Schlecker-Pleite „Schlecker wurde sehr sparsam geführt“

Fünf Jahre nach der Pleite zieht Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz Bilanz: Er fordert von Lieferanten 335 Millionen Euro Schadensersatz und bewertet die Rolle von Anton Schlecker neu.

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Schlecker: Fünf Jahre nach der Pleite. Quelle: imago images

WirtschaftsWoche: Herr Geiwitz, vor fünf Jahren hat die Drogeriekette Schlecker Insolvenz angemeldet. Was ist von dem Konzern übrig geblieben?
Arndt Geiwitz: Im Ausland existieren bis auf Österreich noch alle Geschäfte unter anderem Namen, in Deutschland nicht viel. Es gibt einige Eigenmarken von Schlecker, die nun von anderen Händlern genutzt werden. Aber in Deutschland sind alle Schlecker-Filialen geschlossen worden, die Immobilien des Konzerns wurden großteils verkauft. Auch die frühere Konzernzentrale, ein Glaspalast in Ehingen, gehört einem neuen Besitzer.

Ist die Marke Schlecker noch zu haben?
Jederzeit, wenn Sie einen ordentlichen Betrag auf den Tisch legen. Aber im Ernst: Der Name Schlecker wird nicht unbedingt mit einem erfolgreichen Geschäftsmodell in Verbindung gebracht. Wir wollen die Marke auch nicht an Glücksritter verkaufen, die den Namen dann für fragwürdige Geschäfte missbrauchen. Das macht es schwer, einen Käufer zu finden. Das Thema steht auf unserer Prioritätenliste aber ohnehin nicht an erster Stelle.

Sondern?
Schlecker wurde in der Vergangenheit durch Kartellabsprachen verschiedener Lieferanten massiv geschädigt. Wir gehen gegen die Beteiligten aus fünf Kartellen gerichtlich vor, darunter sind Hersteller von Kaffee, Süßwaren, Drogerieartikeln und Waschmitteln. Die Kartelle sind eindeutig belegt, und das Bundeskartellamt hat bereits entsprechende Bußgelder verhängt. Wir fordern nun Ersatz für den Schaden, der Schlecker durch die überhöhten Preise entstanden ist.

Schlecker-Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz Quelle: Wolf Heider-Sawall für WirtschaftsWoche

Um welche Summen geht es?
Insgesamt belaufen sich unsere Forderungen auf rund 335 Millionen Euro ohne Zinsen. Bei den Herstellern, die wir verklagen, sorgt das natürlich nicht gerade für Begeisterung. Direkt nachdem wir eine Klage eingereicht hatten, wurde ich von einem Managers eines betroffenen Konzerns gefragt, ob der Fall Schlecker nicht schon genug Schaden angerichtet habe.

Was haben Sie geantwortet?
Dass ich das Unternehmen nicht aus Spaß verklage, sondern dass es meine Aufgabe als Insolvenzverwalter ist, dafür zu sorgen, dass der finanzielle Schaden für die Gläubiger so gering wie möglich ausfällt. Schadensersatzzahlungen kämen in erster Linie den rund 27.000 früheren Beschäftigten von Schlecker zugute. Insgesamt haben wir in dem Verfahren zwar bereits rund 270 Millionen Euro an Gläubiger ausgezahlt. Das Geld floss aber zunächst vor allem an Lieferanten und Gläubiger, die über Sicherheiten verfügten. Sollten nun die Kartellverfahren Erfolg haben, würden die ehemaligen Mitarbeiter davon am stärksten profitieren. Die rechtliche Auseinandersetzung dürfte einige Zeit dauern, aber wenn wir jetzt das Verfahren beenden würden, wäre niemandem geholfen.

Die Schlecker-Insolvenz in Zahlen

Wie lange wird Sie der Fall beschäftigen?
Ohne die Kartellverfahren wären wir in zwei Jahren durch. Aber mit dem Risiko, dass wir uns durch die Instanzen prozessieren müssen, könnte sich das Verfahren deutlich verlängern. Ich gehe davon aus, dass das Schlecker-Insolvenzverfahren insgesamt noch vier bis fünf Jahre dauern wird.

