Wein-Anbau Rotwein vom Rande der Wüste Gobi

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Weinanbau passt nicht zu Staatsunternehmen

Judy Leissner ist dort schon ein bisschen länger. Die 37-Jährige hat ihr Büro in ihrer Heimatstadt Hongkong, wo Wein schon seit Jahrzehnten geschätzt und getrunken wird. Leissner ist die Chefin von Grace Vineyard, einem der erfolgreichsten chinesischen Qualitätsweine. Die Preise liegen umgerechnet zwischen 10 und 70 Euro.

Als Leissner 2002 das Geschäft ihres Vaters übernahm, hatte sie von Wein keine Ahnung. Sie hatte Psychologie in den USA studiert, und in der nordchinesischen Provinz Shanxi sitzen alte Männer, die lieber ein Fax schicken anstatt einer E-Mail. 2003 füllte Grace Vineyard eine Million Flaschen ab, verkauft wurden 20.000. „Damals war zum einen der Markt noch nicht da, zum anderen hatten wir kein gutes Marketing.“ Dann importierte Leissner schwere Flaschen aus Frankreich und klebte ein verschnörkeltes Etikett drauf – das gab dem Wein ein hochwertigeres Image.

Der Durchbruch kam, als ein Manager der spanischen Firma Torres den Wein zufällig im Hotel probierte. Er war so angetan, dass er den Vertrieb übernahm. Heute verkauft Leissner 1,5 Millionen Flaschen im Jahr, 50 Prozent davon in der Provinz Shanxi. Marken wie Changyu und Great Wall hätten den Ruf des chinesischen Weines schwer beschädigt. „Weinanbau braucht Zeit und Hingabe – das passt nicht zu Staatsunternehmen“, sagt Leissner.

Das Qualitätsbewusstsein steigt

Seit dem vergangenen Jahr leide der Absatz etwas unter der Antikorruptionskampagne des Staatspräsidenten Xi Jinping. Doch das sei langfristig nicht schlecht für die Zukunft des Weins in China. „Früher waren die Käufer nicht die Trinker“, sagt Leissner. „Für uns als Marke ist es positiv, wenn Kenner übrig bleiben.“ Langfristig sei es gut für Grace Vineyard, wenn das Qualitätsbewusstsein der Kunden gefördert werde.

Möglich, dass sich dieses noch optimieren lässt. Bevor sich Unternehmer Wang auszieht, sitzt die Gruppe um einen runden Tisch. „Guan Xi“ nennen die Chinesen den sanften Übergang von Geschäftlichem und Privatem. Deswegen hat Hu den Unternehmer Wang und noch ein paar andere Geschäftspartner zum gemeinsamen Abendessen und Karaoke-Besuch geladen.

Sechs Kellner bringen im Akkord neue Gerichte für die zehn Gäste und stellen sie auf eine drehbare Glasplatte in der Mitte des Tischs: Sashimi; chinesischer Speck mit Senf; unbekannter, aber gut schmeckender Salat; unbekanntes, aber nicht gut schmeckendes Gemüse; Innereien vom Schwein und gebratener Fisch.

Die Kellner füllen die Gläser zwei Finger hoch mit Château Lafite. Hu, Schirmherr des Besäufnisses, steht auf und spricht einen Toast auf die Runde. Das Gesagte kommt dem Inhalt des konsensfähigen Spruches „So jung kommen wir nicht mehr zusammen“ recht nahe. Alle leeren ihr Glas auf Ex. Die Kellner eilen herbei und schenken nach. Fünf Minuten später steht Wang auf, dankt Hu mit blumigen Worten. Alle leeren ihr Glas auf Ex. Die Kellner schenken nach. So geht es reihum: aufstehen, Toast aussprechen, exen, nachschenken. Zwei Stunden später sind zwölf Flaschen Château Lafite leer und alle Gäste voll.

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