Russischer Onlinehändler Ulmart in der Schuldenfalle

Seit 2008 verkauft Ulmart den Russen online „alles, was sich in die Steckdose stecken lässt“. Jetzt wurde der Chef wegen Betrugsverdacht verhaftet. Es sind nicht die einzigen Probleme des einstigen Branchenprimus.

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Dem 45-Jährigen Ulmart-Mitinhaber wird vorgeworfen, sich einen Kredit der staatlichen Sberbank erschlichen und ihn dann veruntreut zu haben. Quelle: imago/ITAR-TASS

Moskau Jähes Ende eines Höhenflugs: Der Chef des russischen Online-Händlers Ulmart, Dmitri Kostygin, ist in St. Petersburg wegen Betrugsverdachts vorläufig festgenommen worden. Dem 45-Jährigen wird vorgeworfen, sich einen Kredit der staatlichen Sberbank über eine Milliarde Rubel – umgerechnet knapp 15 Millionen Euro – erschlichen und ihn dann veruntreut zu haben. Es sind nicht die einzigen problembehafteten Schulden des einstigen Branchenprimus.


Ulmart wurde 2008 in St. Petersburg als Retailer gegründet, der sich vor allem auf den Verkauf von Elektrowaren spezialisierte. „Wir verkaufen alles, was sich in die Steckdose stecken lässt“, sagte Mitgründer Sergej Fedorinow einmal. Der Name sei in Anlehnung an den amerikanischen Einzelhandelsriesen Walmart gewählt worden, verriet er. Das Hybridkonzept von On- und Offline-Verkauf, bei dem auch die Filialen als Showraum ausgestaltet wurden, in dem die Käufer ihre Waren am Bildschirm aussuchten, zeigte überraschend schnell Erfolg.


Einen echten Wachstumssprung vollführte Ulmart nach dem Einstieg der Großinvestoren Dmitri Kostygin und August Meyer, die zuvor mit der Hypermarktkette Lenta ein Vermögen gemacht hatten. Kostygin und der aus den USA stammende Meyer übernahmen für 150 Millionen Dollar 60 Prozent der Ulmart-Anteile. Das Geld floss in den Ausbau von Webseite, Filialnetz und Logistik-Infrastruktur.

2013 wurde Ulmart mit einem Umsatz von mehr als einer Milliarde Dollar zum größten Online-Shop Russlands. Forbes schätzte das Unternehmen mit einem Wert von 1,4 Milliarden Dollar als das drittteuerste Internet-Unternehmen des Landes ein; lediglich übertroffen von dem Suchmaschinengiganten Yandex und der Mail.ru Group von Milliardär Alischer Usmanow.


Doch die Krise ist nicht spurlos an Ulmart vorbei gegangen: Seit 2014 sind die Realeinkommen der Russen um rund zehn Prozent zurückgegangen, was auch die Konsumlaune im Land drückt. Zwar konnten sich Online-Shops im Vergleich zum gewöhnlichen Einzelhandel relativ gut behaupten, doch gerade die zumeist importieren Elektronikartikel verteuerten sich stark, woraufhin viele Russen auf diesen Luxus verzichteten.


Insolvenzverfahren gegen den Retailer läuft


Der ursprünglich 2016 geplante Börsengang ist bis heute nicht vollzogen, stattdessen stiegen zu dem Zeitpunkt die Gründer Fedorinow und Alexej Nikitin aus, um sich eigenen Projekten zu widmen. Vorstandschef wurde Großaktionär Kostygin. Zu Jahresbeginn sammelte Ulmart noch einmal Prestigepunkte mit dem Sponsoring des „Russischen Hauses“ beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Die finanziellen Probleme waren zu dem Zeitpunkt aber schon zu sehen.


Das Management soll jedoch, so die aktuelle Anklage, versucht haben, diese Schwierigkeiten zu verheimlichen: Als es im vergangenen Jahr bei der Sberbank einen Kredit über eine Milliarde Rubel erbat, habe es „wissentlich falsche Angaben“ über den Finanzstatus des Unternehmens gemacht. Konkret wurde in den Kreditpapieren festgehalten, dass Ulmart gegenüber anderen Gläubigern nicht im Rückstand mit den Zahlungen sei.

Nur zwei Tage nach Vertragsunterzeichnung klagte der Petersburger Unternehmer Oleg Morosow die Pfändung von umgerechnet knapp vier Millionen Euro ein, die ihm Ulmart schulde. Nachdem er vor Gericht das Recht dazu zugesprochen bekam, initiierte er ein Insolvenzverfahren gegen den Retailer.


Das Pikante bei der Angelegenheit: Morosow hatte die Schulden gerade erst von Ulmart-Chef Kostygin übernommen. Das Management müsse also von den unbezahlten Rechnungen gewusst haben. Kostygin als Besitzer habe selbst kein Bankrottverfahren gegen seinen Konzern einleiten können und darum die Schulden veräußert, so die Anklage.


Da Ulmart auch den Milliardenkredit der Sberbank nicht bediente, geht das Ermittlungskomitee davon aus, dass die Mittel zweckentfremdet wurden, um eigene Verluste zu decken. Die Wohnungen des Ulmart-Topmanagements wurden durchsucht, Fedorinow, Morosow und Kostygin verhört, letzterer dann wegen mit Betrugsvorwürfen in Untersuchungshaft gesteckt.

Der Multimillionär selbst gibt sich gelassen: „Bei einer Krise oder einem Sturm ist es das wichtigste, nicht in Panik zu geraten. Vielleicht sind mir die heutigen Ereignisse nicht besonders angenehm, aber ich sehe meine Schuld nicht und bin daher auch nicht besonders aufgeregt“, sagte er. Auch seine Geschäftspartner bitte er, keine „übereilten Schritte“ zu unternehmen, fügte er hinzu.


Ob der Appell ankommt, ist fraglich. Die Schulden von Ulmart sind nicht auf den einen Kredit begrenzt. Allein der Sberbank schuldet das Unternehmen Medienangaben nach rund 36 Millionen Euro. Daneben stehen auch andere Banken schon Schlange, um ihr Geld wieder zu bekommen, darunter auch die staatliche VTB, die rund zehn Millionen Euro haben will.


Der Absturz von Ulmart könnte sich damit als ebenso steil erweisen wie der vorherige Aufstieg. Noch gilt Ulmart als Einzelfall in der Branche. Allerdings ist die Affäre durchaus als Alarmsignal zu verstehen, denn während es in den meisten Sektoren Russlands seit Jahresbeginn schon wieder aufwärts geht, steckt die Konsumbranche nach wie vor in der Krise.

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