"Aber solche Dimensionen hatte ich nicht erwartet,..."

Hätten Sie das am Anfang gedacht?
Natürlich habe ich geahnt, dass es ein Mammutverfahren werden könnte. Aber solche Dimensionen hatte ich nicht erwartet, und auch die Wahrnehmung des Falls in der Öffentlichkeit habe ich unterschätzt. 2012 fiel der Name Schlecker in den Medien öfter als der von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Warum hat der Fall solche Wellen geschlagen?
Es kommen mehrere Faktoren zusammen: Durch Tausende Läden in Deutschland und Europa war die Marke omnipräsent. Jeder kannte den Schriftzug Schlecker. Es gab im Vorfeld jahrelangen Streit mit der Gewerkschaft Verdi und einen verschwiegenen Patriarchen, der den Konzern steuerte. Das war Öffentlichkeitswirkung pur, jeder sagte: „Was für ein Drama“, und wir mussten uns in dem Chaos zunächst einen Überblick verschaffen.



Wann haben Sie von Ihrer Bestellung zum Schlecker-Insolvenzverwalter erfahren?
Am Freitag vor dem eigentlichen Insolvenzantrag hat sich das zuständige Gericht bei mir gemeldet und abgefragt, ob die Kanzlei über ausreichend Kapazitäten für ein solches Großverfahren verfügen würde. Insofern hatten wir die Chance, uns an dem Wochenende intern vorzubereiten. Als am Montag dann der offizielle Beschluss vorlag, sind wir direkt mit 22 Mitarbeitern unserer Kanzlei ins Unternehmen gegangen. Das war auch notwendig, um den Betrieb am Laufen zu halten.

Was waren dabei Ihre wichtigsten Aufgaben?
Wir mussten in 6000 Filialen die Ware sichern und die Betriebsfortführung organisieren. Wir konnten die Mitarbeiter nur über Fax oder indirekt über die Presse erreichen, weil es keine internen Kommunikationsmittel wie Intranet gab. Zudem war die Rechtsform äußerst ungewöhnlich für ein Unternehmen dieser Größenordnung. Das Unternehmen wurde sehr sparsam geführt, die Verwaltung war ungefähr nur ein Drittel so groß wie vergleichbare Unternehmen. Das erschwerte unsere Arbeit, da wir viele Daten selbst erheben mussten. Anton Schlecker führte den Konzern als Einzelkaufmann – mit allen Konsequenzen. Er haftet mit seinem Privatvermögen für die Drogeriekette.

Dadurch sind Sie auch Insolvenzverwalter des Privatmanns Anton Schlecker. Wie oft sehen Sie ihn?
Ich glaube, dass es weder für Herrn Schlecker noch für mich Sinn machen würde, wenn wir uns allwöchentlich zum Kaffeetrinken treffen würden. Ich habe regelmäßig mit seinem Anwalt zu tun. Alle Unterlagen oder Auskünfte, die ich benötige, bekomme ich umgehend.

Anton Schlecker wohnt in einer Villa und fährt Porsche. Das ist kaum die normale Grundausstattung eines Privatpleitiers.
Herrn Schlecker gehören diese Vermögensgegenstände nicht.

Aber seiner Familie.
Es gibt zum Glück keine Sippenhaft im deutschen Recht. Wenn ihn seine Kinder oder seine Ehefrau während des Insolvenzverfahrens unterstützen, dann schadet das in keiner Weise den Gläubigern und ist von mir auch nicht zu beanstanden. Solange die Wohlverhaltensphase läuft, gilt für Herrn Schlecker das Gleiche wie für jeden anderen Privatschuldner. Er muss in dieser Zeit mit den Gläubigern kooperieren und sein Vermögen offenlegen.

