Die Patek Philippe Grand Complication Ref. 5104P ist ein Sammlerstück sondergleichen. Wie viele Modelle der Uhr überhaupt existieren, ist nicht bekannt. Jedes Jahr wird nur eine Handvoll gefertigt.
Die Freunde der Haute Horlogerie schätzen das 43 Millimeter breite Gehäuse aus Platin, den Boden aus Saphirglas, das Armband aus Krokodilleder. Das verglaste Ziffernblatt gewährt Einblick in das hochkomplexe Innenleben der Automatikuhr. 2013 wurde ein Modell für mehr als eine halbe Millionen Euro verkauft.
Das Besondere: Die Uhr ging nicht über die Ladentheke. Die Uhr wurde auf einem Online-Marktplatz für gebrauchte und neue Luxusuhren verkauft, der zu dem Zeitpunkt gerade einmal ein Jahr alt war: Chronext.
Was den Deutschen beim Online-Luxus-Kauf wichtig ist
Fragestellung: Wie wichtig sind Ihnen folgende Faktoren beim Einkauf in einem Online-Luxus-Shop?
Quelle: McKinsey Verbraucherumfrage unter 550 Teilnehmern, Juni 2014
Eine Lieferung noch am gleichen Tag
Exklusiver Zugang zum Shop, den nur ausgewählte Kunden nutzen können
Eine persönliche Einkaufsberatung
Der Shop besitzt neben dem Online-Auftritt auch Ladenlokale, die ich vorher schon einmal besucht habe
Der Online-Shop bietet Newsletter-Abonnements oder redaktionelle Inhalte auf der Seite
Frühere Verfügbarkeit bestimmter Produkte als im Geschäft
Die Möglichkeit, das Produkt in zwei Größen zu bestellen und umzutauschen, falls es nicht passt
Exklusive Online-Angebote
Kostenlose Lieferungen
Komfortable Rückgabebestimmungen
Die Luxusbranche setzte im vergangenen Jahr rund eine Billion Euro um, ein Viertel davon entfiel auf Gegenstände des persönlichen Gebrauchs: Designermode, teure Accessoires und edle Uhren wie die Patek Philippe.
Das Gros der Umsätze mit Luxusgütern wird bis heute in den Boutiquen der Metropolen erzielt – laut Ernst & Young Luxury Business Report sind es 66 Prozent. Doch der Vertrieb über Retail- und Onlineshops nimmt jährlich zu. Seit 2012 hat sich der Marktanteil verdoppelt. Mehr als 16 Milliarden Euro werden damit pro Jahr im Netz umgesetzt. Ein immer größerer Teil davon entfällt auf gebrauchte Ware.
„Uhren, Mode und Accessoires – insbesondere Taschen – sind prädestiniert für den Second-Hand-Onlinehandel“, sagt Petra-Anna Herhoffer. Sie ist Mitautorin des E&Y-Reports und Gründerin des auf Luxus spezialisierten Beratungsunternehmens Inlux.
Warum die Louis Vuitton-Tasche verkaufen?
„Die Marktplätze ermöglichen es den Kunden, Produkte schneller zu wechseln“, sagt Herhoffer. Beginnt das Prada-Kostüm zu zwicken, lässt es sich online immer noch zu Geld machen – etwa auf Marktplätze für Designermode wie Vestraire Collective oder Rebelle. Von dem Geld wiederum kann ein Kostüm gekauft werden, das die richtige Passform hat.
„Unsere Zielgruppe ist nicht darauf angewiesen, aussortierte Artikel zu Geld zu machen“, sagt Cécile Gaulke, Gründerin von Rebelle. „Sie ist berufstätig und hat wenig Zeit.“ Trotzdem werden monatlich zwischen 15.000 und 20.000 Produkte zu Rebelle geschickt – etwa sündhaft teure Taschen von Hermés oder Kostüme von Louis Vuitton; bei Chronext landen monatlich rund 1200 Luxusuhren – allein von Privatpersonen. Manche dieser Uhren gehen für sechsstellige Beträge weg. Die Hälfte seines Geschäfts macht Philipp Man, der Chronext 2013 mit Ludwig Wurlitzer gründete, mit gebrauchten Uhren.
