Service-Roboter im Einzelhandel Unheimliche Begegnungen mit Humanoiden

Der Service-Robotoer mit dem Namen «Werner» bewegt sich in einer Filiale von Electronic Conrad in Stuttgart zwischen den Regalen. Quelle: dpa

Manch Geschäft ist so groß, dass Kunden leicht den Überblick verlieren - vor allem, wenn alle Kundenberater beschäftigt und die Infotheke schon belagert ist. Jetzt sollen Service-Roboter Abhilfe schaffen.

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Werner ist kaum zehn und doch schon in die Jahre gekommen. Langsam ruckelt der Roboter durch die Stuttgarter Filiale des Elektromarktes Conrad. Er weist Kunden den Weg zum gewünschten Produkt. Doch immer wieder bleibt er stehen, weil zu viele Menschen im Gang sind. Wegen eines defekten Zahnrads dreht sich sein Oberteil mitunter unvermittelt nach rechts. Einmal kommt er vor einem älteren Mann zum Halten. „Was will der denn“, fragt der Herr und geht kopfschüttelnd vorbei. Was der Herr nicht weiß: Er hatte gerade eine Technik vor sich, die Vorreiter ist und zukünftig in weiterentwickelter Form weit verbreitet sein könnte im Einzelhandel.

Noch sind Service-Roboter dort zwar eine Rarität. Conrad setzt sie in Essen, Regensburg und Stuttgart ein. Mediamarkt-Saturn nutzt Roboter namens Paul in Ingolstadt, Berlin, Hamburg und Zürich - auch er führt Kunden zu Produkten. Die Baumarktkette Toom erprobte mal vergleichbare Technik. Und die Adler Modemärkte nutzen einen Roboter, der nach Ladenschluss die Bestände checkt - in Kontakt mit Kunden kommt er aber nicht.

Künftig dürften immer mehr Technik-Hilfen zu sehen sein in deutschen Geschäften - davon ist zumindest Patrick Meyer überzeugt. Der 26-Jährige promoviert über den Einsatz von Service-Robotern und ist zudem für das Beratungsunternehmen Elaboratum tätig. Kürzlich erprobte er mit einem IT-Unternehmen einen anderen Roboter in einer Stuttgarter Einkaufspassage. Der kleine Kerl hieß Pepper. Er kann etwas Wesentliches, was Werner nicht kann: Sprechen.

Pepper fragte Passanten, wie es ihnen ging und ob sie nicht Lust hätten auf ein Schnick-Schnack-Schnuck-Spiel. Eine Werbeaktion für die Robotertechnik, die gut ankam, aber auch Schwächen zeigte: Mitunter verstand Pepper den menschlichen Gesprächspartner nicht, etwa wegen des Hintergrundlärms. Zudem konnte er nicht erkennen, welche Geste beim „Schnick, Schnack, Schnuck“ gemacht wurde - der Mensch musste es ihm sagen. Da Pepper zuerst seine Geste verriet, konnte der Mensch seine Spielentscheidung noch ändern - und gewinnen.

Meyer war dennoch zufrieden mit der Aktion. „Für viele Besucher war es der erste Livekontakt mit einem humanoiden Roboter.“ Es gehe derzeit darum, Erfahrungen zu sammeln. Was Pepper genau tut, hängt von Software und Programmierung ab - er könnte Kunden nicht nur ansprechen, sondern auch über Produkte informieren. Könnte der Roboter also Menschen Jobs wegnehmen? Ein Verdi-Sprecher schüttelt den Kopf. Service-Roboter seien doch bloß ein „PR-Gag“ von Firmen, sagt er gelassen. „Dadurch kann man keine Mitarbeiter ersetzen, die fachlich qualifiziert sind und Auskunft geben können.“

Mit der Meinung ist der Gewerkschafter gar nicht so weit entfernt von Wissenschaftler Meyer. Denn der rechnet ebenfalls nicht mit direkten Auswirkungen auf die Personalplanung. „Die persönliche Beratung durch Menschen ist ein Alleinstellungsmerkmal des stationären Handels - das wird sich nicht ändern.“ Service-Roboter sollten Mitarbeiter nicht ersetzen, sondern ihre Assistenten werden für simple Tätigkeiten.

