Steilmann meldet Insolvenz an Kursziel null Euro kurz nach Börsengang

Der Modekonzern sollte als "Zara für die Frau ab 45" die Börse stürmen - und muss stattdessen Insolvenz anmelden. Hat die Pleite ein juristisches Nachspiel?

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Firmenzentrale des insolventen Modeunternehmens Steilmann Quelle: dpa

Der Chef übte sich in Euphorie: „Noch gibt es kein Zara für die Frau ab 45 – das ist unsere Chance!“, jubelte Michele Puller, Vorstandsvorsitzender des Modeunternehmens Steilmann im vergangenen Oktober in der „Bild“. Galt es doch, gute Stimmung für den bevorstehenden Börsengang des Unternehmens zu verbreiten und eine Vision zu entwickeln, um Investoren für das Bergkamener Modekonglomerat zu begeistern.

Knapp fünf Monate nach dem Börsengang ist indes klar, dass Pullers Pläne vom „Ü45-Zara“ grandios gescheitert sind: Bei Steilmann übernimmt jetzt ein vorläufiger Insolvenzverwalter das Kommando. Er muss versuchen, für die Gläubiger zu retten, was zu retten ist – und nebenbei aufklären, wie ein Unternehmen, das sich noch vor wenigen Wochen als blühender Mittelständler präsentierte und dessen Vorstandschef von märchenhaften Umsatzsteigerungen fabulierte, so schnell gegen die Wand fahren konnte. 

Oberstes Ziel des Verwalters ist es, die Forderungen der Gläubiger zu befriedigen. Dazu zählen etwa die Anleger von drei Mittelstandsanleihen. Die Bonds haben ein Gesamtvolumen von knapp 90 Millionen Euro und sind in den Jahren 2017/18 fällig. Erst im August wurde eine der Anleihen um 15 Millionen Euro aufgestockt. Die Papiere wurden an diesem Donnerstag vom Handel ausgesetzt. Für den ohnehin schwer angeschlagenen Markt für Mittelstandsanleihen ist das ein weiteres Desaster.

Die Steilmann-Aktionäre wird es wohl sogar noch heftiger erwischen: Erst wenn alle Schulden beglichen sind, könnte theoretisch Geld an die Aktionäre fließen. Ob das gelingt, ist angesichts der hohen Verschuldung jedoch äußert zweifelhaft.

Entsprechend heftig fiel die Reaktion an der Börse aus. Seit der Vorstand per ad-hoc-Mitteilung über die bevorstehenden Insolvenz informierte, ist der Aktienkurs um fast 90 Prozent eingebrochen. „Der Vorstand der Steilmann SE ist nach umfassender Prüfung heute zu der Überzeugung gelangt, dass im Zuge des aktuellen Geschäftsverlaufs die Steilmann SE zahlungsunfähig ist“, hieß es in der Pflichtmitteilung. Zwischenzeitlich geführte und angeblich „bislang erfolgversprechende Sanierungsverhandlungen“ hätten nicht zum Ziel geführt. „Der Vorstand wird vor diesem Hintergrund nunmehr unverzüglich den Insolvenzantrag stellen“.