"Warum Kleider lagern, die ich nie wieder anziehe?"
Experten schätzen, dass gut erhaltene Luxusprodukte im Schnitt noch rund 70 Prozent des Originalpreises einbringen. Bei besonders werthaltigen Marken übersteigt der Preis den Originalpreis sogar.
Wie sich unser Verständnis von Luxus verändert
Nur wenige Begriffe werden so inflationär und so unterschiedlich verwendet, wie der Luxus-Begriff. Die Vorstellung von Luxus ist nicht nur individuell unterschiedlich, sie unterliegt auch einem gesellschaftlichen Wandel. In einem idealtypischen Modell beschriebt das Schweizer Gottlieb Duttweiler Institut vier Phasen, die den Wandel des nachvollziehbar machen. Das Modell beschreibt einen Reifeprozess, der sich an den Lebensphasen orientiert;
Quelle: Gottlieb-Duttweiler-Institut. „Der nächste Luxus. Was uns in Zukunft lieb und teuer wird.“
Die erste Phase der Luxusentwicklung ist geprägt durch einen großen Konsumhunger, der mit dem was angeboten wird, befriedigt wird. Das vorherrschende Prinzip: „Mehr ist Mehr“. Dies ist vor allem auf aufstrebenden Märkten zu beobachten. Hier herrschen Nachholbedarf und das Verlangen aufzusteigen. Gleichzeitig gibt es ein Defizit.
Sie setzt Solvenz voraus, wird aber dominiert von einem verstärkten Wettbewerbsdruck. Der Traum von einem weiterem Aufstieg weicht der Angst vor einem Abstieg. Nun wird das „Mehr“ zum „Muss“. Güter mit Signalwirkung gewinnen an Bedeutung: Mein Haus, mein Auto, mein Diamantring.
Eine erste Luxusmüdigkeit setzt ein. Die Phase ist geprägt vom abnehmenden Grenznutzen. Die Erkenntnis, dass das Glücksfühl beim Erwerb eines Produkts abnimmt, je öfter und hindernisloser dieser möglich ist, stellt sich ein. Der Luxuskonsum verschiebt sich von der Produkt- auf die Erlebnisebene.
Die Ästhetik des neuen Luxus lässt sich für die Forscher des GDI auf den Begriff der Verschlichterung bringen. Luxuskonsumenten demonstrieren bewusst den Verzicht. Die Fähigkeiten, dass Reduzierte und Essentielle leben, aber lesen zu können rückt in den Vordergrund. Nur wer über materiellen Besitz verfügt, wird sich die Fähigkeiten aneignen können, um die Codes des neuen Luxus zu entziffern.
„Warum Kleider lagern, die ich nie wieder anziehe? Heute kommt es darauf an, Produkte zur Verfügung zu haben, wenn man sie braucht. Es ist nicht mehr so wichtig, viel zu besitzen“, sagt Gaulke. Was viele abschreckt: Das Inserieren im Netz ist mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden. Gaulkes Rezept: Den Verkauf so einfach wie möglich gestalten. Neben dem üblichen Prozess des selbst Inserierens bietet Rebelle den sogenannten Concierge-Service.
Die Verkäuferin meldet sich online an und Rebelle schickt ihr eine Box zu mit einem vorbezahlten und versicherten DHL-Aufkleber. In die Box packt die Verkäuferin die Produkte – egal ob eines oder 20. Rebelle übernimmt von der Warenannahme über die Qualitäts- und Echtheitsprüfung hin zum Fotografieren und Inserieren den gesamten Aufwand. Einmal die Woche erhält die Verkäuferin dann den Erlös – abzüglich zwischen 20 und 30 Prozent Provision.
Was reizt den Käufer?
