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Das neue Grauen heißt Echo

Digitale Assistenten wie Amazon Echo sind der letzte Schrei. Sie sind aber auch der größte Lauschangriff auf unsere Privatsphäre, den es je gab. Und noch schlimmer: Ein neues Werkzeug für die Werbung.

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Amazon Echo wirkt unscheinbar, hat aber das Zeug unser Leben zu revolutionieren - im Guten, wie im Schlechten. Quelle: REUTERS

Sie tragen unscheinbare Namen wie Amazon Echo „Alexa“ oder Google „Home“. Es sind digitale Assistenten, wie wir sie von Apples Siri her kennen. Nur diesmal kommen sie in Form eines Lautsprechers daher, den wir im Wohnzimmer oder unserer Küche platzieren. Mithilfe einer Spracheingabe steuert der kleine Assistent Hausgeräte, reguliert die Heizung oder bestellt auf Wunsch die Lieblingspizza.

Google bewirbt Home mit den Worten „Es ist ihr eigenes Google, immer zur Hilfe bereit“. Es kennt das Wetter, jeden Stau, das Fernsehprogramm und hilft gern mit Rezepten. Amazons Alexa kann sogar Witze erzählen und ist bereits seit September in Deutschland erhältlich. Aber nicht wirklich, denn es gibt längst eine Warteliste. Das „must have“-Gerät ist derzeit nur auf Einladung erhältlich.

Zur Deutschland-Einführung sagte Amazon-Chef Jeff Bezos: „Millionen Kunden in den USA haben sich bereits in Alexa verliebt und wir sind begeistert, dass sie jetzt Deutsch spricht.“ Sein Deutschland-Chef Ralf Kleber wurde überschwänglich: „Hier geht die Tür zu einer neuen Zukunft auf. Wir haben dieses Pioniergefühl und sind auf der Spur nach etwas Großem, wir entdecken gerade etwas. Keine Ahnung, wie groß es wird. Aber wir haben das Gefühl, das wird extrem groß und erfolgreich.“ Man wird das Gefühl nicht los, dass eine wahre Revolution bevorsteht.

Am „Black Friday“ meldete Amazon, dass Echo Dot der meistverkaufte Item auf ihrer Website war - und erst einmal ausverkauft ist. Google Home wird es ebenso wenig unter unsere Weihnachtsbäume schaffen, denn die Auslieferung beginnt bei uns erst im Frühjahr.

Laut einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom können sich 40 Prozent der Deutschen vorstellen, einen digitalen Sprachassistenten in den eigenen vier Wänden aufzustellen. Der Clou dabei: Der Internet-vernetzte Lautsprecher wird komplett über die eigene Stimme gesteuert, die damit zur Internet-Fernbedienung wird. Mit ihm steht uns das gesamte Wissen der Menschheit per Sprachbefehl zur Verfügung.

Der ganz große Lauschangriff

Dahinter steckt allerdings auch eine neue Variante des Datensammelns, somit eine neuartige Form der Überwachung. Um die Künstliche Intelligenz („KI“) der Assistenten zu optimieren, zeichnen sie jedes Gespräch, jedes gesprochene Wort auf. Alles wandert auf die Server von Google und Amazon, wo es von deren Algorithmen analysiert wird. Damit lassen sich Profile der Hausbewohner erstellen, deren Detailreichtum schier unbegrenzt ist.
Google und Amazon lauschen mit und gelangen so an unsere intimsten Geheimnisse. Entweder für eigene Zwecke - oder ebenso gern zum Weiterverkauf an jeden, den interessiert, ob wir daheim gerade über Urlaubspläne, einen Autokauf oder den Drogenkonsum der Nachbarn reden.

Den meisten Menschen ist das gleichgültig. Schnell fällt da der oft gehörte Satz: „Ich habe nichts zu verbergen“. Natürlich besitzen die meisten keine ausgeprägte kriminelle Ader, die sie verstecken müssten. Dennoch hat dieses Argument die gleiche ethische Qualität wie die Aussage „Meinungsfreiheit ist mir egal, ich habe ohnehin nichts zu sagen.“ Eine derartige Komplett-Überwachung verletzt schlicht und ergreifend die Menschenwürde.