So seien Kundenfragen nach dem Weg zum richtigen Regal oder nach dem Lagerbestand bestimmter Produkte zeitraubend - das könnte künftig wegfallen, wenn Roboter die Beantwortung solcher Fragen übernähmen, so Meyer. Der menschliche Angestellte hingegen könnte sich auf Verkaufsgespräche konzentrieren. Dies wiederum würde die Tätigkeit des Einzelhändlers aufwerten, was der Branche insgesamt auch mit Blick auf den jetzigen Fachkräftemangel guttun würde, sagt Meyer.

Auch Sabine Hagmann vom Handelsverband Baden-Württemberg hält viel von Service-Robotern. Noch sei man zwar in den Anfängen beim Einsatz in der Branche, schon in einigen Jahren könnte sich das aber ändern. „Roboter können Kunden gut ansprechen und ihnen beim Einkaufen helfen - ob mit einer Fahrt zum Produktstandort oder anderen einfachen Informationen.“ Sie seien auch eine Art Attraktion, dadurch wiederum könnten stationäre Geschäfte an Strahlkraft gewinnen, sagt Hagmann.

Mediamarkt-Saturn erprobt seit Ende 2016 einen Roboter namens Paul, zunächst in Ingolstadt. Inzwischen fährt so eine Maschine auch in Hamburg, Berlin und Zürich herum. Paul sieht aus wie eine überdimensionale Schachfigur mit Display oben drauf. Der Einsatz laufe gut, so Digitalchef Martin Wild. Der Roboter in Ingolstadt sei binnen eines Jahres mit gut 100.000 Kunden in Kontakt gekommen. „Ich glaube fest daran, dass Robotik in fünf bis zehn Jahren erheblich an unserem Leben teilhaben wird - und damit auch im Handel“, sagt Wild.