Es ist nicht der Geiz, der Luxus-Jäger zu Online-Shoppern macht. „Schnäppchen werden auf solchen Luxus-Marktplätzen nicht gesucht, günstigere Angebote ja“, sagt Luxusexpertin Herhoffer. Die Luxusproduzenten hatten anfangs aufgrund des Internethandels befürchtet, dass die Exklusivität ihrer Marken leiden würde – und damit die Preise. „Das hat in der Branche für viel Diskussionsstoff gesorgt.“ Bewahrheitet hat sich due Befürchtung nicht. „Die Preise sind auf einem hohem Niveau geblieben“, sagt Herhoffer.
„Es gibt dieses Stigma, dass gebrauchte Luxusuhren von denen gekauft werden, die sich keine neuen leisten können“, sagt Chronext-Mitgründer Man. De facto sei der Preisunterschied zwischen neuen und gebrauchten Modellen aber oft so marginal, dass sich der Kauf lediglich des Preises wegen kaum lohne. „Es gibt viele Kunden, die Uhren wollen, die in der aktuellen Modellreihe nicht mehr verfügbar sind oder die explizit Modelle suchen, die Vintage-Charakter haben.“
Rebelle-Gründerin Cécile Gaulke verweist auf Modelle, deren Auflage so gering ist, dass sie als Neuware im Geschäft ohne längere Wartezeiten kaum zu haben sind – etwa Hermés-Taschen. „Da sorgt der Hersteller durch künstliche Verknappung dafür, dass die Taschen so rar sind, dass die Kundinnen deutlich über Neupreis zahlen, um dafür nicht auf die Tasche warten zu müssen.“
Wieso läuft das Geschäft mit Second-Hand-Luxus online so gut?
„Ein so vielfältiges und großes Angebot, wie Rebelle es macht, kann die Second-Hand-Luxus-Boutique in Citylage nicht bieten“, sagt Luxusexpertin Herhoffer. Das fängt bei der Provision an: In der Design-Boutique um die Ecke werden bis zu 60 Prozent Provision verlangt, Mode-Retailer Rebelle verlangt von Privatkunden die Hälfte, Chronext nimmt im Schnitt 16,5 Prozent.
Auch in puncto Sortimentsbreite können Filialen nicht mithalten. Bei Chronext sind aktuell 15.000 Uhren online – rund die Hälfte davon ist gebraucht. Bei Rebelle sind 65.000 Stücke gelistet – „alle handverlesen und kuratiert“, sagt Gaulke.
Während einzelne Filialen lokal weitgehend auf eine kleine Kundschaft beschränkt sind, sprechen die Online-Anbieter nicht nur den gesamten deutschsprachigen Raum an, sondern auch ein internationales Publikum. Chronext zielt auf Käufer in der ganzen Welt, Rebelle hat sich zuletzt neben dem deutschen Markt auf die Märkte in Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich und Italien spezialisiert. So schaffen die Online-Anbieter eine deutlich höhere Nachfrage. „Den Verkäufern bietet das den Vorteil, dass sie ihre Ware schneller verkaufen“, sagt Gaulke. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen höheren Preis erzielen, steigt mit jedem potenziellen Käufer.
Die höhere Nachfrage wiederum bringt weitere Vorteile, die auch aus anderen Bereichen des E-Commerce bekannt sind. Etwa eine deutlich größere Infrastruktur, die bei Luxusprodukten für den Kampf gegen Produktfälschungen genutzt wird.
Das Vertrauen ist die wichtigste Währung
Laut OECD werden jährlich 580 Milliarden Euro mit Produktfälschungen umgesetzt – vor allem online. „Vertrauen ist das wichtigste Kriterium, um im Second-Hand-Luxusmarkt überhaupt ins Geschäft zu kommen und sich langfristig zu etablieren“, sagt Luxusexpertin Herhoffer.
Chronext-Chef Man versucht Sicherheit in den für Fälschungen anfälligen Markt für gebrauchte Luxusuhren zu bringen. Das Konzept: Käufer und Verkäufer kommen nicht direkt miteinander in Kontakt.