Willkommen im Albtraum

Das Auswerten alleine des Einkaufsverhaltens mittels Algorithmen versetzt amerikanische Einzelhandels-Giganten bereits in die Lage, die Lebenserwartung ihrer Kunden zu prognostizieren. Legendär ist der Fall von Wal-Mart, die anhand des veränderten Einkaufszettels Schwangerschaften erkennen. Sie schreiben daraufhin die Kunden an und unterbreiten ihnen gezielte Angebote. Leider erreichten sie damit auch einen Familienvater, der gar nicht wusste, dass seine minderjährige Tochter schwanger war.
Und die Polizei weiß dann künftig, wer welche Verbrechen begehen wird und kann die Täter bereits vor der Tat in Haft nehmen. Dazu reicht eine hohe Wahrscheinlichkeit. Willkommen im Albtraum von Big Data und seinen Algorithmen.

Werbe-Overkill programmiert

Natürlich wird die Werbung alle Möglichkeiten nutzen, die ihr die neuen, digitalen Assistenten bieten. Fragen wir Alexa, ob im Fernsehen ein Krimi kommt, wird sie womöglich antworten: „Im Augenblick leider nicht, aber ich hätte für dich einen Rabattcode für das Krimi-Paket von Sky. Das Angebot von RTL Crime kann ich auch wärmstens empfehlen.“
Noch spannender für die Werbung wird es, wenn erst der Assistent mit dem mitdenkenden Kühlschrank vernetzt ist. Angenommen, Sie sitzen in der Küche und lassen sich von Google Home ein Rezept vorlesen. Sogleich meldet ihr digitaler Alleswisser, dass dafür einige Zutaten im Kühlschrank fehlen und schlägt vor, dass sich ihr Samsung Family Hub RB7500 auf Einkaufstour begibt. Es gäbe derzeit bei Edeka Sonderangebote, die sehr verlockend klingen…

Es besteht angeblich die Gefahr, dass die digitalen Helfer uns mit der Zeit sogar manipulieren. Sie verändern unsere Sicht auf den Markt, auf Marken - und sogar auf Politik und Gesellschaft. Die Rede ist bereits von signifikanten, aber beunruhigenden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bedenken gegen die Assistenten. Am Ende würden viele Menschen das Denken komplett einstellen. Das klingt zwar nach Verschwörungstheorie, ist jedoch durchaus ernst zu nehmen.

IoT, das Internet of Things, birgt ohnehin eine größere Bedrohung, als sich hinter einem mitdenkenden Kühlschrank vermuten lässt. An der DDos-Attacke, die im Oktober das US-Internet an der Ostküste in Teilen lahmlegte, waren Millionen von vernetzten Geräten beteiligt, die sich die Angreifer zunutze machten.

Lustig wird es allerdings, wenn man die beiden Assistenten Alexa und Home aufeinander loslässt. Bei einer Versuchsanordnung triggerte der YouTuber Adam Jakowenko die Geräte mittels eines Kalendereintrags. Die beiden Lautsprecher gerieten in eine Endlosschleife und führten ein bemerkenswert schräges Zwiegespräch miteinander.

Das Grauen hat einen Namen

Die Marketingbranche befasst sich längst mit der Frage wie diese künstliche Intelligenz Werbung und Vertrieb verändert und wie sie die neuen Segnungen einsetzen können.
Oliver Goethals von Sapient Razorfisch empfiehlt den Marken angesichts von Echo und Home sofort mit KI-Experimenten zu beginnen. Es sei wichtig, stringent über alle Kanäle zu kommunizieren. In der dialogbasierten Sprachinteraktion jedoch „haben Banner- und Videowerbung nichts zu suchen. Neue Formen von Marketing wie ‚Conversational Commerce‘, die es Kunden erlauben, über Sprache oder Chat mehr über ein Produkt zu erfahren und im Anschluss auch direkt zu kaufen, werden hier Erfolg haben.“
Das hat gerade noch gefehlt: Conversational Commerce. Das, liebe Werbung, geht definitiv zu weit. Ich habe keine Lust, nun auch noch von meinem Kühlschrank mit Werbung zugemüllt zu werden. Oder von einem Lautsprecher im Wohnzimmer, der jedes Gespräch mit „relevanten“ Sonderangeboten unterbricht.
Da lobe ich mir den süßen, kleinen Roboter, der mich demnächst bei Pizza Hut empfängt und mir einen Tisch zuweist. Das muss reichen.

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