Das sind Europas größte Modekonzerne
Platz 10: CalzedoniaDie Fachzeitschrift „TextilWirtschaft“ untersucht jedes Jahr die Umsätze der größten europäischen Bekleidungshersteller. Die Analyse zeigt: Der Markt steht vor großen Herausforderungen. Zwar konnten die meisten Konzerne wie zum Beispiel Calzedonia wachsen, doch die Krise in Russland und der Ukraine dürfte sich früher oder später in den Bilanzen niederschlagen.Umsatz 2013: 1,60 Milliarden EuroUmsatz 2014: 1,85 Milliarden EuroVeränderung: + 15,4 Prozent Quelle: imago images
Platz 9: Georgio Armani1975 gründete Georgio Armani das Modelabel Armani. Mittlerweile gehört der Konzern zu den Größten der Modebranche. Für Armani arbeiten rund 6500 Menschen. Neben Kleidungsstücken vertreibt Armani außerdem Home-Artikel und Parfüms. Seit 2002 verkauft der Konzern auch Konfiserie-Artikel sowie verschiedene Honig- und Marmeladensorten. Acht Jahre später entstand im Burj Khalifa in Dubai das erste Hotel im Armani-Stil.Umsatz 2013: 1,75 Milliarden EuroUmsatz 2014: 2,00 Milliarden EuroVeränderung: + 14,2 Prozent Quelle: REUTERS
Platz 8: EspritEhemals etablierte Marken sind zu teuren Restrukturierungen gezwungen. So muss sich Esprit auf die Ansprüche der Kunden im digitalen Zeitalter einstellen, heißt es in der Studie von „TextilWirtschaft“. Auch Gerry Weber ist davon betroffen. Darüber hinaus leiden die Modekonzerne auch unter dem starken Dollar, der die Beschaffung verteuert. Esprit trifft es besonders hart. Bei keinem anderen Modekonzern in den Top-20 ist der Umsatz derart stark geschmolzen.Umsatz 2013: 2,35 Milliarden Euro *Umsatz 2014: 2,10 Milliarden Euro**Veränderung: - 10,7 Prozent*Geschäftsjahr 2013/14**Geschäftsjahr 2014/2015 Quelle: REUTERS
Platz 7: KeringDas französisch-italienische Modeunternehmen Kering dürften nur den Wenigsten bekannt sein. Doch mit Labels wie Puma oder Gucci erreicht der Konzern ansehnlich Umsätze. 2014 konnte Kering seinen Umsatz um knapp zwölf Prozent erhöhen.Umsatz 2013: 2,13 Milliarden EuroUmsatz 2014: 2,38 Milliarden EuroVeränderung: + 11,6 Prozent Quelle: REUTERS
Platz 6: Hugo BossDie Edelmarke Hugo Boss ist das zweitgrößte Modeunternehmen Deutschlands. Gegründet wurde es 1924 in Metzingen durch Hugo Ferdinand Boss. Ursprünglich stellte Hugo Boss Berufskleidung her. Unrühmlich ist die Vergangenheit des Konzerns. Im Zweiten Weltkrieg stellte der Konzern die Uniformen für SA, SS und die Wehrmacht her. Dafür wurden unter anderem Zwangsarbeiter aus West- und Osteuropa eingesetzt. Erst nach dem Krieg und dem Tod des Gründers 1948 wurde Hugo Boss zum Modekonzern. Unter der Leitung von Hugo Ferdinand Boss' Schwiegersohn Eugen Holy begann das Unternehmen damit, Herrenanzüge herzustellen.Umsatz 2013: 2,43 Milliarden EuroUmsatz 2014: 2,57 Milliarden EuroVeränderung: + 5,8 Prozent Quelle: dpa
Platz 5: Tommy HilfigerModedesigner Tommy Hilfiger rief 1984 in New York sein eigenes Modelabel ins Leben. Dass der Konzern im Ranking europäischer Modekonzerne gelistet ist, hat er seinem Firmensitz zu verdanken. Tommy Hilfiger sitzt seit 1997 in Amsterdam. 13 Jahre später wurde das Unternehmen durch den US-Konzern Phillips-Van Heusen übernommen.Umsatz 2013: 2,56 Milliarden Euro*Umsatz 2014: 2,70 Milliarden Euro*Veränderung: + 5,3 Prozent*Geschäftsjahr 2013/14**Geschäftsjahr 2014/15 Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 4: Christian DiorDirekt nach dem Krieg gegründet, trug Christian Dior maßgeblich dazu bei, dass sich Paris als Modehauptstadt der Welt etablieren konnte. Insgesamt beschäftigt das Unternehmenskonglomerat über 100.000 Mitarbeiter. Für die Modesparte von Dior arbeiten knapp 3600 Menschen.Umsatz 2013: 2,26 Milliarden EuroUmsatz 2014: 2,70 Milliarden EuroVeränderung: + 19,6 Prozent Quelle: dpa

