Tönnies Schlachtkonzern zerfleischt sich selbst

Seit einem Jahr zerfleischen sich in Deutschlands größtem Schlachtkonzern Tönnies die Familiengesellschafter. Dabei spielt offenbar auch ein Steuerfahnder eine zwielichtige Rolle.

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Streit in Familienunternehmen
Clemens Tönnies (links), Robert Tönnies Quelle: Nils Hendrik Müller für WirtschaftsWoche
Fischer DübelZwischen Jörg Fischer (36) und seinem Vater Klaus Fischer (61) krachte es so sehr, dass der Sohnemann im April 2012 hinschmiss und das Unternehmen verließ. Man habe festgestellt, dass die Vorstellung im Hinblick auf Ausrichtung und Führung des Unternehmens "gravierend unterschiedlich" seien, teilte Klaus Fischer mit. Jörg Fischer hatte die Leitung der Geschäfte erst Anfang 2011 übernommen. Jetzt führt Vater Klaus wieder das Unternehmen. Es ist nicht der erste Schlagabtausch im Hause Fischer. 2007 prozessierte Firmenpatriarch Artur Fischer erfolgreich gegen Tochter Margot Fischer-Weber. Ihr wurde gerichtlich untersagt, Vater und Bruder auf ihrer Website als „Haie, Wölfe, Schweine“ oder „Idioten" zu bezeichnen. Dem Urteil ging ein jahrelanger Rechtsstreit um das Erbe der Dübel-Dynastie voraus. Quelle: Presse
Eine Frau zeigt Minischnapsflaschen des Spirituosen-Herstellers Berentzen Quelle: dpa/dpaweb
Jette Joop und Vater Wolfgang Joop Quelle: dpa
Porsche und PiechZwei Cousins wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Gemeinsam ist ihnen der Großvater Ferdinand Porsche, Erfinder des VW-Käfers. Ferdinand Piech (links) lenkt als Aufsichtsratsvorsitzender von Volkswagen die Geschicke des Piech-Zweigs der Familie. Er gilt als stiller, aber harter Manager - ein nüchterner Zahlenmensch. Daneben Wolfgang Porsche, Aufsichtsratsvorsitzender von Porsche. Er gilt als Familienmensch, schöngeistig, weich. Der Kampf der Familien gipfelt 2009 als Porsche versucht, VW zu übernehmen. Quelle: dpa
ElectronicPartner EPZwei Jahre lang stritten die Gesellschafter des Elektronikfachhändlers aus Düsseldorf. Grund: Unternehmensnestor Harmut Haubrich hatte die Firmenleitung an seinen Neffen Oliver Haubrich (rechts im Bild - neben ihm Unternehmens-Sprecher Jörg Ehmer) abgetreten. Der hatte sie jedoch nach kurzer Zeit einem familienfremden Manager übertragen. Hartmut Haubrich hielt mit der Kritik an seinem Neffen nicht hinterm Berg. "Erbfolge ist keine Tüchtigkeitsfolge", sagte er auf einer Tagung. Ende 2012 einigte sich die Familie. Oliver Haubrich und seine Schwester Marion Wenske schieden aus der Dachgesellschaft der EP-Unternehmensgruppe aus. Quelle: dpa
Hans und Paul Riegel Quelle: PR

Wenn Rüdiger P.* bei Deutschlands größtem Metzger Clemens Tönnies vorbeischaut, hält sich dessen Freude in Grenzen. Als Rüdiger P. am Dienstag vor zwei Wochen wieder mal vor der Unternehmenszentrale im westfälischen Rheda-Wiedenbrück stand, blieb Tönnies zumindest die direkte Aversion erspart. Der Hausherr weilte auf dem Kreuzfahrtschiff Aida, als Rüdiger P. bei ihm anrückte und mit einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss Einlass begehrte.

Rüdiger P. ist Steuerfahnder beim Finanzamt Bielefeld und spielt im Machtkampf bei Deutschlands größtem Schlachtkonzern mit 4,3 Milliarden Euro Umsatz und 8000 Mitarbeitern eine schwer durchschaubare Rolle. Seit nunmehr einem Jahr zerfleischen sich Schlachtbaron Clemens Tönnies, 56, und sein Neffe Robert, 34. Es ist eine zunehmend auch öffentliche Auseinandersetzung mit vielen Ferkeleien – und mittendrin Steuerfahnder Rüdiger P.

Neffe gegen Onkel

In dem Schlachtimperium tobt ein verbissener Streit um Gesellschaftsanteile. Onkel Clemens und Neffe Robert halten jeweils 50 Prozent. Doch Robert fordert einen fünfprozentigen Firmenanteil zurück, den er Clemens Ende 2008 geschenkt hatte. Der Neffe wirft dem Onkel groben Undank vor, weil dieser sich privat an Schweinemastbetrieben in Russland sowie an Deutschlands größtem Wursthersteller Zur Mühlen beteiligte, der Marken wie Böklunder und Redlefsen produziert.

