Am liebsten spielt er mit dem VW-Bulli und dem Unimog von Lego Technic. "Er" heißt Dirk Engehausen, ist 48 Jahre alt und Europachef sowie Mitglied des Konzernvorstands von Lego. "Lego ist längst nicht mehr nur etwas für Kinder", sagt er. Männer in Engehausens Alter sind es, die dem Lego-Konzern die Zukunft sichern.
Aktuell geht es den Dänen blendend. Allein in Deutschland hat der Klötzchen-Produzent den Umsatz um 12,7 Prozent auf 331 Millionen Euro gesteigert. 27 der 50 meistverkauften Spielwaren in Deutschland waren im vergangenen Jahr Lego-Produkte. Im 55. Jubiläumsjahr des Legosteins kann sich der Konzern, der bis heute in Familienbesitz ist - eigentlich nur über gute Nachrichten freuen.
Lego auf einen Blick
Lego wurde 1932 vom dänischen Staatsbürger Ole Kirk Kristiansen gegründet. Das Unternehmen blieb seither immer im Familienbesitz. Heute ist Kjeld Kirk Kristiansen, der Enkel des Gründers, Eigentümer der Gruppe.
Der Lego-Baustein wie wir ihn heute kennen, feiert im Jahr 2013 seinen 55. Geburtstag. Am 28. Januar 1958 ließ Ole Kirk Christiansen, Gründer der Lego Gruppe, den Stein in Kopenhagen patentieren. Ende der 40er Jahre kamen die ersten Bausteine auf den Markt, die dem heutigen Klassiker ähnelten. 1958 perfektionierte er den Stein mit dem Noppen- und Röhren-Stecksystem, das noch heute Grundlage der inzwischen rund 2.700 verschiedenen Bauelemente ist. Für sechs Steine einer Farbe mit 2x4 Noppen gibt es alleine 915 Millionen Kombinationsmöglichkeiten.
Lego hat seinen Umsatz seit 2005 enorm gesteigert. 2004 war er auf 850.000 Euro eingebrochen, seither stieg er kontinuierlich und erreichte 2011 mehr als 2,5 Milliarden Euro. Der Gewinn (net profit) stieg von 138.000 Euro im Jahre 2007 auf 550.000 Euro im Jahre 2011. In Deutschland setzte Lego im Jahr 2012 gut 331 Millionen Euro um, 12,7 Prozent mehr als im Vorjahr.
Für Lego arbeiteten im Jahr 2011 weltweit 9374 Menschen und damit gut tausend mehr als im Vorjahr.
Lego versteht sich als Produzent von Kinderspielzeug. Seit Mitte der 2000 Jahre setzen die Dänen aber auch verstärkt auf Jugendliche und erwachsene Männer als Kunden. Lego bietet komplexe technische Modelle z.B. von Flugzeugen, Baggern oder Schiffen an. Mit Videospielen haben die Dänen den Sprung in die digitale Welt geschafft - von Star Wars über Batman, Indiana Jones oder Harry Potter. Seit März 2012 buhlt Lego gezielt um die Aufmerksamkeit der Mädchen mit der Linie Lego Friends.
Die Umsatzbringer der Dänen sind die Bausätze zu Star Wars, Harry Potter und Pirates of the Caribbean. Sehr erfolgreich laufen auch die Lego City (z.B. Polizei und Feuerwehrstationen) und Lego Technic-Linie. Lego Duplo, die Serie für Kinder im Vorschulalter, ist in Deutschland besonders erfolgreich. Die seit März 2012 erhältlichen Produkte Lego Friends für Mädchen erreichte 2012 in Deutschland bereits einen Umsatzanteil von 6,9 Prozent.
Wenn es da nicht eine unvermeidliche Wahrheit gäbe: die geburtenschwachen Jahrgänge. Lego, dem Kinderspielzeughersteller, schrumpft die Kundschaft weg. Michael Kehlet, Geschäftsführer Lego für die Region Deutschland, Österreich und Schweiz: "Die Herausforderung ist sogar noch größer, da Kinder heutzutage schneller erwachsen werden." 3-D-Computerspiele, iPads, Playstation - der klassische Lego-Baukasten ist ein analoger Spieler in einer digitalen Welt und Kinder greifen immer früher zum digitalen Spielzeug. Eine Tatsache, die Kehlet nicht nur aus unternehmerischer Sicht bedauert: "Ich glaube fest daran, dass Kinder weiterhin physisch spielen müssen. Und ich sage bewusst: müssen. Man merkt und lernt sehr viel vor einem Computer, aber das haptische Fühlen und Spielen, bei dem man was im Kopf kreiert, Dimensionen erkennt und erfasst, warum man etwas auf eine bestimmte Art und Weise bauen sollte – das geht bei digitalen Spielerlebnissen nicht."
