, meint Leif Miller, Bundesgeschäftsführer des Naturschutzbundes Deutschland (NABU). Die Umweltschutzorganisation European Environmental Bureau (EEB) ist zwar grundsätzlich ebenfalls erfreut. Allerdings hätte sich die Organisation auch ein Verbot spezieller neuartiger Tüten gewünscht. Diese geben aus Sicht von Kritikern vor, biologisch abbaubar zu sein, obwohl sie es nicht sind. Dies soll nun aber die EU-Kommission erst einmal untersuchen.
Der Branchenverband Plastics Europe argumentiert, man unterstütze zwar eine Gebühr für alle Taschen, egal aus welchem Material. Doch die Möglichkeit nationaler Verbote könne zu Handelshemmnissen in Europa führen. Das bemängelt übrigens auch die FDP-Europaabgeordnete Gesine Meißner.
Inzwischen sei etwa die Hälfte aller Tüten in Deutschland von der Vereinbarung erfasst, sagte Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Um die Selbstverpflichtung war lange gerungen worden. Umweltverbände kritisieren, dass die meisten der nun betroffenen Tüten bereits vorher kostenpflichtig gewesen seien.
Jeder Deutsche verbraucht 70 Tüten im Jahr
Die Selbstverpflichtung soll Deutschland helfen, eine EU-Richtlinie umzusetzen, die den jährlichen Verbrauch von Kunststoff-Tragetaschen bis Ende 2025 auf höchstens 40 Tüten pro Einwohner senken soll. Aktuell benutzt jeder Einwohner Deutschlands im Jahr im Schnitt etwa 70 Tüten - umgerechnet mehr als 5,6 Milliarden Stück. Die Einsparung durch den Verzicht von Rewe bewegt sich also bei rund 2,5 Prozent.
Restbestände an Plastiktragetaschen würden in den Märkten noch bis Juli verkauft, teilte Rewe mit. Die besonders dünnen Tüten für Obst und Gemüse sollen auf lange Sicht ebenfalls verschwinden. Tests sind zum Beispiel mit wiederverwendbaren Netzen geplant, wie Souque erklärte. In den über 3000 Rewe-Märkten kaufen wöchentlich rund 27 Millionen Kunden ein.
In einer dreimonatigen Testphase hatte das Unternehmen in mehr als 130 Märkten den Verzicht auf die Plastiktüten ausprobiert. Ein Großteil der Verbraucher befürworte und akzeptiere den Schritt, fasste der Handelsriese seine Erfahrungen zusammen. Fast zwei Drittel der befragten Kunden wolle zu mehrfach verwendbaren Tragetaschen oder Einkaufskartons greifen.
„Das ist ein entscheidender erster Schritt“, lobte der Präsident der Umweltschutzorganisation Nabu, Olaf Tschimpke. Es gehe darum, dass Kunden lernten, dauerhaft auf wiederverwendbare Taschen umzusteigen.
Barbara Hendricks wies darauf hin, dass Papiertüten in der Herstellung nicht umweltfreundlicher seien als Plastiktaschen, wohl aber in der Entsorgung. „Eine Papiertüte im Meer macht rein gar nichts, die wird sich ganz schnell auflösen.“