Sein Optimismus ist legendär. Vorträge beendet der Düsseldorfer Insolvenzverwalter Horst Piepenburg gerne mit den Worten „Meine Damen und Herren, der Aufschwung wird kommen“, um nach kurzer Pause hinzuzufügen: „jedenfalls für meine Branche.“ Tatsächlich gelangen dem Juristen zahlreiche erfolgreiche Rettungseinsätze, etwa beim Immobilienkonzern IVG und dem Anlagenbauer Babcock Borsig.
Doch in seinem jüngsten Verfahren, der Pleite der Handelsgruppe Strauss Innovation aus dem rheinischen Langenfeld, schlägt selbst Daueroptimist Piepenburg inzwischen skeptische Töne an: „Ich suche dringend nach einem Investor für das komplette Unternehmen“, sagte Piepenburg der WirtschaftsWoche. „Auch Teillösungen müssen in Betracht gezogen werden.“
Im Klartext: Die Chancen für den Erhalt des Discount-Miniaturkaufhauses mit 77 Filialen und 1100 Beschäftigten schwinden. Eine Zerschlagung und der Weiterverkauf von Standortpaketen an einzelne Interessenten wird wahrscheinlicher.
Eine Vorentscheidung steht bereits unmittelbar bevor.
Dem Vernehmen nach wird das Amtsgericht Düsseldorf in dieser Woche das Insolvenzverfahren eröffnen. Dann muss feststehen, wie es mit Strauss weiter geht. Ob etwa Filialen kurzfristig geschlossen werden und Mitarbeiter ihren Job verlieren. Zugleich entfallen im eröffneten Insolvenzverfahren wichtige Sanierungserleichterungen.
Scharfe Konkurrenz in der Modebranche
Entsprechend dringend wäre daher der Einstieg eines neuen Geldgebers. Doch etliche Interessenten sollen sich aus dem Verkaufsprozess verabschiedet haben, heißt es im Unternehmensumfeld. Zu scharf trifft der Gegenwind, der die gesamte Bekleidungsbranche durcheinander wirbelt, das angeschlagene Unternehmen. „Vor allem das Marktumfeld“ im wichtigen Textilbereich, sei „momentan schwierig“, sagt Piepenburg.
Womit Strauss Geld macht
des Umsatzes im Jahr 2014 machte Strauss mit Artikeln aus dem Sortiment "Living" (zu Deutsch: Hausrat). Der Gesamtumsatz lag bei 33,85 Milliarden Euro.
Quelle: Statista 2015/Strauss Innovation
des Umsatzes kam aus dem Bereich Damenmode.
Umsatzanteil hatte im Jahr 2014 Herrenmode.
des Umsatzes machte Strauss Innovation 2014 mit Accesoires.
Stürmische Zeiten für den Traditionshändler, dessen Geschichte vor 114 Jahren in Düsseldorf begann. Damals eröffnen die Eheleute Maria und Heinrich Strauss ihr Geschäft für „Kurz-, Weiß- und Wollwaren". Sie offerieren ihren Kundinnen all jene Dinge, die gebraucht wurden um Strümpfe zu stopfen und Pullover und Hosen auszubessern. 1989 trennt sich die Gründerfamilie vom Unternehmen und verkauft es an den langjährigen Mitarbeiter Peter Geringhoff. Ihm gelingt das Kunststück, Strauss als bundesweite Marke zu etablieren und mit einem frischen Konzept neue Kunden anzusprechen.
Unterwäsche und Gartenmöbel
Ein bisschen Butlers, ein Teil Tchibo, ein Hauch Hussel – so lässt sich die Strauss‘sche Strategie seither umreißen. Geringhoff bringt einen bunten Warenmix aus Aktionsartikeln wie Gartenstühlen und Golfschlägern kombiniert mit Sortimentsklassikern wie Unterwäsche und Mandelgebäck in die Filialen.
Das Kalkül: Der stete Produktwechsel treibt die überwiegend weibliche Kundschaft in die Läden - allein schon, um zu schauen, was es wieder Neues gibt. Die Strategie geht auf. Strauss beschäftigt unter Geringhoff mehr als 2000 Mitarbeiter, das Unternehmen setzt rund 280 Millionen Euro um und gilt der Branche als Vorbild.
Wolfgang Urban, damals Chef des Wettbewerbers KarstadtQuelle, lobt im Jahr 2002: „Strauss ist einer der innovativsten Filialisten.“ Heute ist KarstadtQuelle Geschichte und das einstige Erfolgsmodell Strauss manövriert gefährlich nah am Abgrund.
Was Strauss den Untergang brachte
Der Niedergang beginnt schleichend. 2004 übergibt Geringhoff die Ladenkette an seinen Sohn Peter. Wenig später zeigen sich die ersten Risse in der Erfolgsgeschichte.
Denn der schnelle Sortimentswechsel wird immer exzessiver von Discountern wie Aldi und Lidl nachgeahmt. Später betreten Online-Händler wie Amazon das Turnierfeld. Durch sie werden plötzlich auch ausgefallene Deko-Artikel und Eichrichtungsaccessoires jederzeit verfügbar. Der Impuls, bei zeitlich befristeter Aktionsware schnell zugreifen zu müssen, wird dadurch empfindlich abgeschwächt.
