Im Grunde müsste sie nach Heu schmecken, ein bisschen Öko vielleicht – nicht zu süß und frech-pfeffrig im Abgang. Mit dieser Geschmacksnote hätte eine Tafel Ritter Sport alles, wofür das Unternehmen derzeit steht. In diesem Jahr haben die Waldenbucher ihren 100-jährigen Geburtstag gefeiert. Ein Jahrhundert, das ist mehr Tradition als viele andere Unternehmen verkraften – das Althergebrachte wird bei ihnen so sehr zum Kern der Marke, dass der Konsument den Staub förmlich auf der Zunge spürt.
Ritter Sport hat es geschafft sich den Knack zu bewahren. Dabei machen die Ritters eigentlich nichts besonderes, im Gegenteil – das Sortiment müsste man genau genommen als konsequent langweilig beschreiben.
In erster Linie gibt es Schokoladentafeln – quadratisch, praktisch gut, immer im selben Format. Manchmal scheint diese Beständigkeit am Firmenchef selbst zu knabbern. Während die Konkurrenz wie Lindt& Sprüngli und Milka die Supermärkte ab Oktober mit Weihnachtspralinen und Schokomännern schwemmt, gibt es von Ritter lediglich zwei spezielle Herbst-Wintergeschmackssorten in diesem Jahr Kokosmakrone und dunkle Nugatcreme. „Im Weihnachtsgeschäft sind wir unterrepräsentiert“, mäkelt Alfred T. Ritter in einem Interview, „aber stellen Sie sich mal einen quadratischen Schokoladen-Weihnachtsmann vor?“. Es muss eben alles ins Schema passen. Ritter ist konsequent, geradlinig, fast schon puristisch und das längst nicht nur, was die akkurat-quadratischen Tafeln betrifft.
Alfred Ritter ist überzeugter Öko-Unternehmer. Der 59-jährige Enkel des Firmengründers, gilt als einer der umtriebigsten Verfechter grüner Energien im Ländle. Als 1986 durch die Atomkatastrophe in Tschernobyl die komplette Haselnussernte verstrahlt wird, entschließt er sich selbst im Geschäft mit erneuerbaren Energien aktiv zu werden. Ein paar Jahre später ist er Mitbegründer der börsennotierten Freiburger Solarfabrik, eines der ersten Unternehmen, das sich in Deutschland mit der kommerziellen Anwendung der Fotovoltaik befasst hat. Zudem gründete der 59-jährige Chocolatier die heutige Ritter Energie- und Umwelttechnik.
Ritter Sport - die vergangenen Jahre in Zahlen
Alarmstimmung im Hause Ritter: 2006 bis 2008 verlor Ritter Sport insgesamt 2,7 Millionen Euro. 2007 rutschte der Schokoladenhersteller schließlich in die roten Zahlen. Steigende Rohstoffpreise, unter anderem für Getreide, Milchprodukte und Nüsse, machten das Firmenüberleben noch schwieriger.
Eine 100-Gramm-Tafel Schokolade wurde 2008 um ein Fünftel teurer. Das hievte das Familienunternehmen wieder knapp über die Nulllinie, doch der Umsatz ging weiterhin zurück.
Die große Trendwende: Die Erlöse stiegen um 3,4 Prozent auf 290 Millionen Euro. Schon 2009 konnte bekannt gegeben werden, dass die Rückkehr in die schwarzen Zahlen geschafft war. Noch besser: Der Umsatz kletterte um 32 Millionen Euro auf den Rekordwert von 330 Millionen Euro.
Gründerenkel Alfred T. Ritter setzte auf zeitlich limitierte Angebote besonderer Sorten und die Riesentafeln von 250 Gramm. Damit konnte er die Erlöse wieder ankurbeln.
Zum Jahresbeginn 2012 heißt es, dass wegen steigernder Rohstoffpreise etwa für Milch, Zucker oder Nüsse der Gewinn im Vorjahr ziemlich dünn ausgefallen sei. Die steigenden Rohstoffkosten drückten die Gewinnzahl merklich. Allein der Haselnusseinkauf für das Jahr 2012 habe sieben Millionen Euro mehr gekostet als eingeplant
Derzeit werden im Schwabenland täglich rund 2,5 Millionen Tafeln – 24 fixe und je drei saisonale Sorten - produziert.
