Alles, was dazwischen passiert ist, nennt der Bäcker Teigführung. Es ist der Schritt des Handwerks, den der Verbraucher am ehesten übersieht. Und der, in dem sich die Eigenschaften des Brötchens entscheiden. Wie lange es frisch bleibt zum Beispiel. Grundsätzlich gilt: längere Teigführung, längere Frische. Man kann diesen Zusammenhang durch den Einsatz von Backmitteln abschwächen, ganz aufheben kann man ihn nicht. Die Kunst des effizienten Brotbackens liegt darin, den Punkt der kürzestmöglichen Teigführung zu finden, ohne dass der Verbraucher Qualitätseinbußen spürt. Der ambitionierte Handwerksbäcker schafft erst das bestmögliche Brot und überlegt sich dann, was es kosten soll. Aus Sicht des Kunden stellt sich da die Frage: Lohnt sich so viel Meisterschaft?
Backmittel seien nicht schädlich, sie könnten sogar die Qualität der Ware verbessern, so Kütscher. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass viele handwerkliche Bäcker selbst auf Backmittel zurückgreifen. Wie groß deren Anteil genau ist, das ist schwierig zu sagen, in einer Umfrage gaben vor Kurzem 65 Prozent aller Bäcker an, das zu tun. Bloß: Die Umfrage stammte vom Backzutatenverband. Harry-Chef Holthausen sagt: „Wir setzen Backmittel ein, aber nicht mehr, sondern eher weniger als manch andere Bäcker.“ Sein Argument: Durch die maschinelle Produktion kann er den Einsatz viel genauer regulieren und muss daher nur so viel einsetzen wie wirklich nötig. Der Handwerksbäcker peile da eher mal über den Daumen.
Natürlich war auch der Bäcker Heinz Manke schon mal bei Aldi und hat dort auf den Knopf gedrückt. Dann ist er nach Hause gefahren und hat sich an den Tisch gesetzt, das Automaten-Brötchen mit seinem „Tafelweckle“ verglichen. „Ich würde nicht behaupten, dass meine Produkte besser schmecken. Doch meine Brote sind einfach meine, die gibt’s nirgendwo sonst“, sagt Bäcker Manke. Vielleicht gerade deshalb rät Kütscher kleinen Bäckern vom Einsatz der Hilfsmittel ab. „Der einzige Wettbewerbsvorteil, den sie heute noch haben, ist der natürliche Geschmack. Den sollte man auf keinen Fall aufgeben.“
Schritt 3: der Ofen
Mittlerweile riecht es in der Wurmlinger Backstube nach Brezeln. Die Bäckerin öffnet die Ofentür und zieht mit einem großen Schieber das Blech nach vorne. Noch zu hell, die Ladung braucht noch zwei Minuten, mindestens. Neben ihr warten bereits drei weitere Wagen mit mehreren Blechen voller Brote und Brötchen. Bis zum Ende der Nacht wird sie insgesamt 150 Brote, 700 Brezeln und 900 Brötchen gebacken haben.
In der Backfabrik Troisdorf entscheidet das Fließband, wann die Brötchen fertig sind. Oder besser: Wann der Backprozess zu 70 Prozent abgeschlossen ist. Die letzten 30 Prozent ergeben schließlich den duftenden Geruch, den die Kunden noch selbst erleben sollen, wenn das Weizenteilchen aus der Maschine plumpst. Prebake nennen sie das bei Harry mit einigem Stolz, schließlich haben sie das System erfunden, 1997 war das.
Aus den Teiglingen sind in 13 Minuten im Ofen zwar schon genießbare Brötchen geworden, deren Farbe aber ist noch ziemlich fahl. Auf sie wartet nun der teuerste Schritt der Produktion: die Tiefkühlung. Denn um lagerfähig zu sein, müssen die Brötchen im Kern auf minus sieben Grad heruntergekühlt werden – obwohl sie gerade noch im 200 Grad heißen Ofen waren. Bei Harry übernimmt das ein Ammoniakkühler, der mittels Wärmetausch innerhalb weniger Sekunden erst die umgebende Luft und dann das Brötchen einfriert. Ohne Pause geht es in den Verpackungsbereich, wo eine Maschine die Brötchen erst in Tüten, dann je 100 Stück in einen Karton und dann als Paletten ins Hochregallager befördert. Dort warten sie auf ihren Empfänger. Jede Linie, um die sich je ein Mitarbeiter kümmert, bringt es auf 24.000 Brötchen pro Stunde.
Auch hier spart der Backfabrikant gegenüber dem Dorfbäcker allein aufgrund der geringen Personalkosten pro Brötchen also viel Geld ein. Zwar zahlt Harry seinen Produktionsmitarbeitern mit 25 Euro pro Stunde deutlich mehr als Bäcker Manke, dessen Gesellen sich mit rund 12,50 Euro zufriedengeben müssen. Manke aber bräuchte mindestens 20 Mitarbeiter um eine Linie der Fabrik nachzustellen. Und dann hätte er erst ein einziges Produkt im Angebot. Bei den Energiekosten spart hingegen der Kleinbäcker, zumindest auf den ersten Blick. Zwar kann Harry seine Öfen effizienter nutzen, dafür muss das Unternehmen viel Energie für die Frostung, die Kühlung und den Transport aufwenden.