Thomas Middelhoff hat bisher noch jeden Saal in eine Bühne verwandelt. Es dauert keine Minute, dann ist klar: Auch am Montag macht er keine Ausnahme. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Arcandor setzt sich vor Gericht genauso in Szene wie einst auf noblen Abendveranstaltungen. Standesgemäß posiert er im schwarzen Drei-Knopf-Anzug für die Fotografen. "Dass Sie mir heute auch mal richtig schreiben", sagt er schmunzelnd zu den Journalisten.
Dann erscheint Madeleine Schickedanz. Der Kontrast zwischen ihr und ihm könnte kaum größer sein. Während Middelhoff mit goldbraunem Teint, akkurat gescheiteltem Haar und breitem Grinsen durch den Gerichtssaal stolziert, verzieht Madeleine Schickedanz keine Miene.
In besseren Tagen zählte sie zu den reichsten Frauen Deutschlands. Heute schlurft sie im grauen Hosenanzug, weißer Bluse und blassem Gesicht auf Middelhoff zu. Kurzes Händeschütteln. Dann bittet der Richter den ehemaligen Arcandor-Chef in den Zeugenstand.
Forderung: 1,9 Milliarden Euro von 14 Beklagten
Der Saal 112 im Kölner Landgericht ist der Schauplatz von einem der größten Schadensersatzprozesse der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Die Klägerin heißt Madeleine Schickedanz. Als Tochter des Quelle-Gründers Gustav Schickedanz erbte sie ein Milliardenvermögen. Doch mit der Pleite des Arcandor-Konzerns (früher KarstadtQuelle) verlor Schickedanz nach eigenen Angaben fast ihr gesamtes Hab und Gut.
Die ihrer Ansicht nach Schuldigen an der Misere will sie nun zur Kasse bitten. Unter anderem fordert Schickedanz von ihrer ehemaligen Hausbank Sal. Oppenheim und ihrem einstigen Vermögensberater Josef Esch Schadensersatz in der Höhe von rund 1,9 Milliarden Euro. Schickedanz wirft ihren früheren Geschäftspartnern vor, sie falsch beraten und um erhebliche Teile ihres Vermögens gebracht zu haben. Neben Esch weisen auch die anderen 13 Beklagten die Vorwürfe zurück und fordern, die Klage solle abgewiesen werden.
Die Geschichte von Sal. Oppenheim
Salomon Oppenheim gründet in Bonn eine Bank
Umzug nach Köln
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Verkauf der Anteile an der Colonia Versicherung, Beginn der Zusammenarbeit mit Josef Esch
Ex-Bundesbank-Präsident Karl Otto Pöhl führt Sal. Oppenheim.
Matthias Graf von Krockow folgt ihm.
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Die Bank macht erstmals Verlust
Durch die Pleite des Handelskonzerns Arcandor, mit dem die Bank über Kredite und Aktienbeteiligung eng verbunden ist, gerät Sal. Oppenheim in eine existenzbedrohende Krise
Die Deutsche Bank übernimmt Sal. Oppenheim komplett.
Zahlreiche Prozesse von Anlegern wegen Verlusten bei Oppenheim-Esch-Fonds. Die Staatsanwaltschaft Köln erhebt Anklage gegen die Ex-Bankführung und Josef Esch, Prozessbeginn wohl Anfang 2013
Im Kern dreht sich dabei alles um die Frage, ob Schickedanz wusste, was sie tat, als sie im Frühjahr 2005 Kredite in der Höhe von 380 Millionen Euro aufnahm, um die Aktienmehrheit an Karstadt-Quelle zu erwerben. Schickedanz Anwälte zeichneten beim Prozessauftakt vor fast zwei Jahren das Bild einer Frau, die zwar Millionen auf dem Konto hatte, in finanziellen Fragen aber vollkommen unbedarft agierte. Es seien ihre Berater gewesen, die sie „in den Ruin getrieben“ hätten, sagte damals ihr Anwalt, Stefan Homann.
Middelhoff in einer Schlüsselrolle
Dieses Bild versuchte vergangene Woche Leo Herl, Schickedanz Ehemann, zu untermauern. Seine Frau hätte demnach nur als „Strohfrau“ agiert. Sie habe es im Gegenteil sogar abgelehnt, weitere Aktien zuzukaufen und wollte sich so schnell wie möglich von ihrem Paket trennen, so Herl. Eine Schlüsselrolle zur Klärung dieser Version kommt nun dem Mann im Zeugenstand zu: Thomas Middelhoff, Ex-Chef von Arcandor.
Was war die Zielsetzung von Frau Schickedanz mit KarstadtQuelle, fragt Richter Stefan Singbartl. "Sie wollte einen bestimmten Geldbetrag haben, aus dessen Zinsertrag sie ihren Lebensunterhalt bestreiten könne", antwortet Middelhoff. Wie viel? "Eine Milliarde Euro", sagt Middelhoff.