Wenn der Roboter Briefe bringt
Ein Blick auf die Beine von Cindy Rexrodt - dann weiß der Roboter, wo es lang geht. Er setzt sich in Bewegung und folgt der 35-jährigen Postzustellerin auf Schritt und Tritt. Erst als ein Passant zwischen Briefträgerin und Roboter tritt, ist Schluss: Die Maschine erkennt die Gefahr und bremst abrupt. Postbot hat die Deutsche Post die neue Maschine getauft. Getestet wird sie ab kommender Woche im nordhessischen Bad Hersfeld. Mit Vorbildern aus Science-Fiction-Filmen hat der gelbe Kasten auf Rädern wenig gemein, den Postvorstand Jürgen Gerdes am Mittwoch in der Kleinstadt vorstellte. Das 1,50 Meter hohe Gefährt kann lediglich einem Menschen in Schrittgeschwindigkeit folgen und 150 Kilogramm Post transportieren. Quelle: AP
Trotzdem setzt der Konzern große Hoffnungen in den Roboter: Das elektrisch fahrende Gerät soll Zusteller entlasten und den körperlichen Verschleiß verringern. „Es geht darum, den Menschen zu unterstützen, länger fit zu bleiben“, sagt Gerdes. Denn in einigen Tausend Zustellbezirken in Deutschland muss die Post immer zu Fuß ausgetragen werden. Den klassischen, schweren Karren könnte der Postbot ersetzen. 11.000 bis 14.000 Schritte macht Zustellerin Cindy Rexrodt an jedem Arbeitstag. Der Körper gewöhne sich daran. „Doch anfangs war es wie jeden Tag Fitnessstudio“, sagt die 35-Jährige. Auch Robotikforscher beobachten den sechswöchigen Versuch der Post genau: Der Transport auf der so genannten letzten Meile - also die Wegstrecke zur Haustür des Kunden - sei ein Milliardenmarkt, sagt Alin Albu-Schäffer. Der Professor ist Leiter des Instituts für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Quelle: AP
Unter Laborbedingungen habe es zwar schon oft erfolgreiche Transportsysteme gegeben. „Soweit ich weiß, gibt es aber keine Firma, die das zum Produkt machen konnte“, erklärt er. Die Herausforderung sei, es „kostengünstig und sicher“ zu gestalten. Denn ein Roboter mit 150 Kilogramm könne prinzipiell gefährlich werden, wenn er nicht rechtzeitig stoppe. Natürlich seien Versuche, komplett selbst fahrende Roboter zu nutzen, spektakulärer. „Aber vielleicht macht es Sinn, über kleine Schritte da heranzugehen“, sagt Albu-Schäffer. Bedenken gegen die neue Technik versucht Postvorstand Gerdes zu zerstreuen: „Wir führen solche Geräte nicht ein, um Arbeitsplätze zu ersetzen.“ Der Roboter komme nicht an die Briefkästen heran und sei „völlig ahnungslos“. Auch die Leistung von Briefträgern könne er nicht überwachen: Der Postbot erhebe und speichere keine Daten. Quelle: dpa
Die Gewerkschaft sieht die Vorteile: „Hohe Gewichte sind für die Beschäftigten in der Zustellung ein Problem“, sagt Sigrun Rauch, zuständig bei Verdi für Postdienste, Speditionen und Logistik. Man begrüße den Versuch mit dem Begleitroboter, vor allem wenn solche technischen Hilfsmittel dazu beitrügen, die körperliche Belastung der Beschäftigten zu verringern. „Eine Sorge vor dem Verlust von Arbeitsplätzen haben wir nicht“, sagt Rauch. Dass der Roboter in einer nordhessischen Kleinstadt seinen ersten Alltagstest absolviert, liegt an Bad Hersfeld. Die Stadt bezeichnet sich selbst als „Smart City“, also vernetzte Stadt. Sie hat der Post den Test durch eine Ausnahmegenehmigung ermöglicht. Quelle: dpa
So gelte der Roboter-Bollerwagen als „elektrisch unterstützender Handkarren mit virtueller Deichsel“, sagt Bürgermeister Thomas Fehling (parteilos). Diese Kategorie sei in der Straßenverkehrsordnung eigentlich nicht vorgesehen. Bad Hersfeld will den Roboter auch in der eigenen Verwaltung testen. Über die Technik und den Preis des Postbots schweigt die Deutsche Post dagegen - aus Wettbewerbsgründen. Gerdes verrät nur, dass das elektrische Gefährt auf Basis eines französischen Roboters entwickelt wurde. Zudem erkenne der Roboter die Beine des Zustellers. Quelle: AP

Auch Paul hat noch Schwächen: Simple Konversation ist zwar möglich, hat aber ihre Tücken: Erst wenn es piept, darf der menschliche Gesprächspartner reden - dadurch wirkt der Wortwechsel etwas hölzern. Die Firma arbeitet an einer besseren Spracherkennung.

Im Stuttgarter Conrad-Markt zieht Werner unterdessen weiter seine Runden. Sprechen kann der Senior unter den Service-Robotern nicht, die Bedienung erfolgt über einen Touchscreen. Mit Lautsprechern und einem Kopfhörer sind Ansätze eines menschlichen Gesichts nachgeahmt. Mit Sensoren und einer Kamera bahnt sich die Maschine in Schrittgeschwindigkeit ihren Weg vom Eingang bis zu bestimmten Produktbereichen. Conrad-Regionalleiter Ralf Heinrichs wertet den Einsatz von Werner positiv. „Für Kinder ist es ein erster Einstieg in die Technik, sie finden ihn lustig“, sagt Heinrichs. Ein Upgrade samt Spracherkennung ist für Werner nicht vorgesehen - der Elektrohändler arbeitet aber an einer Weiterentwicklung zum Thema Serviceroboter.

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