Hinzu kam: Statt einen starken Nachfolger aufzubauen, verschliss Patriarch Cramer einen Geschäftsführer nach dem anderen, statt sich auf die Kernmarke zu konzentrieren, verzettelte sich der Brauereiboss mit Zukäufen in Südamerika und zweitklassigen Übernahmen wie die der Billigmarke Paderborner, der Altbiermarke Frankenheim aus Düsseldorf oder des Weißbiers König Ludwig aus Fürstenfeldbruck, das noch nicht mal beim Münchner Oktoberfest präsent ist.
Innovative Produkte wie Biermischgetränke, Radler oder Fassbrause bescherten den Wettbewerbern Veltins, Bitburger oder Krombacher gute Zusatzumsätze. Warsteiner kam damit stets erst als Nachahmer und viel zu spät auf den Markt. Andere Brauerdynastien handelten radikaler: Veltins-Inhaberin Susanne Veltins vertraut seit anderthalb Jahrzehnten einem eingespielten, familienfremdem Management. Der Bremer Beck’s-Clan verkaufte 2002 für knapp zwei Milliarden Euro an den US-Riesen Anheuser-Busch. Und Pils-Marktführer Krombacher hat die Inhaberfamilie Schadeberg durch Diversifizierung, etwa mit dem Kauf von Schweppes und Orangina, und der Beteiligung am Maschinenbauer Krones unabhängiger vom Biermarkt gemacht.
Hötzels Bilanz nach seinem ersten Dienstjahr als Warsteiner-Chef war ernüchternd. Die im Jahresabschluss 2014 formulierten Ziele für 2015 wie „eine leichte Umsatzsteigerung“, eine „bessere Entwicklung als der Gesamtmarkt“ sowie „der Gewinn von Marktanteilen“ wurden krachend verfehlt. Warsteiner verkaufte 2015 gut sieben Prozent weniger, während der Gesamtmarkt stagnierte. Schon 2014 musste die Brauerei ein Minus von über acht Prozent verkraften. Auch Umsatz und Gewinn dürften gelitten haben. Zu Zahlen äußert sich Warsteiner nicht und verweist auf die Bilanz-Veröffentlichung im Herbst. „2014 und 2015 waren für die Brauer insgesamt zwei gute Jahre“, sagt ein auf die Getränkebranche spezialisierter Berater, der nicht genannt werden möchte. „Wer da nicht gut abgeschnitten hat, steht vor echten Problemen.“
Ebenso hart wie die Einbrüche bei den Verkäufen schlagen die Personalabgänge der vergangenen Wochen und Monate ein. Mit Finanzchef Stephan Fahrig, Gastronomieboss Lothar Menge und Exportleiter Robi Bisanti verabschiedeten sich gleich drei Hochkaräter. Vor allem der Wechsel von Fahrig zum Konkurrenten Bitburger lähmt die Sauerländer. Offenbar scheint es Schwierigkeiten bei der Nachfolge zu geben: Hötzels Ankündigung, „wir planen die Neubesetzung der Position bis Ende 2016“, deutet auf Probleme hin.
Wie Hötzel genau die schale Marke wieder frisch machen will, darüber wird selbst im Unternehmen gerätselt. Bewaffnet mit einem schwarzen Klemmbrett, rattert der schlanke Manager mit der Kurzhaarfrisur in seinem Büro zwar eine Viertelstunde lang alles herunter, was er verändert und noch vorhat. Doch es klingt nach einem verwirrenden Phrasensalat: Er habe „ins Portfolio eingegriffen“, „Hausaufgaben gemacht“, „Pitches durchgeführt“ und „Agenturen gescreent“, die Brauerei „international neu aufgestellt“, „Strukturen verändert“, dabei die „Leute auf die richtigen Stühle gesetzt und mitgenommen“, die „Marke emotionalisiert“, „die Supply Chain besser verknüpft“ und „Wachstumspotenziale gehoben“. Gekrönt von der visionären Aussage: „Ich kann hier klar sagen, dass wir wachsen wollen.“
Zutaten für Bier nach deutschem Reinheitsgebot
Malz wird je nach Biersorte aus Gerste oder Weizen gewonnen. Nach dem Reinheitsgebot soll bevorzugt Gerste zur Malzherstellung verwendet werden. Das Getreide wird mit Wasser vermengt, damit es keimt. Danach wird das Grünmalz ähnlich dem Rösten von Kaffee in der Darre getrocknet. Es gibt über 40 Sorten, etwa helles und dunkles Malz, Rauch- oder Karamellmalz.
Hopfen sorgt für den mehr oder weniger bitteren Geschmack des Bieres. Zudem beeinflusst er die Schaumkrone und erhöht die Haltbarkeit. Es gibt Bitter- und Aromahopfen. Der Braumeister kann aus über 200 Sorten auswählen. Meist nimmt er mehrere Sorten für einen Sud. Das größte Hopfenanbaugebiet der Welt liegt in der Hallertau, zwischen München und Nürnberg.
Hefe verwandelt bei der Gärung den Malzzucker in Alkohol, Kohlensäure und Wärme. Die Hefe prägt auch das Aroma des Biers maßgeblich mit. Es gibt 200 Hefestämme. Brauer unterscheiden zwischen obergärigen Hefen für Weizen- und untergärigen für Gerstenmalz. Untergärige sinken an den Boden der Flüssigkeit, Obergärige steigen auf.
Wasser ist der Hauptbestandteil jedes Biers. Seine Mineralstoffe beeinflussen den Geschmack. So wird das malzig-süße Münchner Dunkelbier mit hartem Wasser gebraut. Das feinherbe Pils hingegen braucht weiches, kalkarmes Wasser. Die Anforderungen an Brauwasser sind laut Trinkwasserverordnung höher als die an Trinkwasser.
Hötzels Management by Worthülsen, gelernt bei der österreichischen Marketingmaschine Red Bull, kommt bei Catharina Cramer offenbar gut an. Hötzel könne Warsteiner „challengen“, soll die studierte Marketingexpertin intern verkündet haben.
Dechriffiert stecken in den Visionen des früheren Red-Bull-Managers sogar ein paar konkrete Ansätze. Ob er damit die Talfahrt der Marke zu stoppen vermag, bleibt fraglich: Ausgerechnet die x-te Variante eines alkoholfreien Biers – Warsteiner Herb Alkoholfrei – soll der Brauerei Flügel verleihen. Dabei haben heute nicht mehr nur die großen Marken wie Erdinger, Bitburger, Jever und Clausthaler, sondern auch viele kleine Brauereien Bier ohne Promille im Angebot.