In ihrem Video behauptet die Gewerkschaft, dass Amazon Schlupflöcher nutzt, um weniger Steuern zu zahlen. Verdis Theorie: Der Onlineriese vermeidet bewusst Gewinne, die er ja versteuern müsste, indem er kräftig investiert.
Ja, Amazon zahlt tatsächlich wenig Steuern. Das hat zwei Gründe: Steuerschlupflöcher und niedrige Gewinne. Doch seit Frühjahr macht das US-Unternehmen Gewinn – der aber mit 79 Millionen US-Dollar für den großen Online-Händler verhältnismäßig gering ist – zuvor schrieb Amazon noch rote Zahlen. Amazons Anspruch ist es aber nicht hohe Reinerlöse zu erwirtschaften. Das US-Unternehmen will wachsen, indem es neben Nordamerika und Deutschland weitere Märkte erobert. Wenn Amazon expandieren will, muss der Online-Händler investieren – und das geht nun mal nur zulasten der Gewinne.
Bis Mai 2015 hatte Amazon seine Gewinne in Luxemburg versteuert – und aufgrund der niedrigen Steuersätze deutlich weniger Abgaben als andere Unternehmen gezahlt. Damit hatte der Konzern für Unmut bei Politik und Verbrauchern gesorgt. Weil Deutschland nach Nordamerika der wichtigste Markt für Amazon ist, entschied sich der Konzern am 1. Mai für einen Kurswechsel: Ab sofort werden alle in Deutschland erwirtschafteten Gewinne hierzulande versteuert. Das ist zumindest ein kleiner Fortschritt für Amazon.
Beutet Amazon seine Händler aus?
Amazon ist nicht für gute Manieren bekannt. Das Unternehmen hat seine Monopolstellung in der Vergangenheit dazu missbraucht, um Handelspartner unter Druck zu setzen. Bis 2013 hat der Online-Riese seine Handelspartner dazu gezwungen, weder im eigenen Portal noch auf einer anderen Plattform das Produkt zu einem niedrigeren Preis als bei Amazon anzubieten. Das Bundeskartellamt sah in dem "Rabatt-Diktat" eine Behinderung von Amazon-Wettbewerbern – und eine Ausbeutung der Handelspartner. Seitdem das Bundeskartellamt den Tiefstpreis-Zwang des Online-Riesen verboten hat, geht es den Händlern besser. Mittlerweile können die kooperierenden Unternehmen ihre Preise selbst bestimmen. Sie zahlen eine monatliche Abo-Gebühr und einen relativen Betrag pro verkauftem Artikel.
Bekommen Amazon-Mitarbeiter zu wenig Geld?
Verdi fordert, dass Amazon Mitglied des Einzelhandel-Tarifvertrags wird, weil der Onlinehandel nach Einschätzung der Gewerkschaft zum Einzelhandel gehört. Amazon bezahlt seine Lagerkräfte auf dem Niveau des Logistik-Tarifvertrags: Ein ungelernter Amazon-Mitarbeiter erhält in Deutschland im ersten Jahr durchschnittlich einen Bruttostundenlohn von zehn Euro. Das sind 20 Prozent weniger als beim Einzelhandel-Tarifvertrag. Allerdings hat Amazon auch den Logistik-Tarifvertrag bisher nicht unterschrieben – und ist somit nicht an dessen Regeln gebunden. Die Konsequenz: Die Arbeitnehmer erfahren weniger Schutz.
Die teuersten Amazon-Übernahmen
Der Online-Händler woot! gilt als einer der Vorreiter des „Deal of the day“: Jeden Tag wird ein besonders Produkt für 24 Stunden zum Discountpreis angeboten. Ist das Produkt ausverkauft, rückt ein neues nach. Ist das Interesse nicht groß genug, wechselt das Angebot um Mitternacht.
Preis: 110 Millionen US-Dollar
Übernahmejahr: 2010
In der Lese-Community goodreads treffen sich Literaturfreunde online, um über ihre Lieblingsbücher und aktuelle Bestseller zu diskutieren und sie zu rezensieren. Seit Amazon die Website übernommen hat, schnellen die Nutzerzahlen in der Höhe. Mittlerweile sind mehr als 30 Millionen Mitglieder angemeldet.
