Was in unserem Essen steckt Lebensmittel-Lobby wehrt sich gegen mehr Aufklärung

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Pferdefleisch-Betrieb arbeitet inkognito weiter

Verbandssprecher Girnau räumt ein, dass Eigenkontrollen zwar nicht ausdrücklich vorgeschrieben seien. Doch die meisten Unternehmen würden sehr wohl kontrollieren – und zwar dreistufig: durch eigene Proben, durch Lebensmittelkontrolleure und durch externe Gutachter. Wie aber konnte dann diese Masse an falsch ausgewiesenem Fleisch trotzdem in Umlauf geraten? „Klar“, sagt Girnau, „da hätten sich die großen Abnehmer besser bei ihren Zuliefern umsehen müssen“. Mit den „großen Abnehmern“ meint er auch den französischen Handelsbetrieb, der im vergangenen Jahr Hunderte Tonnen Pferdefleisch als Rindfleisch verkaufte. Allerdings hätte es bis dahin nie einen Anlass gegeben, die Ware auf Pferdefleisch zu überprüfen. „Das war ein Einzelfall“, meint Girnau. „Um dem stetig nachzugehen, müsste man genauso gut auf Kängurufleisch prüfen“.

Der Verbandssprecher glaubt nicht, dass konkrete gesetzliche Vorschriften zur Selbstkontrolle möglich sind. Kleinere Lebensmittelbetriebe würden dadurch benachteiligt. Die könnten sich im Gegensatz zu großen Unternehmen keine aufwendigen Kontrollen oder eine transparente Rückverfolgung leisten. Im Gegensatz zu Bode, der glaubt, dass ein Lebensmittelskandal jederzeit wieder möglich sei, sieht der Verbandssprecher positive Veränderungen in der Branche: „Nach Gesprächen mit den Unternehmen gehe ich davon aus, dass die Lieferanten jetzt genauer ausgesucht werden“.

Objektive Beweise hat er aber nicht, dafür fehlen ihm die nötigen Informationen. Und ganz so einfach ist das Aussuchen der Lieferanten keineswegs: Spiegel Online hat herausgefunden, dass die Unternehmen, welche das Pferdefleisch nach Deutschland gebracht haben, unter anderem Namen weiterarbeiten.

Was steckt in unserem Essen?
Gestreckter KaffeeUm mehr Geld zu verdienen kommt es immer wieder vor, dass Hersteller ihren Kaffee strecken. Dafür mischen sie laut einer NDR-Reportage den gemahlenen Bohnen zu etwa zehn Prozent den Stoff Maltodextrin bei. Dabei handelt es sich um eine Zuckerart, die in der Lebensmittelindustrie als günstiger Füllstoff eingesetzt wird. Auch Karamell wird zum Strecken verwendet. Kunden sollten im Supermarkt bei der Aufschrift "Melange" hellhörig werden. Auch im Kleingedruckten geben die Hersteller an, ob sie das Produkt gestreckt haben. Damit gibt es keine rechtlichen Konsequenzen. Quelle: dpa
Ewig frisches FleischSeit Tagen liegt das Hackfleisch im Kühlschrank und noch immer sieht es frisch aus. Die Lebensmittelindustrie macht es möglich, indem sie einfach ein Gasgemisch mit viel Sauerstoff in die Verpackung pumpt. Dadurch bleibt das Fleisch optisch frisch. Am Geschmack lässt sich das Alter dann aber doch erkennen. Das Max-Rubner-Institut hat herausgefunden, dass derartig behandelte Ware ranzig schmeckt. Außerdem soll das Gasgemisch das Wachstum bestimmter Bakterien fördern. Quelle: dpa
Gefärbte OlivenIm Handel werden sowohl schwarze als auch grüne Oliven vertrieben. Schwarze Oliven gelten dabei als besondere Delikatesse, da sie schon reif und damit vollmundiger im Geschmack sind. Die grünen Oliven sind noch sehr jung und damit eher herb und säuerlich im Geschmack. Weil sich die schwarzen Exemplare besser verkaufen lassen, sind findige Hersteller auf die Idee gekommen, grüne Oliven einfach schwarz zu färben. Rein optisch ist es sehr schwer die echten von den gefälschten schwarzen Oliven im Glas unterscheiden zu können. Wer wissen will, welche Oliven er kauft, muss einen Blick auf die Zutatenliste werfen. Sind die Stabilisatoren Eisen-2-Gluconat oder Eisen-2-Lactat aufgelistet, handelt es sich um Trickserei. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Natürliche AromenVielen Verbrauchern ist es wichtig, dass in Produkten keine oder zumindest wenig Chemie enthalten ist. Wer aber darauf vertraut, dass in einer Erdbeermarmelade mit "natürlichen Aromen" nur Erdbeeren und Zucker enthalten sind, der kann sich täuschen. Natürliche Aromen können nämlich auch pflanzliche Öle sein, die dem Obstgeschmack nahe kommen. Quelle: dpa
PestoSo beklagt die Verbraucherorganisation Foodwatch, dass beispielsweise im Pesto Verde der Marke Bertolli (Unilever) Cashewnüsse, Pflanzenöl, Aroma und Säuerungsmittel enthalten sind. Dabei wirbt Unilever mit "original italienischer Rezeptur", "nur die besten Zutaten", "feinstes Bertolli Olivenöl" und Pinienkernen. Mehr als ein Fingerhut voll Olivenöl muss aber gar nicht drin sein und auch die teuren Pinienkernen müssen nur zu einem geringen Teil enthalten sein. Quelle: Fotolia
PuddingAuch im Pudding muss nicht drin sein, was draufsteht: So reicht es beispielsweise, wenn im Schokoladenpudding ein Prozent echtes Kakaopulver enthalten ist. Der Rest darf eine bunte Mischung aus Aromen, Zucker, Fett und Gelatine sein. Nur wenn weniger als ein Prozent Kakao - also Schokolade - im Schokopudding ist, muss das entsprechend deklariert werden. Quelle: dpa/dpaweb
FruchtsaftgetränkeAuch bei Fruchtsäften müssen Verbraucher aufmerksam sein. Nur, wenn auf der Packung "Fruchtsaft aus 100 Prozent Frucht" steht, ist tatsächlich nichts anderes drin. Die deutsche Fruchtsaftverordnung erlaubt allerdings auch die Verwendung von Fruchtsaftkonzentrat und 15 Gramm zusätzlichem Zucker pro Liter Saft. Saft aus Zitronen, Limetten, Bergamotten und schwarzen, roten oder weißen Johannisbeeren darf mehr Zucker zugesetzt werden. Beim Fruchtnektar handelt es sich dagegen um eine Mischung aus Fruchtsaft und/oder Fruchtmark, Wasser und Zucker. Der Fruchtanteil beträgt 25 bis 50 Prozent. Noch niedriger ist der Fruchtanteil bei Fruchtsaftgetränken: Bei Orangensaft liegt dieser bei sechs Prozent, bei Traubensaft und Apfelsaft bei 30 Prozent. Bei Eistees reicht es, wenn Obst auf der Packung abgebildet ist, enthalten sein muss keins. So beanstandet Foodwatch den Pfanner-Eistee "Zitrone-Physalis", in dem die Menge an Physalis ist so gering ist, dass sie nicht einmal deklariert werden muss. Im zwei-Liter-Karton sind außerdem enthalten: 44 Stück Würfelzucker, 15 Prozent gelber Tee, Aromen und E330 (Zitronensäure). Quelle: dapd

