Tourismus während der EM Volle Couch und leere Strände

Reisen oder Fußball gucken? Deutschlands Touristikindustrie setzt zum Frontalangriff auf urlaubsmüde Couch-Sportler an. Mit welchen Rabattaktionen und Gewinnspielen sie von den Fernsehgeräten weggelockt werden sollen.

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Bei großen Turnieren bleiben die Deutschen lieber zu Hause. Quelle: dpa

Düsseldorf Der Reiseveranstalter Tui nimmt es sportlich. „EM111“ hat der Hannoveraner Urlaubsmarktführer seine Werbeaktion genannt, mit der er pünktlich zur Fußball-Europameisterschaft sein Geschäft ankurbeln will. Wer über ihn Mittel- und Fernstreckenflügen bucht, erhält bis zum 22. Juni einen Rabatt von 111 Euro. Den Preisnachlass gibt es zudem auf rund 50 Hotels, sofern sieben Nächte gebucht werden und sich der Reisepreis auf mindestens 499 Euro beläuft.

Norwegian Cruise Line winkt Betreibern von Reisebüros mit 30 Euro Zusatzprovision, falls sie zwischen dem 9. und 22. Juni eine ihrer Europa-Kreuzfahrten verkaufen. Urlauber sollen beim „European Champions Sale“ außerdem von einem gestaffelten Rabatt profitieren.

Scheinbar alle freuen sich auf die Europameisterschaft. Nur die Reise-Branche jammert insgeheim. Der Grund: Während internationaler Fußball-Turniere – und bei der aktuellen EM ist kaum anderes zu erwarten – erweisen sich die Deutschen traditionell als reisefaul. Schon vor zwei Jahren, als Deutschland in Brasilien antrat, stockte das Urlaubsgeschäft. „Kurz vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft gab es einen zurückhaltenden Buchungseingang“, hieß es damals etwa bei Alltours. Die Mehrzahl an Fußballfans blieb damals lieber daheim, um mit Freunden und der Familie mitzufiebern. Daran hat sich nichts geändert.

Im EM-Monat Juni sei das Reisegeschäft wegen der späten Sommerferien ohnehin schon träge. Zudem zögern viele ihre Urlaubsbuchungen wegen der zahlreichen Terroranschläge heraus.

Jetzt aber haben sich Deutschlands Reiseveranstalter offenbar entschlossen, den EM-Effekt zu ihrem Vorteil zu nutzen. Nicht nur Tui und Norwegian locken mit attraktiven Reisen und EM-inspirierten Rabatten. Viele zeigen sich kreativ, denn das eigentliche Werben mit dem Turnier wird strengstens vom Weltfußballverband Fifa kontrolliert. Nur durch den Kauf von teuren Lizenzen dürfen die Logos verwendet oder Tickets verkauft werden.

In Deutschland beispielsweise können Privatpersonen über den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und über den Rewe-Reiseveranstalter Dertour, der auch Reisen zu den Austragungsorten in Frankreich bietet, Tickets für EM-Spiele erwerben. Diese Lizenzen werden in kleiner Zahl an ausgewählte und oftmals langjährige Partner vergeben. Dennoch haben andere deutsche Reiseveranstalter Wege gefunden, auf den EM-Zug aufzuspringen.

Einer der Trittbrettfahrer ist die Deutsche Post. Genauer gesagt ihre junge Reiseagentur Post Reisen: Ganz nach dem Motto „Wenn unsere Jungs treffen, steigen die Rabatte!“ erhalten Reisende pro Tor der Nationalelf zehn Euro Rabatt auf Reise-Deals. Das Angebot gilt ab dem Folgetag eines EM Spiels für drei Tage.

Außerdem hält die Post-Agentur ein Public-Viewing-Special im Sortiment. Die Reisen führen in elf deutsche Städte, die bekannt sind für ihre Fanmeilen und großen Leinwände. Auch hier ködert das Unternehmen mit Rabatten: Den ersten 50 Buchern wird die Hin- und Rückfahrt mit dem Postbus erlassen.


EM-Titel als Gratiswerbung für Deutschland

Mit Reisen inklusive TV-Live-Blick ins Stadium lockt das Kreuzschiff-Unternehmen Tui Cruises („Mein Schiff“). An Bord können Fußballbegeisterte der deutschen Mannschaft in Fan-Lounges auf hoher See die Daumen drücken. Mit dabei sollen auch „prominente Fußball-Experten“ sein. Fans kämen so auf ihre Kosten, wirbt die Reederei, auch wenn sie nicht im Stadium dabei sein könnten.

Andere Reisefirmen profitieren sogar bei Nicht-Fußball-Reisen vom EM-Effekt. Die Deutsche Bahn (DB) ersetzte Anfang April die dreimonatige Probe-BahnCard 25 und 50 mit der sogenannte „Sieger-BahnCard“. Zwar kommt das viereckige Plastik mit neuem Aussehen daher, trotzdem bleibt ihr Inhalt derselbe: eine ganz normale Probe-Karte. Einziger Bezug zur EM: Wer die Sieger-BahnCard kauft und den Fußball-Europameister richtig tippt, fährt im August kostenlos mit der Bahn durch Deutschland. Die Promotion läuft zu Beginn der EM aus.

Doch lohnen sich diese Angebote tatsächlich? „Angebote für Reisen innerhalb Deutschlands etwa zur Fanmeile in Berlin oder Public Viewing-Veranstaltungen finden breiten Zuspruch“, sagt Torsten Schäfer vom Deutschen Reiseverband (DRV). Für Reisen mit Mittel- oder Langstreckenflug würden diese Aktionen während der EM-Wochen hingegen nur wenig bringen, glaubt er.

Noch aber hofft die Branche auf einen Endspurt nach den Spielen. Schließlich beginnen in vielen Bundesländern die Sommerferien erst danach. Außerdem buchten viele Fußball-Fans nach dem Ausscheiden der Nationalelf kurzfristig noch Flüge ins Ausland, hofft der DRV.

Urlaubsanbieter im Inland könnten sogar mittelfristig von der EM profitieren – vorausgesetzt die deutsche Nationalmannschaft kommt ins Finale. Seitdem Deutschland WM-Meister wurde, ist nämlich die Zahl der Touristen gestiegen, die ins Land kamen.

„Mit dem Sieg der deutschen Nationalmannschaft wuchs die Aufmerksamkeit für das Reiseziel Deutschland in der weltweiten öffentlichen Wahrnehmung“, erklärt Schäfer. „Wir wurden als gute Gastgeber wahrgenommen und Deutschland zählt seither regelmäßig in internationalen Reisemagazinen zu den Top-Destinationen der Welt.“

Wiederholt sich der Titelgewinn, dürfte Deutschland erneut eine Gratiswerbung winken – durch die Medien im Ausland.

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