Seit zwei Monaten läuft der Strafprozess gegen den früheren Drogeriekönig Anton Schlecker und seine Familie vor dem Landgericht Stuttgart. Die ersten Zeugen wurden vernommen, der Hauptangeklagte Schlecker gab zu Beginn des Prozesses eine Erklärung ab. Doch ein Kernpunkt der Anklage blieb bislang ungeklärt: Die Rolle der LDG.
Das Kürzel steht für Logistik und Dienstleistungsgesellschaft. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat den Verdacht, dass Anton Schlecker über die LDG Millionenbeträge zu Gunsten der Familie aus dem Unternehmen gezogen hat, bevor es 2012 in die Pleite rutschte. Den Anklägern sind vor allem die Stundensätze suspekt, die der Schlecker-Konzern an die LDG gezahlt hat. Auch die LDG ging nach dem Aus von Schlecker in die Insolvenz.
Nun brachte ein wichtiger Zeuge zumindest ein wenig Licht ins LDG-Dunkel. Demnach hatte Schlecker operativ großen Einfluss auf die Logistik-Gesellschaft. „Da gab es keine richtigen Entscheidungen, die hatten ja ihre Vorgaben", sagte ein heute 90-jähriger früherer Prokurist im Prozess aus. Bei großen Investitionen - etwa bei der Beschaffung einer neuen Maschine - sei Schlecker persönlich gefragt worden, weil die Logistikfirma LDG erst später Reserven habe aufbauen können.
Der Mann galt schon vor der Verhandlung als Schlüsselzeuge. Fast 50 Jahre arbeitete er für die Firma Schlecker. Er galt als rechte Hand Anton Schleckers, hatte tiefe Einblicke in alle Geschäfte und zog jahrelang die Strippen in dem Drogeriemarkt-Imperium. "Ich hielt ihn immer für Weltklasse", sagte Anton Schlecker selbst über ihn in dem Prozess. Er habe dem Mann vertraut, wie nur wenigen im Leben. Auch bei der Entführung der beiden Kinder in den Achtzigerjahren stand der Manager der Familie bei. "Er hat die Kinder aus der Hand der Entführer gelöst", erzählte Schlecker.
Mit verschränkten Armen saß der 90-Jährige am Dienstag im stuckverzierten Gerichtssaal des Ehinger Amtsgerichts unter einem Kristallleuchter. Schweigend, im etwas zu weit gewordenen dunklen Anzug wartet er die Viertelstunde ab, bis die Richter den in altrosa und beige gehaltenen Saal betraten. Nur einmal richtet er das Wort kurz an Anton Schlecker: „Blond geworden!“, spielt er auf Schleckers schlohweiße Haare an. „Mit dem Herrn Schlecker war ich per Du. Und zwar von Jugend auf. Er war sechs Jahre alt, als ich ihn kennenlernte“, sagte er später.
Seine Einschätzung zur Rolle der LDG ist wichtig. Schließlich gehörte die LDG auf dem Papier nicht zum Schlecker-Konzern, sondern war im Privatbesitz von Lars und Meike Schlecker und arbeitete völlig eigenständig. Offiziell waren die beiden Schlecker-Kinder zudem nur Gesellschafter, nicht aber Geschäftsführer des Unternehmens. Will die Staatsanwaltschaft beweisen, dass die LDG überhöhte Rechnungen gestellt hat und so Vermögen beiseitegeschafft wurde, muss sie zunächst belegen, dass der Schlecker-Clan und nicht die offizielle Geschäftsführung vollen Durchgriff auf den angeblich eigenständigen Logistikdienstleister hatte. Den Auftritt des Zeugen können die Ankläger daher wohl als Punktsieg verbuchen.
Stationen der Schlecker-Insolvenz
Schlecker meldet Insolvenz an.
Das Verfahren wird eröffnet. Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz hofft noch auf die Rettung von Teilen der Drogeriekette.
Es wird bekannt, dass Anton Schlecker sein Privathaus im Wert von zwei Millionen Euro vor der Insolvenz an seine Frau übertragen hat. Ein zweites Grundstück soll sein Sohn bekommen haben.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart leitet ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Untreue, Insolvenzverschleppung und Bankrott gegen Anton Schlecker ein.
