Die Staatsanwaltschaft Stuttgart macht ernst: Sie hat wegen der Pleite der Drogeriemarktkette Schlecker ein Ermittlungsverfahren gegen Anton Schlecker und 13 weitere Beschuldigte eingeleitet. Es geht um den Verdacht der Untreue, Insolvenzverschleppung und des Bankrotts, sagte eine Sprecherin. Zudem würden seit dem Morgen 18 Wohnungen und vier Geschäftsräume im ganzen Bundesgebiet durchsucht. „In unserer Vorprüfung hat sich ein Anfangsverdacht bestätigt“, sagte Staatsanwältin Claudia Krauth.
Die Vorwürfe im Verfahren gegen Anton Schlecker
Dieser Straftatbestand besagt im Kern, dass im Falle einer Firmenpleite Geld- oder Freiheitsstrafen drohen, wenn die Insolvenz „nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig“ bei Gericht angezeigt wird. Es gibt jedoch eine Einschränkung: Anders als etwa bei einer GmbH oder einer Aktiengesellschaft greift das Gesetz nicht für den eingetragenen Kaufmann (e.K.), weil der nämlich keine juristische Person ist. Beim Dachunternehmen Anton Schlecker e.K. ergibt sich somit keine Handhabe, sehr wohl aber bei den Tochterfirmen IhrPlatz und Schlecker XL, die als GmbH & Co. KG beziehungsweise GmbH firmierten.
Kann laut Paragraf 266 im Strafgesetzbuch vorliegen, wenn jemand die ihm anvertraute Macht missbraucht und die Pflicht zur Betreuung eines Vermögens verletzt. Bei dem Geschäftsführer einer Firma kann das zum Beispiel der Fall sein, wenn er Firmenvermögen unter Wert verkauft und so nicht den Gegenwert erzielt, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Es drohen fünf Jahre Haft oder Geldstrafen.
Dieser Straftatbestand hängt eng mit einer Insolvenz zusammen, denn „wer bei Überschuldung oder bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit“ beispielsweise Werte für die mögliche Insolvenzmasse zur Bedienung der Gläubiger verheimlicht oder verschwinden lässt, dem drohen bis zu fünf Jahre Haft oder Geldstrafe. Belangt werden kann auch jemand, der die Bücher einer Firma nicht oder nicht ausreichend führt oder aufbewahrt.
Bei den Durchsuchungen stellten die rund 160 Ermittler nach Polizeiangaben bis zum Mittag umfangreiche Unterlagen und Dateien sicher. Zu den durchsuchten Wohnungen und Geschäftsräumen wollte die Polizei zunächst keine Einzelheiten nennen. Durchsucht wurden drei Firmenräume im baden-württembergischen Alb-Donau-Kreis, in dem auch der Schlecker-Firmensitz liegt, sowie ein Geschäftsraum in der Region Osnabrück. Die durchsuchten Wohnungen liegen nach den Angaben vor allem im Raum Ulm.
Zudem statteten die Ermittler auch privaten Wohnräumen in Berlin, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen Besuche ab. Ein Sprecher des Insolvenzverwalters erklärte, man sei über die Ermittlungen informiert und unterstütze sie. Unmittelbare Auswirkungen für den weiteren Verlauf des Verfahrens gebe es jedoch vorerst nicht. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft könne Anton Schlecker als Einzelperson in der von ihm gewählten Rechtsform eingetragener Kaufmann (e.K.) nicht wegen einer Insolvenzverschleppung belangt werden. Das gelte aber nicht für die Töchter Ihr Platz GmbH & Co. KG und die Schlecker XL GmbH.
Bis zu fünf Jahre Haft drohen
Außerdem griffen bei Anton Schlecker - sollte er sich tatsächlich schuldig gemacht haben - die Straftatbestände Bankrott, Untreue oder Betrug, die mit der Verschleppung eines Insolvenzverfahrens zusammenhängen. All diese drei Tatbestände können laut Gesetz mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hatte Mitte Juni Vorprüfungen aufgenommen, ob die Schlecker-Pleite mit möglichen Straftatbeständen in Verbindung steht.
Einst ein Vermögen von zwei Milliarden Euro
Bei Insolvenzfällen wird routinemäßig die Staatsanwaltschaft informiert, im Fall Schlecker gaben die zunächst zuständigen Ulmer Ermittlungsbehörden die Aufgabe an die Kollegen in Stuttgart ab, wo die Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Wirtschaftsstrafsachen sitzt. Schlecker hatte Ende Januar Insolvenz angemeldet. Ende Juni schlossen deutschlandweit die letzten Filialen, bundesweit verloren rund 25.000 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz. Nach der Pleite wurden wiederholt Vorwürfe laut, vor Anmeldung der Insolvenz seien Vermögenswerte beiseitegeschafft worden. Sie seien etwa auf Schleckers Ehefrau oder seine Kinder überschrieben worden. Diese Vorwürfe hatte die Familie stets zurückgewiesen.