Preis: 150 Millionen Dollar
Übernahmejahr: 2013
Der Webdienst Alexa sammelt Daten über Seitenabrufe von Internetseiten und stellt diese zur Auswertung bereit. Der sogenannte Alexa Rank gibt an, wie bekannt Internetseite ist und gilt als wichtiges Tool zur Bewertung dieser, weil ein hoher Rang auf eine hohe Beliebtheit hindeutet. Mittlerweile ist Alexa Teil der bekannten Sammlung Amazon Web Services (AWS).
Preis: 250 Millionen
Übernahmejahr: 1999
Audible bietet Hörbücher zum Download an. Dabei setzt der Dienst auch auf ein Abo-Modell: Für einen monatlichen Beitrag gibt es ein Hörbuch im Monat kostenlos und weitere vergünstigt. Das bereits 1995 gegründete Unternehmen wurde 2008 von Amazon gekauft und unter anderem mit dessen Angeboten für das Tablet Kindle verzahnt.
Preis: 300 Millionen
Übernahmejahr: 2008
Lange Zeit galt Lovefilm als eine von Europas größten Online-Videotheken und verlieh Film-DVDs und -Blu-rays. Später bot das Unternehmen auch Video-on-Demand an. Im Februar 2014 ging Lovefilm mit dem Streaming-Angebot Amazon Instant Video auf.
Preis: 312 Millionen
Übernahmejahr: 2011
Bis 2010 betrieb Quidsi unter anderem die Baby-Bedarfs-Seite diapers.com und den Hygieneprodukte-Händler Soap.com. Dann schluckte Amazon das Unternehmen, um sich die erfolgreichen Seiten einzuverleiben.
Preis: 545 Millionen
Übernahmejahr: 2010
Das US-Unternehmen Kiva Systems ist auf die Herstellung von Maschinen für große Fulfilllment-Center von Onlinehändlern spezialisiert. Roboter von Kiva übernehmen etwa große Teile der Lagerung in Amazons gigantischen Lagerhäusern.
Preis: 775 Millionen Dollar
Übernahmejahr: 2010
Das Live-Streaming-Videoportal Twitch hat sich auf die Übertragung von Videospielen wie World of Warcraft oder League of Legends spezialisiert. Laut eigenen Angaben hatte das Portal 2013 monatlich etwa 45 Millionen Zuschauern.
Preis: 970 Millionen Dollar
Übernahmejahr: 2014
Der Onlineshop Zappos konzentriert sich auf den Verkauf und Versand von Schuhen und Mode. Im Juli 2009 übernahm wollte Amazon den Händler für rund 850 Millionen Dollar übernehmen. Der Kaufpreis sollte zum Großteil mit eigenen Aktien beglichen werden. Der Deal verteuerte sich damals auf rund 1,2 Milliarden Dollar, weil die Amazon-Aktie stark im Kurs stieg.
Preis: 1,2 Milliarden Dollar
Übernahmejahr: 2009
Quelle: Statista / Unternehmen
Lagert Amazon Arbeitsplätze nach Polen aus?
In Polen gibt es drei Logistikzentren, die Deutschland beliefern. Amazon will mehr Logistik-Standorte in Osteuropa und damit auch in Polen eröffnen. Es ist allerdings fraglich, ob das aus den Gründen geschieht, welche die Gewerkschaft in ihrem Video anführt: nämlich um Kosten zu sparen. Verdi befürchtet, dass die osteuropäischen Arbeiter künftig deutsche Produkte verpacken sollen – wegen der niedrigen Löhne und der längeren Arbeitszeiten. Verdi kritisiert auch, dass Amazon Streiks illegal unterlaufen könnte, indem Polen die Arbeit übernehmen.
In einer Zeit, in der die Onlinehändler ihre Produkte immer schneller zum Kunden schicken wollen, ist diese Entwicklung zweifelhaft. Gerade erst hat Amazon damit begonnen, die Lieferung am Tag der Bestellung in mehreren deutschen Großstädten anzubieten. Amazon-Prime-Kunden erhalten seit längerem ihre Bestellung am darauf folgenden Tag. Eine Zulieferung aus dem Ausland ist in diesen Fällen unvorstellbar. Die Kommissionierung im Ausland kommt höchstens für diejenigen Kunden infrage, die an der Grenze zu Polen wohnen. Wahrscheinlicher ist, dass Amazon nun den osteuropäischen Markt erschließen will.