Wann wird Schlecker von seinen restlichen Schulden befreit?
Die Wohlverhaltensphase von Herrn Schlecker endet im kommenden Jahr. Im Normalfall wird dann die sogenannte Restschuldbefreiung erteilt. Spielen die Gläubiger mit, wäre Herr Schlecker 2018 wieder schuldenfrei.

Davon ist bei 20.000 Gläubigern und ihrer Wut auf Schlecker kaum auszugehen.
Falls einzelne Gläubiger gegen die Restschuldbefreiung vorgehen, muss das Insolvenzgericht über den Fall entscheiden und beurteilen, ob ein Grund für die Versagung der Restschuldbefreiung vorliegt oder nicht.

Prozessauswirkungen auf das Insolvenzverfahren

Das soll auch der Strafprozess klären, der im März am Landgericht Stuttgart startet. Schlecker wird vorsätzlicher Bankrott vorgeworfen. Seine Ehefrau und seine Kinder sind wegen Insolvenzdelikten angeklagt. Welche Auswirkungen hat der Prozess auf das Insolvenzverfahren?
Es geht ab März um die strafrechtliche Aufarbeitung, nicht um meine Ansprüche als Insolvenzverwalter. Falls es vor Gericht neue Erkenntnisse gibt, etwa zu bisher unbekannten Konten oder Vermögenstransfers, könnte das zwar durchaus zu neuen Ansprüchen führen. Aber aktuell ist das reine Theorie. Bei der Aufklärung von Vermögensübertragungen war die Familie gegenüber der Insolvenzverwaltung immer kooperativ. Wir haben uns daher bereits im Frühjahr 2013 mit der Familie Schlecker zivilrechtlich geeinigt. Die Familie zahlte freiwillig 10,1 Millionen Euro in die Insolvenzmasse, und wir verzichteten im Gegenzug auf die Rückübertragung einzelner Immobilien und anderer Werte. Die Anklage ist nun die strafrechtliche Seite dessen, was 2013 passiert ist.

Spüren Sie unter früheren Mitarbeitern Genugtuung darüber, dass sich Schlecker nun vor Gericht verantworten muss?
Dafür liegt die Enttäuschung bei den meisten Betroffenen wohl schon zu weit zurück. Viele frühere Mitarbeiter und Lieferanten sehen Schleckers Rolle übrigens auch nicht so negativ, wie es oft dargestellt wird. Wenn man frühere Vermögenswerte betrachtet, hat Schlecker selbst das meiste Geld durch die Insolvenz verloren. Und: Die Familie hat auch viel Kapital in die Firma investiert, als es schon bergab ging. So viel Unternehmertum ist heute nicht mehr selbstverständlich. Schlecker war – wie viele andere Patriarchen in der deutschen Wirtschaft – sicherlich beratungsresistent und hat zu spät auf die Krise seines Unternehmens reagiert. Aber Herr Schlecker hat sich nicht aus der Verantwortung gestohlen.

