Die Nachfrage stieg so stark, dass die Iserlohner mit dem Brauen nicht mehr hinterherkamen. Sie begannen Bier einzukaufen – bei anderen Großen, dem Gießener Brauhaus etwa und Oettinger. Sie investierten nicht mehr in neue Maschinen, hatten zeitweise mit Qualitätsproblemen zu kämpfen. Schließlich verschrieb sich die Brauerei ganz dem Billig-Bier für die Ketten, verkaufte sogar das eigene Fassbiergeschäft. Handelsmarke statt Iserlohner lautet die Strategie, mit der sich das Unternehmen in Abhängigkeit von einem Großabnehmer begab.
Gerettet hat dieser Schritt das Unternehmen nicht. Trinkgut und Edeka lassen ihr Eigenmarken-Bier mittlerweile bei einer Warsteiner-Tochter, der Herforder Brauerei, brauen – und sparen so angeblich mehrere Hunderttausend Euro pro Jahr. Im Februar 2014 meldete die Iserlohner Brauerei Insolvenz an, wird jetzt mit anderer Strategie und anderem Management weitergeführt.
Export und Qualität statt Eigenmarke
Führen Eigenmarken die deutschen Brauer in den Abgrund? Diese These geht dem Deutschen Brauer-Bund zu weit. Zwar wisse man, dass „Handelsmarken seit jeher einen Teil des deutschen Biermarktes ausmachen“ und „auch Bier namhafter deutscher Hersteller zu einem gewissen Prozentsatz über Handelsmarken abgegeben“ werden.
Wie groß der Anteil genau ist, könne man allerdings nicht sagen. Immerhin. Den Trend zu immer mehr Handelsmarken könne man so nicht bestätigen. Der Großteil der Brauereien setze schließlich überhaupt nicht auf Handelsmarken.
Das stimmt, einerseits. Andererseits sind auch viele der derzeit 1.349 Brauereien in Deutschland eher klein und könnten die Anforderungen der Supermärkte auch stemmen.
Das deutsche Reinheitsgebot
Die bayrischen Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. erließen am 23. April 1416 in Ingolstadt die neue Landesverordnung. Darin hieß es: „Wir wöllen auch sonderlichen / das füran allenthalben in unsern Stetten / Märckthen / unn auf dem Lannde / zu kainem Pier / merer stückh / dann allain Gersten / Hopfen / unn wasser / genommen unn gepraucht sölle werdn.“
Die Landesverordnung schrieb damit fest, dass für Bier nur Gersten, Hopfen und Wasser verwendet werden darf. Das erste Reinheitsgebot diente vor allem dem Verbraucherschutzes. Denn die Landesverordnung erschwerte es den Brauern, die auch ohne Rücksicht auf die gesundheitliche Wirkung Ochsengalle, Fliegenpilze oder psychodelische Kräuter in den Kassel warfen. Wertvolles Getreide wie Weizen oder Roggen hingegen blieb durch die Verordnung allein den Bäckern vorbehalten.
Bis die bayrische Regelung auch von anderen Ländern übernommen wird, dauert es über 350 Jahre: Erst mit der Reichsgründung 1871 führen auch andere Gebiete in Deutschland das Gebot ein. Wahrscheinlich auch unter dem Druck der Bayern, die ihren Zutritt zum Reich an diese Voraussetzung geknüpft haben sollen. Ab 1906 gilt das Gebot reichsweit.
Auch im Biersteuergesetz von 1923 ist das Reinheitsgebot enthalten. Doch eingehalten wird es in Krisen- und Kriegszeiten nur bedingt: So wurde zwischenzeitlich der Vertrieb von verfälschten Bieren nicht geahndet, und nach dem Krieg waren Ersatzzutaten wie Zucker, Hirse oder Kartoffeln sogar ausdrücklich erlaubt – außer in Bayern. Das Land versuchte daher mit einer Reihe von Gerichtsprozessen, das Reinheitsgebotes wieder bundesweit durchzusetzen.