Immer mehr Männer kaufen für sich selbst
Lego hat bereits Mitte der 2000er Jahre erkannt, dass es auf Dauer nicht reichen wird, Kinder mit Spielwaren zu versorgen. Für diese Erkenntnis hat der Konzern teuer bezahlt. In der Bilanz 2003 weist Lego ein riesiges Defizit aus. Die Dänen haben sich unter anderem zu sehr auf externe Moden wie den Harry-Potter-Boom verlassen und für die Lizenzen viel Geld ausgegeben. CEO Kjeld Kirk Kristiansen setzt einen Aktionsplan auf, spart das Unternehmen gesund und besinnt sich auf das erfolgreiche Grundmuster der Marke: Der simple Baustein. Lego - das kommt von "leg godt" und heißt soviel wie "Spiel gut". Künftig sollen alle - vom Kleinkind bis zum Erwachsenen - "gut spielen" - heißt die neue Strategie.
Für die Kleinsten führt Lego die Marke Duplo wieder ein, für Jugendliche und Erwachsene baut der Konzern die Lego Technic Sparte aus. Seit 2009 gibt es eine eigene Lego Men Kampagne und in den vergangenen vier Jahren ist der Anteil der Erwachsenen, die Lego-Produkte für sich selbst kaufen von zehn auf fünfzehn Prozent gestiegen. Damit das so weiter geht, legen die Dänen mit immer anspruchsvolleren Sets nach. In diesem Jahr in Gestalt eines mobilen Schwerlastkrans. "Er ist das größte und komplexeste Lego Technic Modell aller Zeiten mit mehr als 2600 Elementen", schwärmt Kehlet.
Der Kran hat gute Chancen, das Erbe des 1:12,5-Modells des Mercedes-Benz Unimog anzutreten. Der Bausatz umfasste 2048 Teile, verfügte über einen Elektromotor, ein Pneumatik-System und zahlreiche Funktionen des Originals. 2012 schafft er es unter die Top 10 der meistverkauften Spielwaren in Deutschland. Trotz eines stattlichen Preises von rund 190 Euro. Die Zielgruppe verfügt eben doch über das nötige Taschengeld.
Billig war Lego-Spielzeug noch nie, doch teurer geworden ist es auch nicht. Den Nachweis bringt Blogger Andrew Sielen in seinem kürzlich veröffentlichten Artikel "The price of a brick". Sielen kommt zu einem verblüffend einfachen Ergebnis.
Ärger um Jabba Palace
Nicht die Steine sind teurer geworden - der reale Preis pro Stein ist zwischen 1990 und 2012 sogar gefallen - sondern die Anzahl der Teile pro Set ist deutlich gestiegen. So kommt er zu dem Schluss: "Der Anstieg der durchschnittlichen Teilezahl pro Set könnte also der Grund dafür sein, dass Lego-Spielzeug als teurer wahrgenommen wird als früher." Lego-Europa-Chef Engehausen führt noch ein gewitztes Argument ins Feld, warum eine Investition in ein Lego-Set - sei es vielleicht auch ein paar Cent teurer - eine in jedem Fall lohnende sei. "Lego-Steine lassen sich immer wieder benutzen. Sie können heute noch die Steine von vor 50 Jahren verbauen. Den Käufern geht also kein Cent verloren."
Mindestens genauso entscheidend wie ein als fair betrachteter Preis wird in Zukunft sein, wie gut Lego seine Kundschaft an sich binden kann. Markenexperte Peter Pirck von der Brandmeyer Markenberatung sieht aus mehreren Gründen gute Chancen, dass das dauerhaft gelingen wird. "Lego schafft es wie kaum eine andere Marke, ein erfolgreiches Grundmuster immer weiter zu entwickeln, modern zu interpretieren und auf verschiedene Zielgruppen zu übertragen. Außerdem gilt es als gutes und pädagogisch wertvolles Spielzeug, das die Kreativität fördert." Sowohl Eltern als auch Erzieher und Lehrer sind gegenüber Lego positiv eingestellt, kennen es aus der eigenen Kindheit. Die besten Voraussetzungen also, dafür auch Geld auszugeben. Tatsächlich verkauft sich die Vorschul-Linie Lego Duplo in Deutschland besser als in vielen anderen Ländern, bestätigt Lego.