Das Unternehmen produziert unter anderem Kollektoren, die Sonnenlicht zur Erwärmung von Wasser nutze; die sogenannte Solarthermie. 2009 erlitt die Ökofirma jedoch einen schweren Umsatzeinbruch, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat. Grund: Die immer billiger gewordene Fotovoltaik hat der Solarthermie den Rang abgelaufen.
Anders als viele Konkurrenten macht auch die Solar-Fabrik derzeit Gewinn. Doch der Kurs der Aktie ist tief gefallen: Derzeit notiert das Papier bei 2,55 Euro. Im April 2007, auf dem Höhepunkt des Solarhypes, standen die Kurse zeitweise sogar mehr als zehnmal so hoch. Ritters Aktienpaket von 19 Prozent wurde damals mit rund 50 Millionen Euro bewertet. Daran gemessen liegt sein Buchverlust heute bei rund 45 Millionen Euro.
Von solchen Berechnungen will der Solarmäzen aber wenig wissen. Er hält unbeirrbar an seinem Engagement fest, wie er der WirtschaftsWoche sagt: „Solarthermie und Fotovoltaik sind für mich klare Zukunftstechnologien, deren technologische Marktführerschaft derzeit in Deutschland liegt.“
Überlebenskampf und Rekordumsätze
Eine große Portion Gutmensch steckt unbestritten in Alfred Ritter – aber eben auch der knallharte Geschäftsmann. 2005 setzten die Geschwister Ritter den langjährigen Geschäftsführer Olaf Blank überraschend ab – angeblich ist man sich über die Expansionsstrategie des Unternehmens nicht einig. Alfred Ritter regiert das Schokoimperium fortan selbst.
Die ersten Jahre als Chef sind kein Zuckerschlecken. 2007 schreibt Ritter Sport Verlust, erst 2008 gelingt der Turnaround. Die Schwaben fahren sogar einen Rekordumsatz von 330 Millionen Euro um. Wie es um den Gewinn steht, darüber macht Ritter traditionell keine Angaben. 2010 solle eine schwarze Null gestanden haben, fette Gewinn wird es sicher nicht gegeben haben.
Schokoladenliebhaber spüren den Überlebenskampf des Mittelständlers am eigenen Geldbeutel. 2008 steigt der Preis für eine Tafel Ritter Sport um 20 Prozent, 2012 hebt Ritter die Preise nochmals von 95 auf nun 99 Cent an. Die Preise habe man nur deshalb anheben müssen, wiederholt Alfred Ritter gebetsmühlenhaft, weil die Rohstoffpreise in dieser Zeit so stark gestiegen seien. Die Preiserhöhungen sind für ihn zum Reizthema geworden - aus verständlichem Grund.
2010 berichteten Medien von einem Schokoladenkartell. Ritter, Mars, Haribo und Nestlé sollen sich 2006 und 2007 regelmäßig zu informellen Gesprächskreisen getroffen haben. Dabei sei auch über die Rabattforderungen des Einzelhandels und die geplanten Reaktionen darauf gesprochen worden. Im August hat das Bundeskartellamt deshalb gegen Haribo eine Geldbuße von rund 2,4 Millionen Euro verhängt. Gegen die anderen Süßwarenhersteller wird noch ermittelt.
Rund ums Schokoladenquadrat
Die quadratische Tafel existiert bereits seit 1932. Die viereckige Form der Schokoladentafel dachte sich die Oma vom jetzigen Firmenchef Alfred T. Ritter aus, berichtet die Firma. Sie beobachtete 1932 Menschen auf dem Weg zum Fußballplatz in Waldenbuch, die Schokolade als Snacks für die Spielpause in die Jackentaschen steckten. „Die Tafeln haben immer oben rausgeschaut und sind leicht zerbrochen“, erzählt der heutige Chef Alfred T. Ritter. „Meine Großmutter wollte eine Tafel machen, die ins Sportjackett passt.“ Die Schokolade, die sie daraufhin ihrer Familie präsentierte war quadratisch und dicker als die üblichen, länglichen 100-Gramm-Tafeln.
Es gibt nur einen Produktionsort für die quadratische Schokolade: den Standort in Waldenbuch bei Böblingen. An dem soll auch festgehalten werden. Hohe Sicherheit, gute Infrastruktur und motivierte Mitarbeiter sind laut Gründer-Enkel Alfred T. Ritter die Vorteile der schwäbischen Produktionsstätte. Dies wiege niedrigere Lohnkosten im Ausland mehr als auf. Mitarbeiter bezeichnet Ritter als Freunde. Sein Credo: „Bei Schokolade schmeckt man, wie es den Leuten geht, die sie produzieren.“
Mittlerweile kann die quadratische Schokolade in über 90 Ländern weltweit gekauft werden. Vor allem auf dem europäischen Markt ist Ritter Sport stark vertreten. In den nächsten Jahren möchte die Alfred Ritter GmbH aber noch weiter expandieren, so eine Sprecherin.