"Ich will in Ruhe und ohne Sorge alt werden", soll Schickedanz ihm gesagt haben, erinnert sich Middelhoff. Schon im März 2005 hätte Schickedanz ihm klar gemacht, dass sie es als nicht notwenig erachte, bis an ihr Lebensende Hauptaktionärin von KarstadtQuelle zu sein. Sie wolle aber nicht sofort verkaufen und wenn, dann nur zum richtigen Preis. Eine Milliarde eben. Die sollte Middelhoff auftreiben.
Wie glaubwürdig ist Schickedanz wirklich?
Um KarstadtQuelle zu sanieren, schwebte Middelhoff vor, den Konzern von der Börse zu nehmen. Sein Kalkül: Wenn das Unternehmen, das einst mehr als 100.000 Mitarbeitern zählte, nicht so sehr im Fokus der Öffentlichkeit stehe, ließe es sich leichter sanieren.
Voraussetzung für den Börsenrückzug wäre aber gewesen, dass Schickedanz zuerst die Aktienmehrheit am Konzern erwirbt. Dafür fehlten ihr aber die finanziellen Mittel. Die sollten nun von Sal. Oppenheim und den Kunden von Josef Esch kommen, dem Vermögensverwalter von Schickedanz und Middelhoff.
Die "geborene Insiderin"
Die Details des Plans: Middelhoff beauftragte Goldman Sachs, die Deutsche Bank und die Rechtssozietät Shearman & Sterling, um die finanzielle und rechtliche Machbarkeit eines Börsenrückzugs abzuklären. Wegen einer Klausel in Kreditverträgen wiesen die Berater darauf hin, dass ein Pflichtangebot vermieden werden sollte, weil ansonsten die komplette Refinanzierung des Konzerns in Frage stünde. Der Ausweg hatte einen Namen: Madeleine Schickedanz.
Die Berater beschrieben sie als "geborene Insiderin", schildert Middelhoff. Als Hauptaktionärin wäre sie die einzige Person gewesen, die ohne Übernahmeangebot Aktien zukaufen könne. Weil ihr aber das Geld dazu fehlte, sollte sie als Strohfrau fungieren, wie Middelhoff bestätigte.
Unwissenheit sei "schwerlich plausibel"
Schickedanz sei wegen dieses Plans "ein bisschen besorgt" gewesen und hätte klar gemacht, dass sie keine weiteren Verbindlichkeiten anhäufen wolle. Josef Esch, der Schickedanz in Vermögensfragen beriet, soll laut Leo Herl, Schickedanz Ehemann, daraufhin versichert haben, dass Schickedanz zwar mit ihrem Namen die Aktien kaufe, die Finanzierung aber geregelt sei und sie kein Risiko davon trage.
Diesen Eindruck hatte offenbar auch Middelhoff und bringt damit seinen einstigen Duz-Freund, Josef Esch, in Bedrängnis. "Meine Schlussfolgerung war eindeutig, dass Schickedanz nicht auf eigenes wirtschaftliches Risiko kauften sollte", sagte Middelhoff.
Der Vorsitzende Richter Stefan Singbartl erklärte aber schon beim Prozessauftakt vor zwei Jahren, er halte es für "schwerlich plausibel", dass jemand mit solch einem Hintergrund wie Frau Schickedanz nicht gewusst habe, welches Risiko in Aktienkäufen auf Pump läge. "Sie machte alles mit", sagte Singbartl damals. Es sei nicht zu erkennen, dass die Transaktionen gegen den Willen von Schickedanz über die Bühne gingen.
Weitere Middelhoff-Prozesse
Im Sal. Oppenheim-Prozess geht es am Mittwoch mit der Ladung des Unternehmers Holger Lampatz weiter. Er soll bezeugen – so hoffen Schickedanz Anwälte –, dass Esch sich mehrmals abfällig über Schickedanz äußerte und ihre Kompetenz arg in Zweifel zog. Sinngemäß soll Esch gesagt haben, Schickedanz sei eine Hausfrau, die vom Geschäftlichen nichts verstehe. Esch bestreitet das ebenso, wie alle anderen Vorwürfe.
In Essen beschäftigt sich am Donnerstag ebenfalls ein Gericht mit der Arcandor-Pleite. Middelhoff steht auch dort im Mittelpunkt. Die Staatsanwaltschaft Bochum fordert für den einstigen Chef von Bertelsmann im Strafverfahren wegen schwerer Untreue drei Jahre und drei Monate Haft. Die Staatsanwaltschaft sieht es als erwiesen an, dass der 61-Jährige seine Treuepflichten verletzt und dem pleitegegangenen Arcandor-Konzern in 44 Fällen geschadet habe. So habe Middelhoff etwa mit einer einzigen New-York-Reise für einen Schaden in der Höhe von mehr als 91.000 Euro gesorgt.
Das Schicksal der früher größten europäischen Privatbank und des von Middelhoff geführten Handelskonzerns waren während der Finanzkrise eng miteinander verwoben. Als Großaktionär wurde Sal. Oppenheim von der Arcandor-Insolvenz im Sommer 2009 mit in den Abwärtsstrudel gerissen. Die Deutsche Bank übernahm Sal. Oppenheim schließlich 2010 in stark verkleinerter Form.