Der Preis für diesen Energiekostenvorteil aber ist immens. Da der Kleinbäcker alles an dem Tag verkaufen muss, an dem er es gebacken hat, kann er nur kleine Stückzahlen produzieren. Manke und seine Tochter schicken pro Nacht 15 verschiedene Sorten in den Ofen, jedes Mal müssen sie den Temperaturverlauf einstellen. In der Brotfabrik wird die Linie einmal auf Schnittbrötchen eingestellt, dann läuft sie, eine Woche lang, Tag und Nacht. Erst nach 168 Stunden ununterbrochenen Backens werden Öfen und Gärschränke gewartet und neu eingestellt.
Schritt 4: der Verkauf
Um fünf Uhr kommt die erste Verkäuferin in die Backstube. Sie packt Brezeln, Brötchen und Brote in Kisten für die Bestellungen von Campingplatz, Dorfladen und Grundschule. Dann bereitet sie den Verkaufsraum vor, sortiert Brötchen in den Weidenkorb, schneidet Kuchen an, füllt Kaffeebohnen in die Kaffeemaschine. Als Heinz Manke um sechs Uhr die Ladentür aufschließt, warten die ersten Kunden. Die letzten kommen kurz nach 18 Uhr, wenn er eigentlich schon durchgekehrt hat. Vier Verkäuferinnen haben dann je sieben bis acht Stunden gearbeitet. Auch wenn der Laden an diesem Tag ganz gut läuft, am Ende bleiben 13 Prozent der Produkte, die Sandra Manke in der vorherigen Nacht gebacken hat, übrig. Die macht Manke zu Paniermehl, oder er bringt es am nächsten Tag seinem Müller vorbei. Der hat nämlich Hühner hinter dem Haus.
Das Schnittbrötchen aus der Harry-Fabrik wird auf seinem Weg vom Teig zum Teigling und den Prebake-Klumpen bis in den Ofen im Laden kein einziges Mal von einem Menschen angefasst. Wenn beim Einräumen im Laden nichts danebengeht, ist der Kunde vor dem Automaten tatsächlich der Erste, der das Produkt berührt.
Die Ausstattung mit Backautomaten hat sich Aldi Süd mutmaßlich bis zu 20.000 Euro pro Filiale kosten lassen, es musste aber nicht ein einziger zusätzlicher Mitarbeiter eingestellt werden. Die Befüllung des Automaten ist so simpel, dass die Stammbelegschaft es im Normalbetrieb schafft. Auch die Retourenquote ist minimal: Wenn nicht gerade ein Kunde das bestellte Brötchen im Rumpelfach liegen lässt, wird alles verkauft, was gebacken wird. Selbst bei Frischbrot ist sie mit rund fünf Prozent minimal, zudem verdient Harry auch mit den Retouren noch Geld: Die gesammelten Krümel werden als Rohstoff an die Futtermittelindustrie verkauft.
Das maschinengefertigte Brötchen wird jeden Tag aus gleichwertigem Mehl gemacht, bei gleichbleibender Raumtemperatur verarbeitet, von den gleichen Maschinenhänden geformt und bis auf die Sekunde genau gleich lang gebacken. Verlässlicher geht es nicht. Wem dieses Brötchen heute schmeckt, dem schmeckt es auch morgen und in zehn Jahren. Ein echtes Durchschnittsbrötchen, im besten und berechenbarsten Sinne.
„Letztlich liegt im Erfolg des industriellen Backens auch eine Chance für die kleinen“, sagt Akademieleiter Kütscher. Je gleichförmiger der Durchschnitt, desto deutlicher fallen die besonderen Produkte auf. Zwar beobachtet Kütscher, wie das Bäckereiensterben sich Jahr für Jahr fortsetzt mit nahezu unverändertem Tempo. Jedes Jahr verschwinden rund 450 von ihnen, 2015 waren noch 12.155 übrig. An die Totenmesse im Jahr 2042 glaubt er aber nicht. „Weil echte Qualität heute deutlich stärker geschätzt wird als noch vor ein paar Jahren, machen die guten Bäcker heute auch gute Geschäfte.“
Wie sehr sich die Konsumenten nach ein bisschen mehr Liebe zum Teigling sehnen, beweisen derzeit ausgerechnet die Effizienzmeister von Aldi Süd: Im kommenden Jahr will das Unternehmen die Backautomaten teilweise wieder abbauen, stattdessen soll es eine klassische Brötchentheke geben, munkelt man in der Branche. Das Unternehmen hofft auf steigende Umsätze.