Frau Wempe, die Exporte der Schweizer Uhrenindustrie sind kräftig zurückgegangen. Macht sie das nervös?
Es ist andersrum: Dass wir in den vergangenen fünf Jahren den Umsatz verdoppelt haben, habe ich mir – auch wenn es seltsam klingt – so nicht gewünscht. Es ist zwar schön, aber hat auch Probleme und Herausforderungen mit sich gebracht. Wir haben damit auch nicht gerechnet, es ist über uns gekommen. Wir können aber mit dem Rückgang umgehen, wir können das Lager anpassen. Wir achten darauf, dass wir mit dem Geschäft die lokale Kundschaft bedienen und nicht nur auf Touristen setzen. Das ist unser Markt, dann sind wir nicht so abhängig von Dingen wie der Luxussteuer in China.
Das Antikorruptionsgesetz, das die Umsätze aller Luxuswarenhersteller beeinträchtigte, war auch für Sie ein Problem?
Ja, es ist nicht leicht für uns, aber das Gesetz ist sinnvoll und richtig für das Land. Aber der Markt in China ist zusätzlich schwierig. Wir haben in Peking unsere Niederlassung geschlossen, da waren wir vielleicht zu früh am Markt. Da hat mich meine Erwartung getrogen. Wir glaubten an die Leute, denen Beratung und Service etwas mehr wert ist als der beste Preis. Und damit sind wir sogar in New York seit 35 Jahren erfolgreich, ein damals hart umkämpfter Rabattmarkt. Ich dachte, dass nicht jeder Chinese, der Geld hat, um solche hochwertigen Uhren zu kaufen, 20 oder gar 30 Prozent sparen will. Ich habe an diese Menschen geglaubt, die einen Smalltalk im Geschäft führen wollen, die Betreuung und Service schätzen. Nein, da habe ich mich definitiv geirrt.
Wempe in Zahlen
Seit 2009 hat der Juwelier Wempe seinen Umsatz mit Uhren mehr als verdoppelt. Von 176,2 Millionen Euro im Jahr 2009 stieg die Summe über 370,8 Millionen Euro in 2012 auf 471,3 Millionen alleine mit Uhren. Der Gesamtumsatz des Unternehmens weltweit stieg auf 530 Millionen und beinhaltet auch die Verkäufe von Schmuckstücken. 80 Prozent des Umsatzes macht das Unternehmen mit Uhren. Im 1. Halbjahr 2016 sind die Umsätze weltweit um 21,1 Prozent gesunken.
Im Geschäftsjahr 2015 verkaufte Wempe 57.486 Uhren in 32 Geschäften. 2009 waren es noch 30.085 Stück. Im Service hat der Juwelier in seinen Werkstätten in Hamburg und Glashütte und vor Ort in Filialen im Geschäftsjahr 2015 57.244 Uhren bearbeitet und 17568 Schmuckstücke.
721 Mitarbeiter beschäftigte der Juwelier 2015, ein leichter Rückgang von 735 im Jahr davor. Die eigene Uhrenmarke Wempe Chronometerwerke beschäftigte zu Beginn 2006 genau sechs Mitarbeiter, heute sind es 63. Pro Mitarbeiter erwirtschaftet das Unternehmen einen Umsatz von 789.100 Euro. Der Durchschnittspreis pro verkauftem Stück betrug 2015 5625 Euro. Die Uhren lagen mit 8199 Euro Durchschnittspreis deutlich über dem Schmuck mit 2118 Euro.
Ein herber Rückschlag für Ihr Unternehmen?
Unser Umsatz wird 2016 deutlich zurückgehen – aber wir haben damit gerechnet und haben uns darauf eingestellt. Es waren sehr gute Jahre in der Vergangenheit, allein zwischen 2009 und 2015 haben wir von 30.085 verkauften Uhren auf 57.486 erhöhen können. Wenn das so nicht ganz zu halten ist, sind wir jedoch gut gewappnet. Aber dieses Rauf und Runter im Markt stellt alle vor große Herausforderungen.
Was bedeutet das für ein Unternehmen wie Ihres?
