Werbesprech

Der Fußball-EM droht das Werbe-Fiasko

„Torjäger-Spaghetti“, „Gewinner-Gulasch“ und Deutschland-Klopapier – zur Fußball-EM spielt die Werbung verrückt. Unschuldige Verbraucher müssen Kampagnen ertragen, die an Skurrilität kaum zu überbieten sind. Nur die Werbebranche profitiert.

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Foodwatch prangert Kindermarketing für Lebensmittel an
Foodwatch: Kindermarketing für Lebensmittel Quelle: Foodwatch
Mondelez Quelle: Foodwatch
ferrero Quelle: Foodwatch
Intersnack Quelle: Foodwatch
Coca-Cola Quelle: Foodwatch
Pepsico Quelle: Foodwatch
Danone Quelle: Foodwatch

Eigentlich soll die Fußball-Europameisterschaft ein fröhliches Sportereignis sein. Ein Fest für fußballbegeisterte Fans und ehrgeizige Sportler.
Doch erstmals ist bei einer EM von guter Laune nichts zu spüren. Das Austragungsland Frankreich droht im Streik- und Demonstrations-Chaos zu versinken. Die Angst vor Terroranschlägen führt zu Nervosität und leeren Hotelbetten. In den Hotels der Austragungsorte liegt die Auslastungsquote bei unter 50 Prozent. Selbst manche Spieler haben ihre Familien diesmal daheim gelassen.

Wer glaubt, dass es bei einer EM um Sport geht und um das Küren des neuen Europameisters, ist naiv. Es geht um das ganz große Geschäft, um Milliardenumsätze. Für die UEFA, die Vereine, die Spieler, die Fernsehsender - und mit ihnen für die werbungtreibende Wirtschaft. Der Fußball selbst gerät zur Nebensache.

Miese Laune macht sich auch in Deutschland breit. Die Hoffnung, dass das Team um Jogi Löw nach zwanzig Jahren wieder Europameister wird, ist nach den Vorbereitungsspielen geschwunden. Doch „La Mannschaft“ ist bekanntlich eine Turniertruppe. Einzig darauf bauen die Hoffnungen.

Zur Person

Ein schlechtes Vorzeichen ist die Tatsache, dass sich das EM-Trikot von Adidas bislang als Ladenhüter erweist. Allerdings hat sich Adidas wohl mit dem Preis von 84,95 Euro auch böse verkalkuliert. Im Einzelhandel ist bereits von Panik die Rede. So wird das kein gutes Geschäft.

DFB - der Diabetes-Förderbund

Auch der DFB steht in der Kritik. Der Verbraucherverein Foodwatch geißelte die EM-Deals des Fußball-Bundes mit Coca-Cola, Ferrero und McDonald’s. Die Lobby-Organisation nennt den DFB „Diabetes-Förderbund“ und kritisiert, dass sich die Werbung der Sponsoren eindeutig an Kinder richtet. Tatsächlich wirbt Coca-Cola ausgerechnet für die zuckerhaltige Classic-Variante mit Sammeldosen der Nationalelf. Damit würden, so Foodwatch, Zuckerkonsum und Übergewicht gefördert. In seiner Antwort verweist der DFB auf seine Aufgaben für den Nachwuchs. Dabei verstößt er mit offenem Visier gegen die eigene Satzung: Darin verpflichtet sich der Fußballverband der „Förderung gesunder Ernährung (…) als gesundheitlicher Prävention“.

Das geben Fußball-Fans für ihr Hobby aus
Fanschal Quelle: dpa
Sitzplätze im Stadion Quelle: Fotolia
Wurst im Brötchen Quelle: Fotolia
Herta-Fans Quelle: REUTERS
Busfahrer Quelle: Fotolia
Fußballfans zu Hause Quelle: gms

Der DFB, der aus den Skandalen nicht herauskommt, täte gut daran, sich um positive Nachrichten zu bemühen. Aber das große EM-Geschäft ist offenbar wichtiger.

Zufrieden dürften nicht einmal die Sponsoren sein. Coca-Cola, Adidas und McDonald’s liegen zwar an der Spitze der bekanntesten EM-Sponsoren. Doch an Bekanntheit mangelt es ihnen nicht. Den Sprung in die Top Ten der Sponsoren verpasste sogar die Commerzbank, die seit Wochen mit der Nationalelf wirbt, ebenso wie der offizielle UEFA-Sponsor Continental.

Derweil wird der Verbraucher wie bei jedem Fußball-Großereignis mit Werbung zugemüllt. Die Liste der EM-Absurditäten führt Knorr mit „Meister-Bolognese“, „Torjäger-Spaghetti“ und – halten Sie sich fest – „Gewinner-Gulasch“ an. Für die Körperpflege halten die Händler Fan-Shampoo von Schauma und Fa-Duschgel in der Fan-Edition bereit. Verständlich, dass man bei den Dick & Durstig-Küchentüchern nicht im Abseits stehen mochte und erfand (naheliegenderweise) eine Fan-Edition mit Deutschlandfahne. Die deutschen Hausfrauen, bekannt für ihre Liebe zum Fußballsport, werden vor Freude in die Luft springen.

