Selbstversuch als UPS-Fahrer Als Postbote in New York

Normalerweise ist Thomas Jahn US-Korrespondent in New York und Washington. Einen Tag lang verdingte er sich als Fahrer für den Logistikkonzern UPS – und erfuhr, warum selbst Vorstände von dem Fahrer-Dasein schwärmen.

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Der US-Korrespondent auf Tour mit Paketzusteller Esau Badillo in Newe York. Quelle: Thomas Jahn

New York Die Laderollos von dem braunen UPS-Auslieferungswagen gehen hoch. Ein Haufen Pakete starren uns an. Groß, klein, alle möglichen Verpackungen. In Windeseile schnappt sich Esau Badillo ein Dutzend und sortiert sie nach Größe. Ganz unten der zusammenklappbare Kinderwagen Pockit – „den bestellen derzeit viele“, kommentiert Badillo –, ganz oben ein paar Briefsendungen.

Badillo ist das Hirn, ich bin der Muskel. Mangels Wissen schleppe ich. Ich fange gerade als UPS-Fahrer an und ich habe keinen blassen Schimmer, was zu tun ist. Also hole ich die Karre und stapele die Pakete auf, um sie zum nächsten Haus zu schieben.

Für ein paar Stunden arbeite ich in einem neuen Job: Pakete in meinem Viertel im Greenwich Village in New York ausstellen. Das Experiment bringt erfrischende Einsichten: Es wird gelacht, gescherzt, geflirtet in meiner Nachbarschaft. Portiers, Postboten und Ladenbesitzer spannen ein Netzwerk, von dem ich bislang nichts wusste. Mit der braunen UPS-Uniform mit dem goldenen Logo bin ich nicht mehr der deutsche Fremde, sondern Teil der Nachbarschaft.

Ich verstehe ein wenig besser, warum UPS-Vorstände so oft von dem Beruf schwärmen. Neue Führungskräfte müssen anfangs immer eine Weile ausliefern, egal, wie hoch sie angesiedelt sind. So kam Steve Gaut 2014 aus der Autobranche zu UPS, um Pressechef zu werden. Noch gut erinnert er sich, wie ihn sein Fahrer in Washington DC schwere Kartons mit Druckerpapier schleppen ließ. „Die Erfahrung will ich nicht missen“, meint er heute trotzdem.

Selbst Vorstandschef David Abney fing ganz unten bei UPS an. An der Delta State University in Cleveland verdiente er sich als Student Geld in einer UPS-Paketstation nebenher. Gleichzeitig mit seinem Universitätsabschluss bot ihm UPS die Fahrerposition an. „Das war meine erste Beförderung“, erinnert sich der 62-Jährige. Damals lernte Abney noch die Postleitzahlen auswendig, um seine Route zu optimieren.

Das sagt viel über die Unternehmenskultur von UPS. Am besten lässt sich das laut Satish Jindel von SJ Consulting im Vergleich zu Fedex herausstellen. „Bei Fedex übernachten Sie im Four Seasons, bei UPS im Hamptons Inn“, erzählt mir der Unternehmensberater und meint damit eine recht schlicht gehaltene US-Hotelkette.

Bescheiden, freundlich, bodenständig – das alles trifft auch auf meinen Kollegen Badillo zu. Geduldig erklärt er mir das DIAD oder „Delivery Information Acquisition Device“, ein mobiler Computer mit schwarz-weißen Bildschirm und einem Meer von Knöpfen.


Auf Entdeckungsreise durch Greenwich Village

Nächstes Lernkapitel: Der „Drei-Punkte-Kontakt“ beim Aussteigen. Das Festhalten mit der Hand am Metallbügel verringert den Druck auf die Knie. Bei 120 bis 180 Stopps am Tag summiert sich das. Die UPS rechnete das ganz genau aus: Ganze 30 Millionen Kilogramm trägt ein Fahrer durch den simplen Griff lebenslang weniger.

Jeder kennt Badillo, überall stellt er mich vor. Die Pförtner, die einen sonst ignorieren oder förmlich grüßen – auf einmal sind sie ganz normale Menschen. Zeigen einem ihre kleinen Geheimnisse, Stauräume, erzählen Geschichten aus der Nachbarschaft.

Das liegt natürlich auch an Badillo. Den 45-Jährigen muss man einfach mögen, smart, aufgeweckt, freundlich. Mit 18 Jahren kam er mit seiner Familie aus Ecuador in die USA, reparierte und reinigte erst Schuhe in einem Laden. Er lernte Englisch, ging abends zum College. Weihnachten 1993 half er bei UPS aus, die Zeit ist für das Unternehmen der reinste Stress. Badillo mochte die Arbeit und die gute Bezahlung. Er warf das Studium hin und wurde Vollzeitfahrer.

Etwas bringen, die Freude der Neuigkeit – ich fühle mich wie ein Mini-Weihnachtsmann. Eine frühere Kollegin von Badillo kommt im Motorroller vorbei und hält auf ein Schwätzchen an. In einer Pause gibt mir Badillo eine Empanada ab, eine gefüllte Teigtasche, die er mitgebracht hat. Zusammen stehen wir oben im Wagen, essen und trinken, schauen Fotos von seiner Familie in Guayaquil, der größten Stadt in Ecuador, an. Draußen laufen Models, Hipster, Touristen oder Obdachlose vorbei, das übliche Straßenbild. Aber von hier oben, da ist New York anders.

„Zugangspunkt“ hört sich toll an, ist aber nur eine Chemische Reinigung. Dort können sich Kunden von UPS ihre Pakete bringen lassen, wenn sie tagsüber nicht zu Hause sind. In Manhattan ist das bei vielen der Fall. Also drücke ich eine Ladung Pakete in „Macs Cleaner“. Warum denn der Besitzer die Pakete nehmen würde? „Sie bekommen ein wenig Geld“, erklärt Badillo, aber noch wichtiger sei: „Sie kriegen Leute in den Laden“.

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