Schon im Dezember hatte das Management die Aktionäre mit einer Gewinnwarnung geschockt: Aufgrund des “ungewöhnlich milden Wetters” kappte der Vorstand die Prognosen, mit denen Anlegern der Börsengang kurz zuvor versüßt worden war. So hatte Steilmann ein Umsatzwachstum im niedrigen einstelligen Prozentbereich versprochen. Auch der Erlös aus dem Börsengang sollte genutzt werden, um das Wachstum zu forcieren und die Beteiligung an der Modekette Adler auszubauen.

Doch bereits der Börsengang geriet zum Flop: Das Volumen musste mehrfach verkleinert werden, anstatt der angepeilten knapp 100 Millionen Euro konnte Steilmann schließlich gerade einmal neun Millionen Euro frisches Kapital einsammeln. Der Vorstand feierte den Miniatur-Börsengang dennoch als „Meilenstein in der Unternehmensgeschichte“, nun würden sich „strategische Optionen“ und „Finanzierungsmöglichkeiten für die Zukunft“ eröffnen, jubelten die Manager noch im November.

Solche Aussagen könnten sich jetzt rächen. Im Hintergrund buhlen Anlegeranwälte und Schutzvereinigungen bereits um Anleger, die sich geprellt fühlen. „Die Zahlungsmittel werden ja nicht über Nacht knapp geworden sein, hier wird man sich die Entwicklung der letzten Monate und insbesondere die Umstände des Börsengangs ansehen müssen“, sagt etwa Rechtsanwalt Daniel Vos von der Kanzlei Müller Sedel Vos. Auch der Insolvenzverwalter dürfte die Historie des Börsendesasters aufrollen und nach möglichen Ansatzpunkten fahnden, um das Management in Regress zu nehmen.  

Die zehn schrecklichsten Aktien
Platz 10: SKW Stahl-MetallurgiePunkte (gesamt) Performance: -646 Kursentwicklung in Prozent (5 Jahre): -80,2 Punkte (5 Jahre): -405 Kursentwicklung in Prozent (1 Jahr): -4,7 Punkte (1 Jahr): -13 Ende Januar kündigte der Stahlzulieferer eine außerordentliche Hauptversammlung für seine Aktionäre an, nachdem Verluste die Hälfte des Grundkapitals aufgezehrt hatten. Quelle: Presse
Wilex Quelle: Presse
Solarworld Quelle: dpa
Tom Tailor Quelle: Presse
Platz 6: YocPunkte (gesamt) Performance: -724 Kursentwicklung in Prozent (5 Jahre): -94,1 Punkte (5 Jahre): -475 Kursentwicklung in Prozent (1 Jahr): -2,3 Punkte (1 Jahr): -6 Der Anbieter innovativer mobiler Werbeformate musste in den vergangenen Jahren saniert werden und eine Kapitalerhöhung durchführen.
RWE Quelle: dpa
Aixtron Quelle: Presse

Zunächst hat der Verwalter jedoch andere Aufgaben: Er muss den Geschäftsbetrieb stabilisieren und  Insolvenzausfallgeld für die Beschäftigten organisieren, vor allem aber dafür sorgen, dass die Krise nicht auf den wohl wichtigsten Vermögenswert von Steilmann überschwappt – die Beteiligung an der Modekette Adler.

Dort gibt man sich trotz der Pleite des Großaktionärs gelassen. Adler habe keinen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag mit Steilmann und verfüge unverändert über eine mehr als ausreichende Liquidität, teilte das Unternehmen am Donnerstag im unterfränkischen Haibach mit. Adler habe der Steilmann-Gruppe auch keine Darlehen gewährt oder selbst Kredite von Steilmann bekommen.

Adler betreibt mit rund 4000 Mitarbeitern mehr als 170 Modemärkte, den Großteil davon in Deutschland.

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