Ritter bestreitet die Vorwürfe, es habe keine Preisabsprachen gegeben. In einem Interview prophezeit er den drohenden Untergang des Unternehmens, sollte die Kartellbehörde ein Bußgeld in Höhe von 30 Millionen Euro verhängen. Diese Höhe wäre theoretisch möglich. „Das wäre das Ende. Die Firma wäre zwar nicht von heute auf morgen zahlungsunfähig, aber so sterbenskrank, dass ich sie nicht fortführen würde“, sagte Ritter damals. Soweit wird es kaum kommen, denn auch das Bundeskartellamt würde im Falle einer Strafe das Maß wohl deutlich niedriger anlegen. Ein bitterer Nachgeschmack bleibt. Bis auf das Endprodukt ist das Schokoladengeschäft weit weniger süß als Naschkatzen glauben.
Rohstoffpreise als drängendstes Problem
Das drängendste Problem sind die schon erwähnten steigenden Rohstoffpreise. Seit Hedgefonds mitmischen, sei der Markt für Kakao uneinschätzbar geworden, klagt Ritter. Die alten Regeln gelten nicht mehr, weil Spekulanten große Mengen Kakao einkaufen, einlagern und bei Knappheit zu hohen Preise verkaufen. „Man bräuchte im Prinzip eine Glaskugel“, sagt Ritter. Bei Haselnüssen – hinter Kakao der zweitteuerste Rohstoff – sieht es kaum besser aus.
Binnen zweieinhalb Jahren haben sich die Preise verdoppelt. Allein im Jahr 2012 hat der Haselnusseinkauf Ritter sieben Millionen Euro mehr gekostet als geplant. Als reiner Chocolatier kann der Mittelständler die Mehrkosten nicht quersubventionieren. Ein Konzernriese wie Milka-Produzent Kraft Foods etwa kann in einem solchen Fall die Preisen bei anderen Warengruppen wie Frischkäse ebenfalls leicht anheben, um bei Schokolade nicht plötzlich 20 Prozent aufschlagen zu müssen.
Ritter versucht daher, sich zumindest einen Teil des benötigten Kakaos zu kalkulierbaren Preisen zu sichern - sozialverträglich und nachhaltig versteht sich. In Nicaragua fördert Ritter Sport seit 1990 den nachhaltigen Anbau von Kakao nach Bio-Standards. Die Bauern erhalten für die Bohnen eine Abnahmegarantie zu einem höherem als dem Weltmarktpreis. Immer mehr Bauern verkaufen an Ritter Sport. Die Konsumenten danken es Ritter Sport mit traumhaften Imagewerten. Im Markenmonitor BrandIndex des Kölner Markt- und Meinungsforschungsinstituts YouGov erreicht Ritter Sport 90 von 100 möglichen Punkten. „Ein so hohes Ansehen genießen branchenübergreifend nur sehr wenige Marken, etwa Canon, Audi oder Google“, ordnet Holger Geißler von YouGov den Wert ein.
Aber wie der gemeine Konsument nun einmal ist – er meint es nicht immer gut. Als Ritter Sport seine Fans aufrief, Vorschläge für neue Geschmacksorten einzureichen, folgten die Nutzer nicht ganz wie geplant. Ritter flatterten zu Hauf fies-kreative Ideen ins Haus, wie z.B. „Döner Kebab - mit ein bisschen scharf“, „Blutwurst – mit 50 Prozent Blut“ oder „Zwiebelmett“. Das Unternehmen reagiert gelassen und macht den Spaß mit. In einem Blog fasste das Social-Media Team des Schokoproduzenten die Vorschläge zusammen. So gut hat die Sozialen Medien derzeit keine andere Schokoladenmarke im Griff. In der Studie der Marktforschungsberatung researchtool 2011 liegt Ritter Sport mit seiner Social Media-Strategie nämlich ganz vorn.
Zu „Döner - mit ein bisschen scharf“ konnte man sich bei Ritter Sport dann aber doch nicht durchringen. Die Sorte des Jahres 2013 dürfte ganz nach Geschmack des Chefs sein: klassisch, pur und einen Hauch modern: Kokos.