Jede Uhr, die auf dem Marktplatz verkauft wird, wird vorher zu Chronext geschickt und von auf verschiedenen Marken spezialisierten Uhrenmeistern auf Echtheit und Qualität geprüft. „Bei extrem spezifischen Uhren, etwa Vintage-Stücken aus den Dreißigern, die mehrere Hunderttausend Euro kosten, ziehen wir externe Experten zurate“, sagt Man. „Geht etwas schief, ist es unsere Reputation, die leidet, da der Händler anonym verkauft.“ Den Anteil an Fälschungen, die bei Chronext eingeschickt werden, schätzt er auf unter einen Prozent.
Bei Mode-Artikeln scheint das Problem größer zu sein. Gaulke beziffert den Anteil der Fälschungen, die eingeschickt werden, auf fünf bis acht Prozent. Deswegen beschäftigt auch sie ein ganzes Team, das die Waren auf Echtheit und Qualität überprüft.
Die Aussichten für die Luxus-Retailer
Designer-Mode-Retailer wie Vestraire Collective oder Rebelle sprechen vor allem wohlsituierte Frauen an. Das Geschäft von Luxusuhren-Marktplätzen wie Chronext oder Chrono24 richtet sich an den vermögenden Mann. Gemeinsam ist beiden Anbieter-Gruppen, das Risikokapitalgeber aktuell viel Geld in sie investieren.
Seit 2009 wurden weltweit mehr als eine halbe Milliarde Dollar in Luxus-Marktplätze gesteckt. Chronext etwa hat erst Anfang dieser Woche elf Millionen Euro eingesammelt.
„Das Geschäft mit Luxusuhren verspricht sehr hohe Margen“, sagt Chronext-Gründer Man. Gebrauchte Luxusuhren im Wert von zehn Milliarden Euro wechseln jährlich den Besitzer. Digitalisiert worden sei der Markt bis dato aber kaum. „Bis jetzt findet nur ein oder zwei Prozent der Umsätze mit Luxusuhren online statt“, schätzt Man. Das Gros davon laufe nach wie vor über Ebay. „Da ist viel Potential, um ein Unternehmen aufzubauen, das mehrere Milliarden Euro wert sein kann.“
Zumal luxuriöse Uhren – unabhängig von der Konjunktur – sehr wertstabil sind. Gerade in Zeiten des Niedrigzinses, wo die Anleger nach alternativen Geldanlagen suchen, steigt die Nachfrage. „Eine gebrauchte Uhr hat schon einen gewissen Preisverfall hinter sich oder steigt sogar noch im Wert“, sagt Man. „Letztlich müssen wir der EZB danken.“ Die sorgt mit ihren Niedrigzinsen dafür, dass viele Anleger alternative Geldanlagen suchen – wie Luxusuhren.
Allein im vergangenen Jahr sind die Schweizer nach Angaben von Man um knapp 400 Prozent gewachsen, für das nächste Jahr peilt der Jung-Unternehmer 600 Prozent an. Dann soll der Umsatz erstmals die 100-Millionen-Euro-Marke überschreiten.
Auch wenn Man keine Angaben zum Gewinn machen möchte, versichert er: „Wir arbeiten operativ profitabel. An jeder Uhr, die wir verkaufen, verdienen wir Geld.“ In Anbetracht des Kaufpreises von mehreren tausend Euro pro Uhr, kann er nicht damit rechnen, dass Kunden mehrfach einkaufen und – wie etwa Zalando – erst beim dritten Einkauf seinen Schnitt machen.
Auch Rebelle ist auf Wachstumskurs. „Von 2014 auf 2015 sind wir um 150 Prozent gewachsen, ähnlich hohe Ziele haben wir für das kommende Jahr“, sagt Gaulke. Zum Umsatz und Gewinn will sie keine Angaben machen.
Ob die riesigen Wachstumsraten anhalten? Branchenkennerin Herhoffer ist sich da nicht sicher. Zwar glaubt sie an das Potenzial der Online-Marktplätze, verweist aber auf einen weiteren Tend: „Die Entwicklung von Sharing-Angeboten im Luxusbereich könnte noch interessant werden“, sagt sie. Anbieter wie Dresscoded etwa verleihen Designerkleider und Accessoires. „Warum soll ich ein Kleid, das ich womöglich nur einmal tragen werde, kaufen?“