Wir spüren in unseren Boutiquen die Entwicklung in der Politik und vor allem der Wechselkurse. Nach den Anschlägen in Paris ist dort der Tourismus zurückgegangen. Als das Pfund nach dem Brexit fiel, zogen unsere Geschäfte in London an. Menschen, die an hochwertigen Uhren der Weltmarken interessiert sind, reisen dann auch dort hin. Zeitweise gab es erhebliche Preisunterschiede, nachdem die Schweiz den Franken vom Euro entkoppelt hatte. Damit hatte keiner gerechnet. Das haben die Hersteller inzwischen ausgeglichen. Aber selbst der Verlauf des Dax schlägt sich bei uns nieder. Das ist eine psychologische Sache. Als der Dax bei 12.000 lag, liefen unsere Geschäfte gut. Wenn Kunden aber an der Börse viel verlieren, dann haben sie keine Lust, eine teure Uhr zu kaufen.
Nun sind sie seit zehn Jahren in Glashütte nicht nur Kunde als Juwelier, sondern produzieren dort selbst Uhren. Was haben Sie denn gelernt in der Zeit?
Vor allem, dass die Intuition und der Bauch recht haben. Denn das war nicht alleine eine rationale Entscheidung, diesen Schritt zu gehen. Wir haben das aus einem Gefühl heraus begonnen. Wir wissen, dass andere Unternehmen anders arbeiten. Da wird erst Marktforschung betrieben, eine Prognose erstellt und erst dann wird die Investition getätigt. Wir müssen als Familienunternehmen niemandem was erklären, wir können Dinge anders tun. Wir wissen heute, dass es damals richtig war, was wir gespürt haben.
"Bist du verrückt?"
Was haben Sie denn gespürt?
Unsere Kunden haben sehr unterschiedliche Ansprüche, der eine möchte nur eine Uhr kaufen, der andere hat eine Sammlung. Der nächste sammelt nur eine Marke. Und so weiter. Ich möchte dem Kunden, der Interesse an Uhren hat und bereit ist, mehr Geld auszugeben, als nötig ist, um die Zeit abzulesen, ein Angebot machen. Das geht bei 500 Euro los und endet bei sechsstelligen Summen. Und da haben wir ein Feld entdeckt, das die Marken so nicht bestellt haben. Es gab den Wunsch nach einer ganz klassischen Uhr und wir konnten das nicht mehr anbieten, weil wir das im Markt so nicht gefunden haben.
Aber muss man es denn gleich selber herstellen?
Zunächst mal: Wir sind Händler. Irgendwann mal wollte ich ein Collier nicht verkaufen, das wir im Atelier selber hergestellt hatten, und das einen Preis gewonnen hatte. Als ich das meinem Vater sagte, guckte der mich an und sagte: „Bist du verrückt? Was bist du von Beruf?“ Ich antwortete: „Kaufmann“. Darauf sagte er „Einzelhandelskaufmann und Handeln kommt nicht von behalten.“ Hersteller zu werden, war also nicht unser Wunsch. Aber bei unserer eigenen Schmucklinie war es ähnlich. Als Händler sind wir kritisch. Wir haben bei den Herstellern immer gesagt, was man besser machen könne, was anders besser funktionieren würde. Wir waren damals anstrengend für unsere Partner. Und wer so viel kritisiert, der muss es halt selber machen. So ist das Schmuckatelier vor 13 Jahren entstanden, so sind die Uhren entstanden. Bei Uhren wussten wir, dass wir die Uhren verkaufen können und wir haben gemutmaßt, dass wir ausreichende Stückzahlen bekommen, denn wir vertreiben die Uhren schließlich nur in unseren eigenen 32 Geschäften weltweit.
Hat das irgendeinen Vorteil, nicht flächendeckend verkaufen zu können?
Wempe-Uhren ist keine Weltmarke. Wir betreiben Büros rund um die Welt, wir müssen kein Marketing rund um die Welt betreiben, wie das die internationalen Marken tun. Das ermöglicht einen guten Preis.
Wirkt so eine Uhr mit dem Namen des Händlers drin nicht wie eine Werbeuhr?
Die Geschichte steckt mir auch in den Knochen. Und wir haben früher schon mal gekauft, und Wempe aufs Zifferblatt gedruckt. Aber wir haben ja eine eigene Geschichte als Hersteller, denn wir fertigen nach wie vor in Hamburg Schiffschronometer. Mein Vater sagte erst „Wir machen das wie früher.“ Also Schweizer Uhren kaufen und Wempe draufschreiben. Und da habe ich gestreikt und gesagt, das machen wir nicht mehr. Da kommen dann irgendwann die Verkäufer und fragen, was sie dem Kunden erzählen soll. Der Rest war geradezu zwingend: Wenn Wempe eine Uhr baut, muss sie aus Deutschland kommen. Dann muss sie Glashütte sein.