Hinweise auf Ungereimtheiten gab es früh
Die WirtschaftsWoche hatte schon Mitte Juni die Fragen aufgeworfen, ob Anton Schlecker vor der Pleite des Drogerie-Imperiums Millionenbeträge an seine Familie verschoben hat. Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz sah bereits zu diesem Zeitpunkt erste Hinweise "auf anfechtbare Rechtshandlungen". Dazu zählten etwa Geldschenkungen und Last-Minute-Rückzahlungen von Krediten. Ein Sachverständigengutachten vom vom Juni belegte, dass es bei Anton Schlecker nichts mehr zu holen gab.
Zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung hatte der Firmenpatriarch noch 18.000 Euro auf seinem privaten Sparkassen-Konto. Schlecker gab dem Gutachten zufolge an, weder über Lebens- und Rentenversicherungen noch über Schiffe und Villen zu verfügen. Wo aber war das Vermögen das 2011 laut Manager Magazin 1,95 Milliarden Euro betragen haben soll hingekommen? Bei seinen bisherigen Ermittlungen, schrieb Geiwitz, seien „insbesondere Zahlungsströme an Familienmitglieder“ untersucht worden, darunter zum Beispiel „Unterlagen zu Grundstücksübertragungen in den letzten zehn Jahren“. Das Resultat: Geiwitz sieht bei mehreren Sachverhalten möglicherweise „anfechtbare Rechtshandlungen“.
Laut dem Bericht zahlte Anton Schlecker noch am 20. Januar 2012 sieben Millionen Euro an das Logistikunternehmen LDG zurück. Am 23. Januar meldete er Insolvenz an. „Die Zahlung dürfte“, so Geiwitz, „anfechtbar sein.“ LDG gehört Schleckers Kindern Meike und Lars.
Sie hatten dem väterlichen Konzern über die LDG zuvor ein Darlehen in zweistelliger Millionenhöhe gewährt. Last-Minute-Rückzahlungen von Krediten kurz vor einer Insolvenz gelten unter Verwaltern generell als problematisch, da oft der Verdacht nahe liegt, das auf diesem Weg der Insolvenzmasse Geld entzogen wird, um bestimmte Gläubiger zu bevorzugen.
Schlecker ist bereits vorbestraft
Im Jahr 2009 habe Anton Schlecker zudem zwei Grundstücke aus seinem Privatbesitz an seine Ehefrau und seine Kinder unentgeltlich übertragen. In den vergangenen Jahren seien zudem „wiederholt Geldschenkungen an die Kinder und Enkelkinder des Schuldners“ erfolgt. Fest steht allerdings auch: Schlecker hat in den vergangenen Jahren rund eine halbe Milliarde Euro aus seinem Privatbesitz in das Unternehmen gepumpt - seine Kinder haben Millionendarlehen an Schlecker vergeben und zählen zu den größten Gläubigern. Hätte Anton Schlecker in großem Stil Vermögen beiseite schaffen wollen, hätte er nur frühzeitig die Rechtsform seines Konzerns ändern müssen. Welche Vermögenswerte Schlecker tatsächlich widerrechtlich beiseite geschafft hat, wird nun die Staatsanwaltschaft klären.
"Ebenfalls das Allermeiste verloren"
Bis zuletzt hatten auch die Kinder Lars und Meike Schlecker betont, dass "nichts mehr da" sei und die Familienmitglieder in den vergangenen Jahren hohe Geldsummen in die Firma eingebracht hätten. Man habe etwa jeweils rund 49 Millionen Euro als private Einlagen sowie rund 64 Millionen Euro über eine Dienstleistungsgesellschaft in die Firma fließen lassen. Dieses Geld werde man, wie die übrigen nicht vorrangigen Gläubiger, sicherlich nicht zurückbekommen. Lars und Meike Schlecker betonten: "Was die Darstellung unserer Vermögenslage angeht, so möchten wir richtigstellen, dass wir in den vergangenen Jahren und durch die Insolvenz ebenfalls das Allermeiste verloren haben und die kursierenden Angaben merklich über der Wirklichkeit liegen."
Zum Vorwurf, der Zahlungsströmen an Familienmitgliedern schrieben Lars und Meike, man kooperiere offen und transparent mit dem Insolvenzverwalter. "Dies bedeutet: Übertragungen insbesondere in den letzten vier, aber auch in den letzten zehn Jahren, die im Sinne des Insolvenzrechtes rückübertragen werden müssen, werden selbstverständlich diskutiert und gegebenenfalls auch rückübervergütet."
In den nächsten Wochen wird die Staatsanwaltschaft die bei den Razzien gesammelten Unterlagen auswerten und gegebenenfalls eine Anklage vorbereiten. Anton Schlecker müsste dann zum zweiten Mal in seinem Leben vor den Richter treten. 1998 erging gegen ihn und seine Frau Christa ein Urteil wegen Betrugs. Über Jahre hatten sie ihren Mitarbeitern einen tariflich geregelten Lohn zugesichert. Tatsächlich fiel der Lohn wesentlich geringer aus. Beide erhielten eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten und ein Geldstrafe in Millionenhöhe. Seither gelten die Schleckers als vorbestraft.
Mit Material von dpa