Was wurde eigentlich aus Schlecker?
1975Der 1944 geborene Anton Schlecker, Sohn eines Fleischwarenfabrikanten, eröffnet in Kirchheim unter Teck seinen ersten Drogeriemarkt. Schleckers Strategie: Er eröffnet die Läden an strukturell wenig attraktiven Standorten in Wohngebieten. Die Filialen sind klein und spartanisch ausgestattet. Schlecker handelt mit Lieferanten beste Konditionen und lange Zahlungsziele aus, um so die Expansion zu finanzieren. Und seine Kette expandiert schnell: Schon zwei Jahre später zählt Schlecker mehr als 100 Filialen, 1984 gibt es bereits 100 Drogeriemärkte.
1987Die Kinder der Schleckers, Lars (r.) und Meike (nicht im Bild) werden am 22. Dezember entführt. Ihr Vater handelt das Lösegeld von 18 auf 9,6 Millionen D-Mark herunter, die Summe, über die er versichert ist. Kurz vor Heiligabend können sich die Kinder selbst befreien. Die Täter werden 1998 gefasst. Quelle: dpa Picture-Alliance
1987-1998Im Jahr 1987 eröffnet Schlecker die ersten Filialen im Ausland. Er expandiert wie im Rausch: 1995 kommt Schlecker bereits auf 5800 Filialen und beschäftigt rund 25.000 Mitarbeiter. Doch Schleckers Image als Arbeitgeber leidet: 1994 wird der Familie vorgeworfen, Scheinarbeitsverhältnisse zu betreiben und unter Tarif zu bezahlen. Auch die Gründung von Betriebsräten soll systematisch blockiert worden sein. 1998 werden Anton Schlecker und seine Ehefrau Christa zu jeweils zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Der Grund: Das Amtsgericht Stuttgart sieht es als erwiesen an, dass das Ehepaar seinen Mitarbeitern tarifliche Bezahlung vortäuschte Quelle: imago images
Schlecker-Tochter IhrPlatz stellt Insolvenzantrag2007 kaufte die Drogeriekette den insolventen Konkurrenten Ihr Platz. 700 Standorte kamen auf einmal dazu, Schlecker zählte nun 14.400 Ableger in 17 Ländern. Ein Höhepunkt. Quelle: dapd
Schlecker reicht Insolvenzantrag einDoch der Abstieg war schon zu ahnen: 2011 holte Anton Schlecker seine beiden Kinder Lars (links) und Meike (rechts) in die Unternehmensführung. Zuvor war die Drogeriekette wieder einmal wegen dem Umgang mit den Mitarbeitern in die Kritik geraten. Laut Medienberichten überwachte Schlecker seine Mitarbeiter, auch der Vorwurf der schlechten Bezahlung wurde erneut erhoben. Viele Medien sahen die neue Familiengeneration an der Spitze als Ablenkungsmanöver.Bild: Montage der Familie Schlecker. Quelle: dapd
Mit einer Marketingkampagne wollte das Unternehmen sein angeschlagenes Image 2011 wieder aufpolieren. Doch der Denglisch-Spruch „For you. Vor Ort.“ stößt bei Sprachwächtern auf Kritik. Ein Sprecher des Unternehmens rechtfertigt sich in einem Brief damit, dass die Kunden ein „niedriges Bildungsniveau“ hätten – der Brief gerät an die Öffentlichkeit und löst einen Shitstorm aus. Gleichzeitig machen sich die Bilanzprobleme immer stärker bemerkbar. Noch im selben Jahr werden 600 Filialen geschlossen, weitere sollen 2012 folgen. Quelle: imago images
For You. Vor Ort. Vorbei.Im Januar 2012 erklärte sich Schlecker als zahlungsunfähig und meldete Insolvenz an. Rund 2400 Läden sollten geschlossen werden. Quelle: dapd

Was führt zu dieser Beratungsresistenz?
Das Eingeständnis, dass es so nicht weitergehen kann, ist immer schwierig. Bei Patriarchen kommt hinzu, dass sie ihr Unternehmen oft aufgebaut und zum Erfolg geführt haben. In ihrer Umgebung werden sie teils als Halbgötter verehrt, solange es aufwärtsgeht. Umso größer ist in Krisensituationen dann die Angst vor einem Ansehensverlust. Eine Restrukturierung wird als persönliches Scheitern wahrgenommen. Statt sich Hilfe zu suchen, machen Patriarchen oft einfach weiter, bis es nicht mehr geht.

Sind Patriarchen ein Sanierungshindernis?
Im Gegenteil: Wenn es gelingt, den Patriarchen davon zu überzeugen, dass er beim Kurswechsel mitzieht, steigen die Sanierungschancen. Er hat sein Unternehmen so aufgebaut, dass ihm alle Mitarbeiter loyal folgen. Gegen seinen Willen läuft dagegen nichts. Deshalb ist es wichtig, den Patriarchen ins Boot zu holen.

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