Ausgerechnet Glashütte, wo all die Uhren von Nomos über Glashütte Original bis Lange & Söhne gebaut werden, die sie in ihren Geschäften verkaufen?
Ja, mein Großvater war schon in Glashütte in der Sternwarte und ich wusste, dass es die noch geben muss. Dann haben wir sie gefunden, ich meine, dass wir sie wirklich suchen mussten. Ich bin aus Hamburg, da kennt man das Planetarium und ich dachte, irgendwo müsse ja wohl diese Sternwarte zu sehen sein oben auf dem Berg. Wir mussten uns vom Nomos-Chef Uwe Ahrendt einen Defender leihen, weil wir mit dem Mietwagen die unausgebaute Straße gar nicht hochkamen. Ich wusste nicht, dass das damals eine Ruine war und die Bäume höher als die Ruine selbst waren. Dann haben wir die gekauft. Das war schon ein wenig verrückt und das können sie auch nur machen, wenn sie keiner fragt, was sie mit ihrem eigenen Geld machen. Aber mein Großvater war da schon oben, da wollte ich auch hin. Das Gebäude wieder aufbauen und ein Planetarium musste auch hin, das war mit der Stadt so besprochen. Heute bieten wir da freitags Sterngucken an.
Sie haben sich also auch einen eigenen Wunsch erfüllt?
Ja, auch den, Chronometer zu fertigen, also Uhren, deren Genauigkeit von einer Messstelle überprüft werden. Mein Uhrenchef, der gelernter Uhrmacher ist im Gegensatz zu mir, sagte, ich spinne. Aber wir haben die Schiffschronometerwerke Hamburg, also mussten es auch Armband-Chronometer in Sachsen sein. Und so ist es gekommen und heute ist in unserer Produktion auch eine Außenstelle des Sächsischen Landesamtes für Mess- und Eichwesen. Und jeder Hersteller kann hier seine Werke als Chronometer zertifizieren lassen.
Neue Uhr zu bauen, ist leicht
Als sie dort vor Ort waren, war Ihnen das alles nicht neu. Schließlich handeln Sie mit den Uhren, die in Glashütte gebaut werden…
…um ehrlich zu sein, wir waren an dem Tage auch gerade bei Lange & Söhne und hatten ungeplant zwei Stunden Zeit. Dann sind wir da hoch…
…aber waren die Hersteller denn beglückt, dass einer ihrer wichtigsten Vertriebspartner ihnen Konkurrenz macht?
Alle haben positiv reagiert.
Weil die es sich nicht mit Ihnen verscherzen wollten?
Nein, alle sind froh, wenn in Glashütte investiert wird. Wenn viel über Glashütte gesprochen wird, dann ist das gut für alle. Dann hilft auch ein Juwelier mit 32 Geschäften dabei. Zudem haben wir in Glashütte eine Werkstatt gebaut, das sparen sich inzwischen viele Juweliere. Wir hatten im Geschäftsjahr 2015 aber allein 57.244 Serviceaufträge bei den Uhren vom Batteriewechsel eine Quarzwerkes bis zur Revision sehr komplizierter mechanischer Uhren. Eine neue Uhr zu bauen ist dagegen fast leicht. Eine alte Uhr auseinanderzunehmen und die gebrauchten Teile zu warten und so wieder zusammenzubauen, dass sie so gut läuft wie als sie neu war, ist auch eine Herausforderung für einen Uhrmacher.
Und niemand argwöhnte, dass sie lieber die Wempe-Uhr empfehlen statt des eigenen Modells?
Sie brauchen als Hersteller auch jemanden, der die Menschen an die hochpreisigen Modelle heranführt, das machen wir mit unseren klassischen Drei-Zeiger-Uhren. Wir führen Menschen an das Thema ran, deswegen war das von Beginn alles von den Herstellern gut gelitten. Und Uhren in der gleichen Preisklasse sehen ja nicht automatisch gleich aus. Und der Kunde nähert sich der Uhr zunächst mal über das Design.
Sie stellen nun noch eine neue Linie vor mit eigenen Werken, die dann eben doch direkter Wettbewerb zu den bekannten Weltmarken bedeutet. Wohin geht die Reise?
Wir werden mit unserer Linie fortfahren. Die runden klassischen Modelle verlieren nicht ihren Reiz. Die brauche ich nicht neu zu machen, auch wenn die Verkäufer immer gerne Neuigkeiten haben. Aber zusätzlich braucht man immer ein Talking Piece. Und die machen wir mit limitierten Auflagen von Uhren mit unserem eigenen Werk.