Entsprechend trüben sich die Strauss-Geschäfte immer stärker ein. 2008 bewahrt der schwedische Finanzinvestor EQT die Firma vor dem Ruin und kann mit dem Handelsmanager Thorsten Hermelink an der Strauss-Spitze das Ruder noch einmal herum reißen. Doch als EQT die Ladenkette 2011 an den amerikanischen Finanzinvestor Sun Capital Partners weiterreicht, zeigt sich, dass die Erholungsphase eher ein letztes Aufbäumen als die Wende war.
Strauss wird austauschbar
Denn zum strukturellen Ungemach kommt fortan reichlich Missmanagement. Nachdem Strauss-Frontmann Hermelink kurz nach dem Eigentümerwechsel den Dienst quittiert, zieht sich die Nachfolgesuche über Monate hin.
Noch entscheidender: Das Unternehmen verliert sein Trendgespür. Das Angebot von Strauss wird austauschbar und die Shoppingbereitschaft der Kunden zunehmend über Rabatte stimuliert. Doch ähnlich wie bei der Baumarktkette Praktiker gehen die Rotstiftaktionen langfristig nach hinten los.
Zahlen, Daten und Fakten zu Insolvenzen in Deutschland
Unternehmensinsolvenzen | Verbraucherinsolvenzen | |
2013 | 26.120 | 91.360 |
1. Hj 2014 | 12.060 | 43.870 |
2014 | 24.030 | 86.480 |
1. Hj 2015* | 11.100 | 40.200 |
*geschätzt
Quelle: Creditreform
Betroffene Arbeitnehmer | Veränderung in Prozent | |
2013 | 285.000 | -17,6 |
1. Hj 2014 | 89.000 | -23,3 |
2014 | 264.000 | -7,4 |
1. Hj 2015* | 77.000 | -13,5 |
*geschätzt
Rechtsform | Anteile in Prozent | Vorjahr |
freie Berufe | 2,9 | 3,1 |
Kleingewerbetreibende | 48,4 | 46,8 |
BGB-Gesellschaft | 0,7 | 0,8 |
Einzelfirma | 3,3 | 3,3 |
OHG | 0,1 | 0,2 |
KG | 0,3 | 0,4 |
GmbH & Co. KG | 4,0 | 4,8 |
GmbH | 31,5 | 32,0 |
UG (haftungsbeschränkt) | 7,5 | 7,1 |
AG | 0,5 | 0,7 |
Sonstige | 0,8 | 0,8 |
Zeitraum: 1. Hj 2015
Anfang 2014 stellt die Geschäftsführung Antrag auf ein so genanntes Schutzschirmverfahren, eine Insolvenzvariante, bei der meist ein erfahrener Sanierungsexperte gemeinsam mit dem Management versucht, das Unternehmen neu zu justieren. Bei Strauss übernimmt Hans Peter Döhmen den Job. Der Kölner Insolvenzexperten Andreas Ringstmeier beaufsichtigt als Sachwalter die Rettungsmission. Das Duo verordnet dem Unternehmen harte Einschnitte. 19 der bis dahin 96 Filialen werden geschlossen, fast 300 der 1400 Mitarbeiter müssen gehen. Immerhin: Das so zurechtgestutzte Unternehmen zieht wieder Investoren an.
Im August 2014 verkündet Strauss den Einstieg der Beteiligungsgesellschaft Mühleck Family Office. Die Unternehmerfamilie aus Baden-Württemberg betrieb bis dahin hauptsächlich Spielhallen – "Magic Casino" - und Fitness-Studios unter dem Namen „Body Fit“. Man sei als „langfristig orientierter strategischer Investor“ an Bord, heißt es damals.
Unausweichliche Insolvenz
Allein, das Engagement währt nicht lang. Dem Vernehmen nach soll sich der Investor getäuscht gefühlt haben, als die Umsatzentwicklung unter den Prognosen bleibt. Zwischenzeitlich wird dem Vernehmen nach bereits über den Einstieg eines weiteren Investors verhandelt. Doch dazu kommt es nicht mehr.
Im Juni muss Strass erneut Insolvenz anmelden. „Die notwendige Finanzierung der Winterkollektion ist zuletzt gescheitert. Dadurch konnten notwendige Bestellungen nicht durchgeführt werden, und die Insolvenzanträge wurden unausweichlich", teilt das Unternehmen damals mit. Für den Insolvenzverwalter eine heikle Situation – Piepenburg muss bereits kurz nach seiner Einsetzung durch das Gericht entscheiden, ob noch Ware geordert werden kann.
Auch sonst gibt es offenbar reichlich Gegenwind. So ist zunächst offen, ob die Mitarbeiter überhaupt Insolvenzgeld beziehen dürfen, da das erste Insolvenzverfahren nur wenige Monate zurück lag. Kaum ist das operative Geschäft gesichert, beginnt die Investorensuche. Doch das Interesse hält sich offenbar in Grenzen. Der Mühleck-Clan will kein weiteres Geld riskieren, heißt es unternehmensintern. Auch ein Modeunternehmen, das sich vor allem für die zentral gelegenen Filialen interessiert hatte, soll sich wieder aus dem Verkaufsprozess verabschiedet haben.
Sollte sich in den kommenden Wochen kein Käufer finden, droht dem Unternehmen der finale Schlussverkauf. Piepenburg: „Ohne Investor können wir das Geschäft bis Weihnachten weiterführen, aber nicht auf Dauer.“