Textillieferant Multiline "... sonst gibt's eins auf die Mütze"

In der Öffentlichkeit präsentiert sich Ghassan Arab, der Textillieferant von Lidl, Penny, Strauss und P&C, als Menschenfreund. Seine Mitarbeiter dagegen behandelt er wie Leibeigene.

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Multiline-Chef Ghassan Arab Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche

Das Jobangebot klingt verlockend: stellvertretender Finanzleiter (m/w). Nur, der Arbeitgeber, die Firma Multiline, scheint nicht gerade die erste Adresse zu sein. Zwar ist das Düsseldorfer Unternehmen nach eigenen Angaben ein Superlativ: Deutschlands größter Hersteller preiswerter Textilien vom T-Shirt bis zum Polohemd und Lieferant fast aller Ketten von Lidl über Penny, Galeria-Kaufhof bis Strauss und P&C.

Doch wer hofft, auf kununu.com, Deutschlands größtem Internet-Portal zur Bewertung von Arbeitgebern, etwas über den Riesen vom Rhein zu erfahren, wird enttäuscht. Denn Kununu hat Multiline auf Druck des Unternehmens auf seiner WebSite geblockt. „Die Multiline Textil GmbH hat Kununu mehrfach mit anwaltlichen Schreiben aufgefordert, einzelne Berichte aufgrund falscher und diffamierender Äußerungen zu deaktivieren“, heißt es auf der Internet-Plattform. „Zur Vermeidung einer rechtlichen Auseinandersetzung hat Kununu die Multiline Textil GmbH für Bewertungen auf kununu.com gesperrt.“

Obwohl es bei Kununu von kritischen Urteilen nur so wimmelt, bestehen die Gescholtenen extrem selten auf der Entfernung. „Von den über 85 000 bewerteten Unternehmen gibt es aktuell rund zehn Sperrseiten“, teilt Kununu auf Anfrage mit.

Gast hochrangiger Politiker

Dass Multiline auf der Tilgung kritischer Bemerkungen beharrt, hat einen einfachen Grund: Bei dem Unternehmen ist offenkundig die Hölle los. Nach außen präsentiert sich Inhaber Ghassan Arab als Menschenfreund und ethischer Unternehmer. Wo es nur geht, schmückt er sich mit Politikern wie Außenminister Guido Westerwelle (FDP), Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) oder Ex-Bundespräsident Christian Wulff, in deren Tross er bei Auslandsreisen ein gern gesehener Gast ist.

Hinter dieser Fassade rumort es jedoch gewaltig. Die Fluktuation nimmt groteske Züge an. Bei einer Belegschaft von weniger als 100 Mitarbeitern verließen in den vergangenen zwei Jahren mehr als 50 Mitarbeiter das Unternehmen. Mindestens zehnmal, so das Arbeitsgericht Düsseldorf, endete die Trennung vor Gericht. Viele bestehen bei Multiline die Probezeit nicht.

Fortwährender Exodus der Mitarbeiter

Ghassan Arab mit Bill Clinton Quelle: Multiline

Arab, gebürtiger Syrer mit deutschem Pass, ist mit Multiline schnell gewachsen. Er hatte die deutsche Dependance 1988 gegründet, sie zu einem kleinen Imperium mit Ablegern in Bangladesch ausgebaut und war zum Zeugwart der großen deutschen Handelsketten aufgestiegen. Doch inzwischen wachsen in der Branche die Zweifel an der Erfolgsstory. Arab riskiert lieber Ordnungsstrafen, als dass er seine Jahresabschlüsse veröffentlicht. Was dran ist an seinen Umsätzen von angeblich mehr als einer Milliarde Euro, die in Branchenblättern kursieren, weiß niemand.

Wilde Zeiten

Unübersehbar ist, dass bei Multiline das Arbeitsklima auf einem Tiefpunkt angelangt ist. Personalvermittler ziehen sich von dem Unternehmen zurück. „Das ließ sich mit unseren ganzheitlichen Werten nicht mehr in Einklang bringen“, sagt ein Rekrutierer. Arab räumt auf Anfrage ein, dass es bei Multiline eine „wilde Phase zwischen Ende 2011 und Anfang 2012 gegeben“ habe, in der „viele Leute rein- und rausgegangen seien“. Diese sei „Gott sei Dank schon lange vorbei“. Heute sei er „sehr stolz“, eine „sehr gute Arbeitsatmosphäre zu haben“.

Fakt ist: Der Exodus will nicht enden. Seit Januar haben erneut mindestens sechs Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Mehr als ein Dutzend Ex-Multiliner berichten übereinstimmend von Degradierungen, schlechtem Arbeitsklima, mangelhafter Einarbeitung und vom ruppigen Umgangston des Inhabers. So stellte Arab der Belegschaft in Düsseldorf eine neue Abteilungsleiterin per E-Mail mit folgenden Worten vor: „Frau P. ist eure neue Chefin.

Sie hat jedoch keine Zeit für euch, deshalb organisiert euch bitte selber. Sonst gibt sie euch ggf. einen auf die Mütze.“ Arab findet daran nichts Anrüchiges. Die berufliche Zusammenarbeit sei manchmal vergleichbar mit einer Ehe. „Viele Ehen sind glücklich und zufrieden, dennoch gehen manche Ehen auseinander.“ Auch habe er leider mehr per Bauchgefühl und persönlichem Eindruck eingestellt, statt auf die Qualifikation zu achten.