Übertroffen werden diese Skurrilitäten höchstens noch vom Apfelkorb mit Deutschlandfahne, NUK-Schnullern mit Fußball-Aufdruck und schwarz-rot-goldenen Perlodent-Zahnbürsten.

Von "Fanhansa" bis zum "offiziellen Direktsaft" der EM

Von EM-Marketing-Fieberwahn zeugen auch Deutschland-Klopapier von Penny (wer kam denn auf diese „Scheiß“-Idee?), ebenso wie Volvics Super-Fan-Mineralwasser und ein EM-Energy Drink namens „Schlaaand“ in der praktischen 1-Liter-Dose.

Dazu gelernt haben die Brauereien. Während sich Warsteiner, Veltins, Hasseröder, Karlsberg und Licher zur WM 2014 noch zeitgleich mit identischen Kronkorken-Aktionen ausschalteten, begnügt sich Bitburger zur EM mit dem Titel des DFB-Partners. In manchen Marketingetagen hat sich womöglich herumgesprochen, dass der Werbeeffekt solcher Kampagnen ohnehin gleich null ist.

Diese Teams rüsten Adidas und Co. bei der EM aus

Aber nicht überall. Auch seriöse Unternehmen verfallen dem EM-Wahn. So veranstaltet etwa Anwalt.de ein Gewinnspiel für Anwälte, bei dem man sich - je nach Abschneiden der Nationalelf - sechs Freimonate sichern kann. Die Saftmarke Innocent benannte sich kurzerhand um in den „offiziellen Direktsaft der UEFA EURO 2106“.

Das wiederum ließ dem Billigflieger Eurowings keine Ruhe. Er erklärt sich zum „offiziellen Sponsor günstiger Europaflüge“ und bittet Gewinnspielteilnehmer um Fotos von ihren Pizzen beim Italiener. Darauf muss man erst einmal kommen. Zumal die Eurowings-Mutter Lufthansa sich als „Fanhansa“ für teures Geld als Official Carrier des DFB ausgibt. Dabei sind es sogar ausgerechnet die Lufthanseaten, die mit ihrem Spot zu den wenigen Lichtblicken im Werbewahnsinn um die Europameisterschaft zählen.

„Allein mit dem Thema Fußball im Umfeld der EM zu werben, ist noch kein Erfolgsgarant für die positive Wahrnehmung von Marken“, schreibt das Fachmagazin Horizont und kürt Legos „kleinste Pressekonferenz der Welt“ zu einer der seltenen Ausnahmen.

Während der digitalen Lego-Kampagne die Öffentlichkeitswirkung fehlt, erlebte Kinder Schokolade mit ihrem Konzept des Nationalspieler-Packagings das genaue Gegenteil: Auslöst durch die Hetze der Pegida-Anhänger zählte die Kampagne zu den am meisten diskutierten der vergangenen Wochen. Doch ein solches Phänomen lässt sich schwerlich planen.

Die Werbewirtschaft glaubt, allen Unkenrufen zum Trotz, fest daran, dass ihre EM-Reklameauswüchse den Absatz pushen, weil sie die Kampagnen in ein „positives und begeisterndes Umfeld“ stellen. Sie rechnen in diesem Jahr, ausgelöst durch den Sondereffekt EM, mit einem Plus von zwei Prozent bei den Werbeausgaben. Schön, dass wenigstens die Werbewirtschaft davon profitiert, wenn schon der Werbeerfolg für die meisten Marken wieder kläglich ausfallen wird. Für sie wird die EM 2016 eher zum Werbe-Fiasko.

Von einem „positiven Umfeld“ kann bislang leider keine Rede sein. Weder im Vorfeld der EM und erst recht nicht nach den Ausschreitungen in Marseille. Bleibt zu hoffen, dass sich die Lage beruhigt und die Spiele friedlich fortgesetzt werden können.

Deutschland ist - nach Frankreich - bei den Buchmachern der an zweiter Stelle gerankte Teilnehmer bei dieser Europameisterschaft. Das wahrscheinlichste Abschneiden ist demnach ein Ausscheiden der „La Mannschaft“ im Viertelfinale. Drücken wir unserer Turniermannschaft die Daumen. Immerhin geriet das erste Spiel gegen die Ukraine zum Traumauftakt.

Und allen, die dem Treiben auf den Spielfeldern und der überbordenden EM-Reklame gar nichts abgewinnen können, bleibt nur die Hoffnung, sich vielleicht irgendwann einmal tatsächlich für vier Wochen in ein künstliches Koma versetzen lassen zu können...

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