TV-Kritik „Ikea-Check“ Stress am Hochregallager

Ikea ist preiswert und behandelt seine Mitarbeiter fair. Oder? Der ARD-„Markencheck“ hat sich das schwedische Möbelhaus vorgenommen – und kommt zu anderen Ergebnissen.

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Zehn Fakten über das schwedische Möbelhaus
Ingvar Kamprad Quelle: REUTERS
Das Foto aus dem Jahr 1974 zeigt das erste in Deutschland eröffnete Ikea-Möbelhaus in Eching bei München Quelle: dpa
Ikea Köttbullar Quelle: dpa
Wie Ikea zu seinem Namen kam Quelle: dpa
Der Ikea-Katalog ist beliebter als die Bibel
Das Bücherregal „Billy“ ist einer der Ikea-Verkaufsschlager schlechthin Quelle: dpa
Ikeas "Klippan" ist nicht nur ein Sofa für die Studentenbude, sondern auch ein kleines Kaff in der schwedischen Provinz. Quelle: dpa

Neulich bei Ikea: Familie Pauli ist gekommen, um ein Bett für ihre Tochter zu kaufen. Mutter Jenny ist großer Ikea-Fan, ihr Mann Markus eher weniger. Gerade haben sie sich durch die erste Hälfte der Möbelausstellung gearbeitet. Jenny: „Wollen wir nicht noch nach einer Küche schauen?“ Markus, trocken: „Nein.“ Eine Etage tiefer folgt dann die Markthalle. „Das hier sind die gefährlichen Gänge“, sagt Markus. Oben seien sie noch halbwegs zügig durchgekommen, hier fielen an jeder Ecke Dinge in den Wagen. Am Ende steht eine Rechnung von 460,28 Euro – dann natürlich haben die Paulis wieder Dinge gekauft, die sie ursprünglich gar nicht haben wollten. Wie jedes Mal bei Ikea.

Fast jeder hat solche Situationen schon selbst erlebt. Das brachte die Macher des populären „Markencheck“-Formats am Montagabend im Ersten dazu, erneut (nach einem ersten Ikea-Check im Jahr 2011) das schwedische Möbelhaus zu testen. Mit lustigen, zum Teil an die „Knoff-Hoff-Show“ erinnernden Experimenten versuchten sie, hinter die Fassade zu schauen. Meistens griffen sie sich allerdings eher einen Aspekt des Unternehmens heraus und thematisieren ihn – ihre Ergebnisse sind interessant, doch kommt der Mehrwert für Verbraucher zu kurz. Dass die Prüfer einige Haare in der Suppe des bekannten Möbelhauses finden, versteht sich von selbst.

Ikea - Daten und Fakten

Die Auswahl der Kategorien, in denen Ikea „gecheckt“ wird, wirken entsprechend willkürlich. Die Sendung beginnt mit einem Test, wie viel Stress Verbraucher beim Ikea-Einkauf empfinden. Es folgt ein Test des „Ikea-Prinzips“, dann die Qualität der Produkte und zum Schluss die Fairness des Unternehmens denen gegenüber, die ihre Möbel herstellen. Die Preise von Billy, Ivar und Co. werden hingegen nicht mit denen von Wettbewerbern verglichen. Hier hätte sich ein Vergleich aber durchaus gelohnt – gehen doch viele Verbraucher direkt zu Ikea, weil die Marke als preiswert gilt.

Der „Stress“-Test: Mutter und Tochter Koller, erstere mit Rollator, werden erst zu Höffner, dann zu Ikea geschickt. Mit ihnen insgesamt 20 Probanden, ausgestattet mit Stress-Sensoren für Puls und Schrittzahl. Alle haben den gleichen Auftrag: Mit 350 Euro in der Tasche drei Möbelstücke kaufen, auf die sie sich vorher festgelegt haben. Zeitlimit: Zwei Stunden. Bei Höffner läuft es entspannt ab, die beiden Damen finden einen freundlichen Verkäufer, der ihnen die gewünschten Dinge zusammenstellt und sind bald wieder draußen. Bei Ikea erweist es sich gerade im Hochregallager der Selbstbedienungsabteilung als arg hinderlich, mit Rollator unterwegs zu sein. Schließlich finden die beiden jedoch auch dort einen Mitarbeiter, der ihnen hilft.