Die Schlecker-Gläubiger fordern mehr als eine Milliarde Euro.
Der österreichische Investor Rudolf Haberleitner will 2013 bis zu 600 ehemalige Schlecker-Filialen mit dem Konzept eines modernen Tante-Emma-Ladens wiederbeleben.
Gut ein Jahr nach der Pleite zahlt die Familie Schlecker dem Insolvenzverwalter 10,1 Millionen Euro. Hintergrund ist der Streit um übertragenes Vermögen aus dem Unternehmen.
Haberleitner will einstige Schlecker-Filialen unter dem Namen Dayli wiederbeleben und Testläden in Deutschland eröffnen.
Noch vor dem geplanten Deutschland-Start ist der Schlecker-Nachfolger Dayli pleite.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erhebt Anklage gegen Anton Schlecker wegen vorsätzlichen Bankrotts.
Der Insolvenzverwalter reicht Klage gegen ehemalige Schlecker-Lieferanten ein. Sie sollen Schlecker wegen illegaler Preisabsprachen um viel Geld gebracht haben. Geiwitz will Schadenersatz in Millionenhöhe.
Es wird bekannt, dass das Landgericht die Anklage zulassen will. Der Schlecker-Prozess soll im März 2017 beginnen.
Der Prozess vor dem Landgericht Stuttgart beginnt.
Staatsanwalt Thomas Böttger fordert für Anton Schlecker drei Jahre Haft. Lars Schlecker soll nach dem Willen der Staatsanwälte zwei Jahre und zehn Monate in Haft, Meike zwei Jahre und acht Monate. Die Verteidigung hält die Forderungen für „überzogen“, nennt aber selbst kein empfohlenes Strafmaß.
Das Urteil des Landgerichts Stuttgart ist am Ende doch eine Überraschung: Anton Schlecker muss nicht ins Gefängnis. Das Gericht verurteilte den 73-Jährigen wegen vorsätzlichen Bankrotts zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 54.000 Euro. Schleckers Kinder Lars (46) und Meike (44) wurden dagegen zu Haftstrafen von zwei Jahren und acht Monaten beziehunsgsweise zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, unter anderem wegen Insolvenzverschleppung, Untreue und Beihilfe zum Bankrott.
Der 90-Jährige hatte ab 2004 geholfen, die LDG aufzubauen - um zunächst den Online-Versand von Drogerieartikeln zu organisieren. Später wickelte die LDG die gesamte Lieferkette von der Warenannahme im Zentrallager bis zur Belieferung der Filialen ab.
Der Ex-Prokurist zeichnete vor Gericht ein recht widersprüchliches Bild von der Zusammenarbeit mit der LDG. Einerseits bestätigte er, dass die Arbeitszeit-Abrechnungen der LDG-Mitarbeiter durch die Schlecker-Buchhaltung gingen. Andererseits habe er nicht gewusst, dass die LDG zumeist eine ungewöhnlich hohe Gewinnspanne von 50 Prozent und mehr erwirtschaftet habe. "Das war nicht meine Sache." Der Grund für die hohen Gewinne sind nach seiner Überzeugung rückblickend die Leiharbeiter gewesen, die das knapp 700 Mitarbeiter starke LDG in großem Stil beschäftigt habe. Deren Fehler im Versand an die Drogerie-Filialen seien zulasten von Schlecker gegangen. "Die Leiharbeiter waren das Teuerste, was Schlecker passieren konnte." Doch ein anderer Anbieter, der die Logistik hätte organisieren wollen, habe sich nicht gefunden.
Zwischen Schlecker und ihm kam es 2009 zum Bruch. Nur als Meike Schlecker nach der Insolvenz um Unterstützung bei den Verhandlungen um die LDG bat, kehrte der frühere Vertraute noch einmal zurück. Auch im Gerichtssaal wurde er von Meike Schlecker zur Begrüßung umarmt. Er hätte aber auch „Ja“ gesagt, wenn Anton Schlecker ihn um Hilfe gebeten hätte, als ihm bewusst war, die Firma sei nicht mehr zu retten, sagt er aus und fügt an: „Aber, jetzt kommt's; der Herr Schlecker war nie der Meinung, dass es das Ende ist.“
Mit Material von dpa