Große Kluft zwischen Fassade und Wirklichkeit

Ghassan Arab mit Angela Merkel Quelle: Multiline

Viele Ex-Multiliner haben einen neuen Job bei namhaften Unternehmen wie Henkel, Esprit, C&A, Falke oder Kaufhof gefunden. Fest steht: Bei Multiline halten es nur wenige lange aus. In der Personalabteilung gaben sich in den vergangenen zwei Jahren mindestens vier Leiter die Klinke in die Hand. Auch neue Finanzchefs und Controller suchten möglichst schnell wieder das Weite. Im März 2012 machte Arab seine Frau Jasmin, eine gelernte Bürokauffrau, zur Finanzchefin.

Arabs Attitüden erinnern an die Zeiten der Leibeigenschaft. So bekommen Mitarbeiter nachts per E-Mail Arbeitsanweisungen von ihm zu Handlangertätigkeiten in seinem Privathaushalt: „Schalten Sie morgen das End-Piepsen an unserer Spülmaschine zu Hause aus“. Oder: „Unser Trockner schließt nicht richtig. Bitte kümmern Sie sich darum.“

Zugleich muss sich jeder, der für Arab arbeitet, an einen Multiline-Knigge halten. Darin heißt es unter Punkt 1.2.2: „Unschöne Äußerlichkeiten, die sich der Mensch selber zugefügt hat, wie eine hässliche Frisur oder Übergewicht durch zu viel Schokolade sollten auf jeden Fall kaschiert und langfristig verändert werden.“

Nicht nur äußerlich, auch wirtschaftlich klaffen Schein und Sein bei Multiline auseinander. Im Herbst 2011 kündigte Arab gegenüber der WirtschaftsWoche an, eine Megafabrik in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka hochzuziehen, mit zwölf Produktionshallen für 200 Millionen Dollar und 10 000 Mitarbeiter. Dort steht aber bis heute noch nicht mal ein Dixi-Klo. Kenner halten das ganze Projekt eher für ein Hirngespinst.

„Herr Arab hinterlässt einen zweifelhaften Eindruck, denn es wurde ihm schon der Weg für eine Fabrik geebnet, aber es passiert nichts“, sagt ein Mitarbeiter der deutschen Handelskammer in Bangladesch. Arab hält dagegen, es sei nicht möglich in Bangladesch eine stabile Energieversorgung für eine Fabrik zu gewährleisten. Deshalb habe er das Projekt endgültig auf Eis gelegt.

Auch mit Beweisen für seine Umsätze tut sich Arab schwer. Das Fachblatt „Textilwirtschaft“ zählt Multiline mit einem Erlös von knapp 1,4 Milliarden Euro zwar zu den fünf größten deutschen Textilherstellern.

Mehrere Verfahren

Logo C&A Quelle: AP

Doch die maßgebliche Gesellschaft in Deutschland, SAM in Düsseldorf, die laut Handelsregister „die Multiline Unternehmensgruppe bei den europäischen Handelspartnern vertritt“, wies 2010 lediglich einen Umsatz von 20 Millionen Euro aus, 14 Millionen weniger als 2008.

Arab sagt dazu, das Gros seines Geschäfts laufe nicht über die SAM in Düsseldorf: „Wir repräsentieren hier die Gruppe mit allen Facetten, aber wir ziehen die Umsätze garantiert nicht über die deutsche Tochtergesellschaft. Die Umsätze gehen direkt vom jeweiligen Werk an die Kundschaft.“

Trotzdem verweigert Arab den Einblick in seine Düsseldorfer Zentrale. Laut Bundesamt für Justiz in Bonn ist Arabs SAM „offenlegungssäumig“. Und gegen die Tochtergesellschaft Multiline Textil seien für 2006, 2007, 2009 und 2010 Ordnungsgeldverfahren eingeleitet worden, weil das Unternehmen seiner Pflicht zur Veröffentlichung der Geschäftszahlen nicht nachgekommen sei. Arab behauptet, die Verfahren nicht zu kennen. Erst Ende März sei ein Schreiben wegen angeblich nicht veröffentlichter Zahlen von 2008 bei ihm eingegangen.

Um in der Öffentlichkeit gut dazustehen, sind Arab offenbar fast alle Mittel recht. So beauftragte er im Herbst 2011 Mitarbeiter, bei Kununu positive Kommentare zu platzieren. Anfang 2012 wollte Arab von einem Mitarbeiter wissen, wie weit er damit gekommen sei. Unter Punkt 9 („gutes Bild von uns zeichnen“) antwortete der Mitarbeiter, er habe „extra neue Adressen anlegen lassen und mindestens ein halbes Dutzend Einträge geschrieben“, allerdings seien diese „von Kununu noch nicht freigegeben“.

Arab behauptet, dies zu Testzwecken veranlasst zu haben, da Kununu keine positiven Kommentare zugelassen habe. Gleichwohl echauffierte er sich über die Erfolglosigkeit des Mitarbeiters und wies seine Personalchefin an: „Bitte diesen Punkt negativ in seiner Akte vermerken.“

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