Die Auswertung vom Stress-Experten fördert dann zu Tage, was der Zuschauer schon längst ahnt: Die Probanden empfinden bei Ikea im Durchschnitt mehr Stress, als bei Höffner. Doch hier zeigt sich, dass die ARD-Prüfer zu vorschnellen Schlussfolgerungen neigen: Ikea-Möbelhäuser sind natürlich nicht dafür konzipiert, gegen die Uhr etwas zu finden. Freilich kann man darüber streiten, ob das gut so ist. Aber pauschal zu folgern, Kunden von Ikea seien gestresster, greift zu kurz.

Mit versteckter Kamera in die Fabrik

Es folgt der Test des „Ikea-Prinzips“. Ohne dass es genau gesagt wird, ist damit gemeint, dass Kunden ihre Möbel in Einzelteilen bekommen – und zu Hause erst einmal selbst aufbauen müssen. Eine Bastelgruppe von 40 Frauen mittleren Alters bekommt jeweils einen Ikea-Nachttisch. Die eine Hälfte bekommt ihn fertig, die andere muss ihn erst zusammenbauen. Im Anschluss werden beide Gruppen gefragt, wie viel sie für ihren Nachttisch bezahlen würden, müssen also für ihn „bieten“.

Das Ergebnis ist überraschend: Bei denen, die das Tischchen fertig vorgesetzt bekommen haben, geht es für 29 Euro weg – in der Do-it-yourself-Gruppe hingegen für fast 40 Euro. Offenbar sind Kunden bereit, für ihren Stolz, ein eigenes Möbelstück gebaut zu haben, extra zu bezahlen. Ein Markensoziologe erklärt, dass US-amerikanische Studien diesen Effekt sogar beziffern können. Doch auch hier wieder: Das Ergebnis ist zweifellos interessant, nur was nützt es dem Verbraucher, der sich überlegt, wo er seine Möbel kaufen soll?

Der Film schließt mit einem investigativen Fairness-Check. Die Autoren wollen überprüfen, ob Ikeas Produkte tatsächlich so fair hergestellt werden, wie es die Werbung des Konzerns suggeriert. Ikea hat sich hier tatsächlich Eindrucksvolles auf die Fahnen geschrieben: Von „demokratischem Design“ spricht das Marketing. Allerdings ist zu den Testern zu bemerken, dass in jeder Folge der sechs „Markencheck“-Staffeln in der Vergangenheit, in denen die Kategorie Fairness Thema war, für jede getestete Marke stets ein negatives Ergebnis herauskam. Ob die Autoren also wirklich ganz unvoreingenommen an den Test herangehen, ist zweifelhaft.

In der Tat endet auch der Ikea-Fairness-Check mit der Note „vorgetäuscht“. Die Journalisten reisen einer Kommode hinterher, die laut Packungsaufschrift in Litauen hergestellt wird. Dort wollen sie die Arbeitsbedingungen überprüfen – finden jedoch heraus, dass das Möbelstück tatsächlich in Weißrussland hergestellt wird.

Sie geben sich als Holzwissenschaftler aus und drehen mit versteckter Kamera in der Fabrik. Diese Investigativ-Einlage ist gut gemacht – im Gegensatz zu Formaten wie RTLs „Team Wallraff“ zeigt sie, dass solcher Journalismus durchaus auch ohne übermäßigen Pathos auskommt. Sie können beweisen, dass die fragliche Kommode tatsächlich in Weißrussland hergestellt wird, entgegen der Deklaration von Ikea. In dem letzten diktatorisch regierten Staat in Europa sind Hungerlöhne und Massenverhaftungen an der Tagesordnung.

Jenny Pauli, Ikea-Fan aus Bottrop, hat sich noch nie gefragt, wo ihre Lieblingsmöbel hergestellt werden, wie sie freimütig in die Kamera sagt. Der Kunde sieht eben nur das Ikea-Möbelhaus.

Fazit:
Eine interessante Doku über eine der bekanntesten Marken in Deutschland. Der Verbraucherblickwinkel, den der Titel suggeriert, bleibt jedoch an einigen Stellen etwas auf der Strecke.

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