Aus Sicht von Robert und seinem Anwalt Mark Binz hat Clemens Tönnies auf diese Weise konkurrierende Unternehmen aufgebaut und somit die Schenkung verwirkt. Sollte Robert Tönnies damit vor Gericht durchkommen und die Schenkung widerrufen können, hielte er 55 Prozent an der Tönnies Holding und wäre der neue Herrscher über das Fleischreich.

Gezielte Indiskretion und diskrete Hinweise

An Roberts Seite kämpft mit Anwalt Binz ein Advokat, der als Spezialist für Streitereien unter Gesellschaftern nicht unumstritten ist. In einem Aufsatz beschrieb Binz Ende vergangenen Jahres Instrumente, mit denen Gesellschafter sich gegenüber ihren Kompagnons "lästig" machen können. Zu den Waffen zählt Binz darin exzessive Auskunftsersuchen, gezielte Indiskretionen gegenüber der Presse und diskrete Hinweise an Strafverfolgungsbehörden.

Knapp drei Wochen nach der Durchsuchung verdächtigt Onkel Clemens nun Binz und seinen Neffen Robert, hinter der Razzia in der Konzernzentrale zu stecken. "Wir haben Anhaltspunkte dafür, dass es Verbindungen zwischen der Steuerfahndung sowie Robert Tönnies und seinen Anwälten gibt", sagt Sven Thomas, der Düsseldorfer Anwalt von Clemens Tönnies. "Bei der Durchsuchung wurden Akten beschlagnahmt, die keinerlei Bezug zum Ermittlungsverfahren aufweisen, deren Herausgabe aber zuvor von Herrn Binz begehrt wurde."

Es bleiben offene Fragen

Deutschlands Schlachtkönige
Unifleisch Quelle: AP
Attenberger Quelle: dpa/dpaweb
Färber Gruppe Quelle: dpa/dpaweb
Vogler Quelle: AP
Teterower Fleisch Quelle: AP
Hülshorst GmbH Quelle: AP
Westphal Schlachthof Quelle: AP

Ein Sprecher von Robert Tönnies bestreitet die Vorwürfe. Robert Tönnies und Binz stünden "nicht in Verbindung mit den aktuellen Steuerermittlungen". Doch nach der Durchsuchung bleiben Merkwürdigkeiten und offene Fragen.

Der Durchsuchungsbeschluss zum Ermittlungsverfahren mit dem Aktenzeichen 6 Js 43/11 gegen Clemens Tönnies und sechs weitere Beschuldigte enthält Vorwürfe, die selbst nach Einschätzung der Bielefelder Staatsanwaltschaft nicht gerade auf Großvergehen hindeuten. Anlass für die Razzia war der Verdacht, Clemens Tönnies könnte Umsatz- und Gewerbe-, Lohn- und Einkommen- sowie Schenkungssteuern hinterzogen zu haben. Die meisten Vorwürfe stammen aus den Jahren 2006 bis 2010, nur einer aus 2011.

Dem Durchsuchungsbeschluss zufolge, der der WirtschaftsWoche vorliegt, soll Tönnies in Ribnitz-Damgarten (Mecklenburg-Vorpommern) etwa ein Jagdrevier privat genutzt, aber über die Firma finanziert haben – mittels Scheinrechnungen eines Wildhandels. Außerdem soll er seinem Sohn Geld überwiesen haben für den Ausbau eines Grundstücks, das er selbst nutzt.

Tönnies könnte straffrei bleiben

Auf einen großen Schlag gegen Clemens Tönnies können die Ermittler damit nicht hoffen. Nach bisherigem Stand der Ermittlungen geht es um einen möglichen Steuerfehlbetrag "höchstens im sechsstelligen Bereich", räumt der Bielefelder Oberstaatsanwalt Klaus Pollmann ein: "Ich will nichts bagatellisieren, aber von der Größenordnung her kommt dem Verfahren keine besondere Bedeutung zu."

Die vermeintlich heiße Spur zu einer Stiftung in Liechtenstein könnte sich sogar als völlig kalt herausstellen. Denn Clemens Tönnies hatte dem Finanzamt die Existenz der Stiftung im Mai 2012 mit einer Selbstanzeige mitgeteilt. Wenn er die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt hat, dürfte er straffrei bleiben. "Die Sachverhalte sind den Steuerbehörden alle bekannt. Wir befinden uns seit Längerem in Gesprächen mit ihnen", lässt Clemens Tönnies ausrichten.

Gezielte Herausgabe von Unterlagen verlangt

Für besonders großen Unmut sorgt im Unternehmen Tönnies jedoch, dass sich Steuerfahnder Rüdiger P. bei der Razzia vor rund drei Wochen brennend für Akten zu interessieren schien, die gar nicht im Durchsuchungsbeschluss standen – von denen aber einige das Interesse von Robert und seinem Anwalt Binz geweckt haben.