Ob Eigenkontrollen tatsächlich per Gesetz verordnet werden, entscheidet am Ende die Politik. Genauer: der neue Minister für Ernährung und Landwirtschaft Christian Schmidt (CSU). Auf den ist foodwatch-Gründer Thilo Bode gar nicht gut zu sprechen. „Von dem halte ich nix, der macht sich zum Büttel der Industrie“, schimpft der 67-Jährige. Anstatt die Verbraucher mit konkreten Gesetzen zu mehr Vorsorge zu schützen, ließe sich der Minister stark von den Verbänden beeinflussen. Die Folge: keine schärferen Kontrollen, sondern lediglich Empfehlungen, die Ware regelmäßig zu kontrollieren und Hygieneverstöße zu melden. In dem deutschen Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) erkennt der Verbraucherschützer die Handschrift der Lobbyisten.

„Legaler Etikettenschwindel“

Das Landwirtschaftsministerium wehrt sich gegen den Vorwurf, die Verbraucher nicht ausreichend zu schützen. „Der Pferdefleischskandal war ein krimineller Einzelfall, gegen den das bestehende Kontrollsystem machtlos war“, sagte ein Sprecher des Ministers zu WirtschaftsWoche Online. Aufgrund eines einzigen Falls gleich die ganzen Gesetze in Frage zu stellen, sei verzerrend. „Allgemein ist der rechtliche Rahmen ausreichend gegeben.“

Während Nichtregierungsorganisationen wie foodwatch gegen Lobbyisten und Politiker um das Recht auf sicheres Essen kämpfen, stehen Verbraucher tagtäglich vor den Supermarktregalen. Etiketten versprechen 100 Prozent Rindfleisch, natürliche Aromen im Jogurt und Milchgetränke, die gesund machen. Aber was steckt wirklich hinter den Versprechen, und wo schwindeln die Hersteller?

Wenn man weiß, dass etwa die Aufschrift „natürliches Aroma“ auf einem Erdbeer-Jogurt nichts mit Erdbeeren zu tun haben muss, sondern sich auch auf irgendeinen anderen Rohstoff aus der Natur beziehen kann. Oder dass auf Teeverpackungen auch Früchte gedruckt werden dürfen, von denen nicht einmal ihr Aroma im Tee enthalten sind. Ganz zu schweigen von dem Versprechen von „alkoholfreiem Bier“ mit einem Alkoholgehalt von bis zu 0,5 Volumenprozent. Dann ist der unbehagliche Gedanke an „legalen Etikettenschwindel“ nicht weit.

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