Werbesprech

Warum Marketing heutzutage die Hölle ist

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Digitalisierung verändert den Markt

Dennoch werden immer mehr Werbegelder aus den Printmedien abgezogen, um sie in Social Media - nach Facebook nun vermehrt in YouTube, Instagram und Snapchat - zu investieren. Die neue Geheimformel lautet Influencer Marketing. Dabei wird der Einfluss von YouTube-Stars und Bloggern auf ihre Fans genutzt, um für Marken zu werben. Digitalexperte André Krüger stellt diese Flut an Kampagnen als Allheilmittel in Frage und wundert sich, wo plötzlich all diese „Influencer“ herkommen. Und Digitalexperten-Kollege Patrick Meier führt vor, wie leicht man den falschen Influencern auf den Leim geht.

Es ist ohnehin abzusehen, wann die Glaubwürdigkeit der Influencer erste Risse bekommt und die Gemeinde aufhört, den „Empfehlungen“ ihrer YouTube- und Instagram-Stars bedingungslos zu folgen. Früher nannte man sowas übrigens Schleichwerbung…

Ein ähnliches Schicksal könnte das Content Marketing, den aktuellen Heiligen Gral der Werbebranche, ereilen. Jung-von-Matt-Vorstand Thomas Strerath hält den Megatrend für überschätzt und spricht schon von der „Content-Lüge“. Die schiere Menge an nicht-werblich aussehenden Markenbotschaften gehe im Ozean des irrelevanten Contents schlichtweg unter.

Das sind die beliebtesten Marken Deutschlands
Gerolsteiner, der Gewinner der Kategorie Alkoholfreie Getränke Quelle: Presse
Michelin, der Gewinner der Kategorie Autozubehör und -services Quelle: dpa
ING DiBa, die Gewinnerin der Kategorie Banken Quelle: dpa
Ikea, der Gewinner der Kategorie Bauen und Einrichten Quelle: dpa
Krombacher, der Gewinner der Kategorie Biere Quelle: dapd
Samsung, der Gewinner der Kategorie Consumer Electronics Quelle: dpa
Firefox, der Gewinner der Kategorie Software und Cloud Services Quelle: REUTERS

Ebenso wenig können Programmatic oder Real-Time-Advertising, also die Automatisierung der Werbeauslieferung, das Unheil, das die digitale Werbung in Form von Adblockern heraufbeschwor, wieder richten.

Was vom Tage übrig bleibt

Was vom ganzen Buzz und Hype bleibt, ist die Digitalisierung selbst. Sie verändert den Markt und damit jedes Unternehmen. Nestlé beantwortet die Herausforderungen der digitalen Transformation mit einer Top-Personalie: Tina Beuchler, bislang Media Director, leitet nun eine konzernübergreifende Digital-Unit und soll den Eintritt in neue Geschäftsfelder ebnen. Das Besondere an der Nachricht: Ihr Team ist direkt dem Vorstand Béatrice Guilliaume-Grabisch unterstellt.

Währenddessen erschüttert eine vom US-Werbekundenverband ANA durchgeführte Studie über die Usancen der Mediaagenturen den amerikanischen Werbemarkt. Von Intransparenz, Vertragsbruch und „potentiell kriminellen Aktivitäten“ ist die Rede. Auch wenn der deutsche Schwesterverband OWM keinen Handlungsbedarf sieht - der Marketingverantwortliche hat ein Thema mehr, mit dem er sich herumschlagen muss.

Obwohl mehr Geld in Werbung und Online-Medien investiert wird, sinkt die Werbewirkung. Vor allem junge Menschen sind kaum mehr zu erreichen. In ihrer Ratlosigkeit macht die Werbebranche einen Fehler nach dem anderen.
von Thomas Koch

Was also tun? Wenn ein einzelner Marketingchef unmöglich auf allen diesen Feldern selbst Experte sein kann? Wenn man seinen Mitarbeiterstab nicht um jede dieser Dimensionen kompetent erweitern kann? Wenn auf Agenturen und Dienstleister als Berater wenig Verlass ist, weil sie nur ihre eigenen Produkte und Dienste verkaufen wollen?

Es kann nur eine Lösung geben: Keep calm. Ruhe bewahren. Getreu dem Bestseller „Einen Scheiß muss ich“, muss kein Marketingchef jeder Sau folgen, die Werber durch sein Dorf jagen. Die alten Medien und herkömmlichen Marketing-Mechanismen sind trotz Digital-Buzz absolut intakt. In den Regalen der Supermärkte befindet sich keine einzige Marke, die die Digitalisierung hervorgebracht hätte. Und die Digital-Giganten Google, Apple, Amazon und selbst Check24 werben alle brav im Fernsehen.

Das Einzige, was man „muss“, ist Prioritäten setzen und gelegentlich in Experimente mit dem einen oder anderen digitalen Buzz investieren. Dann wird aus einer Marketing-Hölle hoffentlich nur ein Marketing-Fegefeuer.

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