Rüdiger P. verlangte offenbar gezielt die Herausgabe von Unterlagen für Gesellschafterversammlungen bei Tönnies. Ebenso fragte er nach Informationen über das Russland-Engagement von Clemens Tönnies. In der Tönnies-Zentrale liegt nun ein Aktenordner mit der Beschriftung "Auskunftstermin Gesellschafterversammlung 11.10.2012". Auf ihm prangen der amtliche Hinweis "Finanzamt für Steuerfahndung und Steuerstrafsachen Bielefeld – Steuerfahndungsstelle – Asservat" sowie der Name von Rüdiger P. Als Asservat werden üblicherweise von Behörden beschlagnahmte Gegenstände bezeichnet.

Scharf auf die Unterlagen der Steuerfahndung

Der Aufsichtsratsvorsitzende des FC Schalke 04, Clemens Tönnies, und Ehefrau Margit Quelle: dpa

Der Ordner enthält internen Schriftverkehr des Tönnies-Managements zu Fragen, mit denen Robert und seine Anwälte den Onkel vor der Gesellschafterversammlung löcherten. Tönnies-Mitarbeiter erklären den Aufkleber so: Die Fahnder wollten den Ordner beschlagnahmen, wurden aber von den herbeigeeilten Tönnies-Anwälten daran gehindert, weil dies nicht vom Durchsuchungsbeschluss gedeckt sei. Der Ordner blieb bei Tönnies, der Aufkleber mit P.s Namen versehentlich dran.

Offenbar nahmen die Beamten auch Unterlagen zu Kartellverfahren mit. Dies war nach Auffassung der Tönnies-Anwälte ebenfalls nicht vom Durchsuchungsbeschluss gedeckt. Und Teile dieser Unterlagen würde das Robert-Lager im Streit mit dem Onkel um die verschenkten fünf Prozent am Schlachtimperium nach eigenen Angaben gerne sehen. Die Schreiben an das Kartellamt enthalten auch Informationen zu Clemens Tönnies’ Engagement bei Zur Mühlen – um das sich Neffe und Onkel ebenfalls streiten.

Verdacht auf gewerbsmäßigen Betrug

Dass Robert Tönnies und seine Anwälte scharf sind auf die Unterlagen der Steuerfahndung gegen den Onkel, ist Fakt. Seit die Steuerfahnder Robert Tönnies im Frühjahr dieses Jahres über das Ermittlungsverfahren gegen seinen Onkel informiert haben, fordern sie Akteneinsicht.

Die Akten bearbeitet mit Rüdiger P. ausgerechnet ein Fahnder, der bereits in einem anderen Strafverfahren gegen Clemens Tönnies eine ebenso zentrale wie zwielichtige Rolle spielte. Nach einer anonymen Anzeige ermittelte die Staatsanwaltschaft Bochum in einem Monsterverfahren über Jahre hinweg gegen den Westfalen. Die Fahnder verdächtigten Tönnies und zahlreiche Mitarbeiter des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges, der Steuerhinterziehung, der Korruption und anderer massiver Straftaten. Doch von den 24 Vorwürfen brach einer nach dem anderen zusammen. Nur wegen eines Vorwurfs wurde Clemens Tönnies 2011 schließlich angeklagt – angebliche Verstöße gegen das Lebensmittelrecht. Das Landgericht Essen stellte das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage, aber ohne Schuldspruch ein.

Anwälte reagieren nicht

Spannend war jedoch, was die Essener Verhandlung am Rande zutage förderte. Denn während des Verfahrens tauchten Dokumente auf, nach denen Rüdiger P. dem anonymen Anzeigenerstatter beim Verfassen der Anzeige behilflich gewesen sein soll. Zeugen belasteten P. vor Gericht, er selbst konnte sich an nichts erinnern.

Auf Anfragen der WirtschaftsWoche zu den neuen Vorwürfen von Clemens Tönnies’ Anwalt reagierte P. nicht. Robert Tönnies und sein Anwalt Binz bestreiten jede Verbindung. Für Clemens Tönnies sprechen die Indizien eine klare Sprache. "Es ist ein Klassiker, dass bei Gesellschafterstreits auch versucht wird, Unterlagen der Steuerfahndung zu verwenden", sagt sein Anwalt Sven Thomas, der nun P. selbst ins Visier nimmt: "Wir prüfen intensiv, welche rechtlichen Schritte wir jetzt einleiten."

Die juristischen Scharmützel werden also weitergehen. Und im November könnte auch Robert Tönnies seine Klage gegen Onkel Clemens auf Schenkungswiderruf bei Gericht einreichen.

*Name von der Redaktion geändert

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