Bis 1987 schützte das Reinheitsgebot nicht nur die Verbraucher, sondern vor allem auch die deutschen Brauer: Alle in Deutschland verkauften Biere mussten dem Reinheitsgebot entsprechen. Ausländische Brauer, deren Produkte das nicht taten, durften diese in Deutschland auch nicht als Bier vertreiben. Entsprechend gab es in Deutschland nur wenige ausländische Marken. Der Europäische Gerichtshof kippte das Gesetz 1987: Das Importverbot beschränke den Handel zwischen den Partnerländern.
Heute findet sich das Reinheitsgebot im Gesetz in der Bierverordnung und dem Vorläufigen Biersteuergesetz wieder. Dort heißt es: „Farbebier muss aus Gerstenmalz, Hopfen, untergäriger Hefe und Wasser hergestellt werden, es muss vergoren sein.“ Für obergärige Biere sind die Bestimmungen weniger streng. Daran halten müssen sich aber mittlerweile nur noch deutsche Brauereien, die auch für den deutschen Markt produzieren.
Bis zum Jahr 2016 soll das Reinheitsgebot Weltkulturerbe gehen - zumindest, wenn es nach dem deutschen Brauerei-Bund geht. Doch zwischen dem Plan und der Umsetzung liegen einige Hürden: Der Brauerei-Bund hat den Antrag bereits beim Land Bayern eingereicht. Doch die Bayern müssen den Vorschlag noch in die Vorauswahl für ein mögliche immatrielles Kulturerbe aufnehmen. Diese Liste wird dann an die Kultusministerkonferenz weitergeleitet, die aus den Vorschlägen der Länder noch mal eine Liste erarbeitet. Erst diese Vorschläge werden dann an die UNESCO weitergeleitet, die den Antrag von einem unabhängigen Experten-Komitee prüfen lässt. Der Evaluierungsprozess dauert in der Regel zwei Jahre.
Der Verband erklärt, dass die Brauer im Kampf gegen die Absatzkrise einen andere Weg als Handelsmarken für sich entdeckt haben: die Verbreiterung des Angebots durch gemischte und alkoholfreie Getränke und den Export ins Ausland. Die Investition in Qualität macht sich demnach bezahlt. Auch, weil „immer mehr große Handelsketten mehr und mehr den Wert deutscher Biere erkennen“ und höhere Preise akzeptieren würden.
„Die über die letzten fünf Jahre durchschnittlich leicht negative Preisentwicklung nationaler Biermarken konnte im Jahr 2014 in eine deutlich positive Entwicklung umgewandelt werden.“ Der Verband verweist auf eine Erhebung der Gesellschaft für Konsumforschung. Demnach ist der Preis für eine Kiste Bier tatsächlich um 50 Cent gestiegen.
Ein kleiner Erfolg für die Bierbrauer also. Denn jahrelang war der Bierpreis bestenfalls stabil, während die Kosten für die Rohstoffe nach oben kletterten.
„Bei anhaltendem Markt- und Kostendruck und fehlenden Rücklagen kann eine notwendige Investition letztlich dazu führen, dass der Betrieb womöglich eingestellt werden muss. Bislang gab es erfreulicherweise nur wenige Beispiele dieser Art", erklärte Holger Eichele, Geschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes im April gegenüber der WirtschaftsWoche.
Wenig ist freilich relativ. Insgesamt sind seit 2006 etwa 40 Hersteller aus dem Markt ausgeschieden, rechnet die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) vor. Wenn neue hinzukamen, waren es vor allem sehr kleine, spezialisierte Brauereien. Den Mittelgroßen „fehlt die kritische Größe, um sich national und international gegenüber den Großbrauereien durchsetzen zu können“, schreibt die NGG in ihrem Branchenbericht.
Der Niedergang der Iserlohner Privatbraueier ist eines der jüngsten Beispiele. Es wird vermutlich nicht das letzte bleiben.