Tabakkonzerne Hersteller inszenieren die gesündere Zigarette

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Zehn Heet-Päckchen gratis

Ein Set besteht aus Halter, Ladekabel und Reinigungsgerät und kostet 65 Euro. Die Tabakmunition mit 20 Heets kostet sechs Euro und damit fast so viel wie eine Schachtel herkömmlicher Marlboros. Trotzdem bleibt für PMI mehr übrig. Denn für die Heets wird nur so viel Steuer fällig wie für Pfeifentabak, weil man sie nicht direkt rauchen kann. Schön für die Bilanz: Pro 20er-Schachtel muss Philip Morris 2,38 Euro weniger abführen als bei einem traditionellen Päckchen, noch jedenfalls. Der Bund werde reagieren, fürchtet die Zigarettenlobby, und den Steuersatz angleichen. Bis es so weit ist, will Philip Morris möglichst viele Kunden ködern. Die Hardware bekommen sie daher im Moment praktisch umsonst: Wer sich in der Datenbank des Konzerns registrieren lässt, erhält im Laden zehn Heet-Päckchen gratis, das entspricht einem Wert von 60 Euro. „Am Iqos-Gerät verdienen wir derzeit noch nichts“, sagt Wippert. Das soll sich bald ändern. In drei bis vier Jahren soll Iqos dem Konzern Gewinne bringen.

Möglichst schnell, spätestens bis zum Jahresende, will PMI bundesweit über Shop-in-Shop-Lösungen, etwa in Tabakläden, sowie in Tankstellenketten wie Shell präsent sein. In der Immobilienbranche heißt es, PMI werde bis zum Sommer weitere Läden in Hamburg, Stuttgart und Düsseldorf eröffnen. Auch kleine Pop-up-Stores in Einkaufszentren wie etwa in Essen und Dortmund seien geplant. 2020, also schon in rund zweieinhalb Jahren, sehen Branchenkenner die Tabakstummel bei einem Marktanteil von fünf Prozent am Zigarettenmarkt in Deutschland. Das wäre fünf Mal mehr als die einstige Kultmarke HB.

Geht es nach André Calantzopoulos, ist das jedoch erst der Anfang. „Wie lange noch wird der weltweit führende Zigarettenkonzern im Zigarettengeschäft sein?“, fragte der Philip-Morris-Chef kürzlich öffentlich und kündigte gar an, das „Ende der Zigarette“ einläuten zu wollen.

China ist der größte Zigarettenmarkt der Welt. Die Herstellung liegt bis heute in staatlicher Hand. Zehn Prozent seiner Einnahmen generiert das Land mit der Sucht. Doch die Angst vor den Risiken lässt Peking umdenken.
von Lea Deuber

Tatsächlich investieren die Amerikaner nach eigenen Angaben weit mehr Geld in die Entwicklung von Zigarettenersatz als ihre Konkurrenten. Drei Milliarden Dollar gibt Calantzopoulos für intern RRP genannte Produkte, die Reduced Risk Products, aus. Allein 500 Millionen Dollar gingen in die Produktion des Rauchpads für die Iqos. Dazu hat Philip Morris im Lauf der vergangenen beiden Jahre 20 Kilometer westlich der Altstadt von Bologna, im Dorf Crespellano, eine Hightechfabrik gebaut.

„Vergessen Sie alles, was Sie über die Herstellung herkömmlicher Zigaretten wissen“, sagt Projektingenieurin Raffaella Aurilio zum Besucher: „Was Sie hier sehen, hat mit der alten Welt nicht mehr viel zu tun.“ Mit ihrer Chipkarte öffnet die 30-Jährige die Schleuse zur Hightechfertigung, die aus einem Dutzend Produktionshallen, Verwaltungsbüros, Lager oder Labore auf einer Fläche von 90 000 Quadratmetern besteht, das entspricht der Größe von zwölf Fußballfeldern.

Auch in Japan stagniert der Tabakkonsum. Japan Tobacco, drittgrößter Anbieter weltweit, will mit einer besonders ausgeklügelten E-Zigarette dagegen halten.
von Martin Fritz

In Halle 110, der Primary Area, hängt der Geruch von Tabak in der Luft. Die in Ballen gelieferten, geschirrtuchgroßen Tabakblätter werden gehäckselt, bis von ihnen nur noch ein hellbraunes Pulver übrig bleibt. Das wird zu einem Sud verflüssigt und in einem haushohen, 100 Meter langen Maschinenkoloss auf Bahnen aufgetragen und getrocknet. Auf die Weise entsteht eine mehrere Meter breite Tabakfolie, dünn wie eine Zeitungsseite. Eine weitere Maschine schneidet die Folie in immer dünnere Streifen, die schließlich zu einem kleinen, komprimierten Tabakstück gezwirbelt werden: einem Heet.

„Diese Fabrik stoppt nie“, ruft Aurilio gegen den Lärm von Maschinen und Robotern an. Knapp 500 Menschen arbeiten hier in drei Schichten, 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche. Spätestens am Jahresende will Philip Morris die Kapazität der Fabrik von 15 auf 50 Milliarden Heets erhöhen. Wie eine kleine Armee gleiten schon jetzt jeden Tag 40 Millionen fertige Ministengel über spezielle Förderbänder in drei Meter Höhe über den Köpfen der Fabrikbesucher dahin – jeder einzelne Tabakstummel nichts anderes als eine weitere Patrone im Arsenal des Weltkonzerns im Kampf um den neu entstehenden Markt.

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