Wein Die skurrilen Methoden deutscher Spitzenwinzer

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Im Einverständnis mit der Natur

Die biodynamische Landwirtschaft basiert auf den Naturbeobachtungen von Goethe, die der Anthroposoph Rudolf Steiner Anfang des 20. Jahrhunderts in Lehrsätze für die Landwirtschaft übertragen hat. Der Betrieb wird demnach als ganzheitlicher Organismus gesehen. Das heißt alle Nährstoffe entstehen aus dem Betriebskreislauf. Weltweit arbeiten über 600 Weingüter nach diesem Prinzip. Vor allem Frankreich gilt mit 250 Betrieben als Vorreiter.

Wo diese viel mit Ahnungen und Vermutung arbeiten, haben Forscher der Hochschule Geisenheim versucht, Gewissheiten zu erzeugen. Sie haben vor zehn Jahren drei Anlagen nebeneinander mit Riesling bepflanzt. Alle Bedingungen waren gleich, doch seither werden sie unterschiedlich bewirtschaftet: konventionell, ökologisch, biodynamisch.

Nach drei Jahren stellten die Wissenschaftler erste Unterschiede fest: Die Früchte der biodynamisch bewirtschafteten Rebstöcke waren etwas anders: viele kleine, statt weniger großer Beeren. Der konventionelle Anbau ergab deutlich mehr Ertrag, dafür war der Most der beiden Biovarianten deutlich süßer – Grundlage für substanzvolle Weine im Keller. Es ist jetzt wissenschaftlich erwiesen, dass die Mittelchen etwas bewirken. Nur warum, das ist nicht ganz so klar.

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Zehn Mitarbeiter arbeiten für Kühn, das ist im Branchenvergleich viel für einen 20-Hektar-Betrieb. Sie kümmern sich zum Beispiel um den Kompost, den der Winzer über seinen besten Lagen aufgetürmt hat. Oder besser gesagt: die sieben Komposthaufen. Sie sind rund zehn Meter lang und mehrere Meter breit. Es riecht nach frisch gemähtem Gras, hier und da krabbelt ein Käfer über die Erde, es blüht überall: Löwenzahn, Klatschmohn, Spitzwegerich.

Die verrotteten Kräuter, die Kühn heute ausgegraben hat, kommen in homöopathischen Dosen in den Kompost. Dies soll den Verrottungsvorgang in Schwung bringen. Aus Kühns Sicht wird sein Kompost dadurch lebendiger, der Boden gesünder, die Weine besser. „Das hat mit Wissenschaft nichts zu tun, was hier passiert. Vielleicht kann man das analysieren und erklären, doch ich brauche das nicht“, sagt er.

Ähnlich gelagert ist die Sache mit den Hornmistpräparaten. Die biodynamischen Winzer füllen im Herbst Kuhhörner mit Dung, den sie eigens einkaufen, und graben sie den Winter über ein. Das Ganze kommt dann verdünnt im Frühjahr auf die Weinberge. Die Hörner müssen jedoch von einer Kuh stammen, die im besten Fall mehrfach gekalbt hat – nur so könne der lebensspendende Impuls weitergegeben werden, glaubt Kühn.

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von Thorsten Firlus

Antitechnik, Antizusätze, Antikontrolle

Ein starker Gegensatz zum Zahlendiktat, das die meisten Weingüter bestimmt. Technik, Wissenschaft und Industrie ermöglichen heute maximale Kontrolle im Weinberg. Im Keller gibt es kaum noch Weinfehler, die ein Winzer nicht korrigieren kann. Die Macher sogenannter Naturweine wollen zurück. Antitechnik, Antizusätze, Antikontrolle; im Keller wie im Weinberg. „Alles, was ich mache, soll im Einverständnis mit der Natur passieren. Ich wollte einfach kein Quertreiber mehr sein“, sagt Kühn.

Oft sind es keine idealistischen Ökoanhänger, die sich in dieser Szene tummeln sondern Menschen wie Dirk Würtz. Der Winzer ist Betriebsleiter des Weinguts Balthasar Ress im Rheingau, ebenfalls ein Weingut im Verband Deutscher Prädikatsweingüter und einer der Shootingstars der Szene. „Ich bin ergebnisorientiert – meine Böden werden besser, meine Trauben werden besser, der Wein schmeckt besser“, sagt er.

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