Außerdem haben die Deutschen ein besonderes Faible für Lego Technic, doch selbst damit schafft die Produktlinie es nicht, Lego Star Wars vom Thron zu stoßen. Sie war 2012 abermals die erfolgreichste Produktlinie der Dänen in Deutschland und wegen ihr gab es kürzlich mächtig Ärger. Die Türkische Kulturgemeinde in Österreich fühlte sich vom Bausatz "Jabba's Palace" verunglimpft und drohte Lego mit einer Klage wegen Volksverhetzung. Der Palast sei ein Eins-zu-Eins-Abklatsch der Hagia Sophia in Istanbul, bei dem Spielzeug handle es sich um einen Mischung aus "Sakralbau und Bunkeranlage". So könne der Eindruck entstehen, der Islam sei mit Gewalt gleichzusetzen. Lego verteidigte sich. Man habe sich ausschließlich an der originalen Star-Wars-Kulisse orientiert.
Männer allein reichen nicht - Mädchen müssen ran
Ein kluger Schachzug - neben der Fokussierung auf die "älteren Kinder" ab 40 - war die Mädchenserie Lego Friends. Seit März 2012 sind die Sets wie Schönheitssalons und Pferdestall mit überdurchschnittlich vielen rosafarbenen Steinen im Handel und haben es in Deutschland prompt auf einen Umsatzanteil von 6,9 Prozent gebracht. Das "Lego für Mädchen" brachte den Dänen nicht nur Lob ein. "Gender-Ghetto in Pink und Lila" wetterte etwa die "Süddeutsche Zeitung". Produkte und Marketing würden "gnadenlos auf alte Gender-Stereotype reduziert, die es eigentlich abzubauen gilt". Das kann man so sehen, muss man aber nicht. Demnach müsste man Mädchen jedes Spiel mit Puppen und rosafarbenen Spielwaren jeder Art verbieten, weil Rosa an sich eine weibliche Stereotype darstellt und das Bauen von Türmen die Kreativität und Motorik mehr fördert, als das Kämmen von Plastikhaaren.
Spielzeug des Jahrhunderts
Die neue Produktlinie funktioniert so oder so. Lego setzt vieles daran, die einmal gewonnenen Fans nicht wieder zu verlieren, dafür gibt es etwa das Lego Club Magazin oder eigene Lego-Events. Für viel Aufsehen in den sozialen Medien sorgte ein sehr persönliches Geschenk des Unternehmens: Der siebenjährige Luka hatte seine Jay ZX-Figur aus der Ninjago-Linie verloren. Er hatte sein komplettes Weihnachtsgeld für das Figurenset ausgegeben und war sehr traurig über den Verlust. Sein Vater riet ihm, an Lego zu schreiben, vielleicht könne man ihm da helfen. Luka erhielt nicht nur die verlorene Figur plus Sonderausstattung und passenden Gegner, sondern auch einen rührenden Brief im Ninjago-Jargon.
Solche Geschichten machen die Marke Lego noch stärker, als sie ohnehin schon ist. Markenexperte Pirck: "Für Wettbewerber ist es sehr schwierig, die starke Kundenbindung, die Lego nun mal hat, zu durchbrechen". In Deutschland hat Lego bereits einen Marktanteil von 16,7 Prozent, in der Schweiz sind es 16,8 Prozent und in Österreich schon 17,8. "In vielen Ländern sind wir die Nummer eins im Kinderzimmer", sagte Europa-Chef Engehausen kürzlich der Tageszeitung "Die Welt", doch "insbesondere in Asien müssen wir noch stärker werden." Dort mache man bisher nur ein Fünftel der Umsätze, die man in Europa erziele. In den nächsten beiden Jahren wollen die Dänen deshalb vorranging in China und Asien wachsen. Dafür soll es schon bald einen eigenen Vorstand für die Region geben.
Lego ist ein weltweites Phänomen. Schon zweimal wurde es zum "Spielzeug des Jahrhunderts" gewählt. Was daraus entsteht, bleibt allein der Kreativität des Bauherrn überlassen. Die Einsatzmöglichkeiten sind schier unbegrenzt. Es gibt sogar eine Unternehmensberatung Lego Serious Play. Sie führt mit Hilfe der Steine Workshops in Firmen durch, um spielerisch Lösungen für unterschiedlichste Probleme zu erarbeiten. Mit Hilfe der bunten Steinchen sollen Manager zum Beispiel Visionen für neue Projekte erarbeiten, Konflikte mit Kollegen lösen oder Prozesse im Unternehmen nachstellen und Verbesserungsmöglichkeiten ausfindig machen. Das Konzept hat Lego mit Forschern aus Lausanne entwickelt.
Bei Lego selbst ist es völlig normal, dass erwachsene Männer während der Arbeitszeit spielen dürfen. Statt Süßigkeiten stehen bei Vorstandsitzungen, Schalen mit Lego-Steinen auf dem Tisch. Europachef Engehausen findet das praktisch: "In langen Meetings gibt es immer einen Punkt, an dem die persönliche Aufmerksamkeitskurve nach unten geht. In solchen Momenten nimmt man sich eine haptische Kreativpause, baut etwas zusammen und ist dann wieder voll da."