Werbesprech

Marken im Disruptionsstress

Kaum eine Branche oder Traditions-Marke, die nicht vom Aufstieg neuer Wettbewerber betroffen ist. Marketing und Werbung dürfen die Innovationen des digitalen Zeitalters nicht weiter ignorieren. Es ist ihre letzte Chance, die Rolle des Vorreiters zu übernehmen.

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Einkaufswagen-Symbol Quelle: dpa

Das Ergebnis der diesjährigen Studie „Die Lieblingsmarken der Deutschen“ der Brandmeyer Markenberatung gleicht einer Sensation: Coca-Cola, im vergangenen Jahr noch die bestplatzierte Lebensmittelmarke, verliert elf Rangplätze. Die Marke - nunmehr auf Rang 25 - muss sich sogar von der Bio-Marke Alnatura schlagen lassen, die zum ersten Mal den Aufstieg in die Top 50 der beliebtesten Lebensmittelmarken schafft und gleich auf Rang 12 landet.

Bei Frauen steht Bionade sogar auf Platz sieben. Die klebrige US-Brause liegt inzwischen gleichauf mit dem Bio-Pionier Demeter, der es ebenfalls unter die bestplatzierten Marken schaffte. Bio schlägt Brause.

Selbst mit den Trend-Marken Apple und Samsung geht es bergab. Es stellt sich nun die Frage: Wann sind die Nächsten dran? Wann stürzen Nivea und womöglich auch BMW und Audi in der Gunst der Verbraucher ab? Tesla steht bereits in den Startlöchern.

An solche Sensationen werden sich die Traditionsmarken ebenso wie ganze Branchen gewöhnen müssen. Schuld daran ist die Digitalisierung. Sie macht die Märkte mitsamt ihrer tradierten Marken transparent wie noch nie. Sie gibt dem Verbraucher mehr Macht als je zuvor, seine Bedürfnisse zu formulieren und seine Gunst neu auf die Markenwelt zu verteilen. Vor allem aber macht sie es neuen Anbietern leichter denn je, sich in der neu formierenden Markenwelt zu platzieren - und die vormals unangreifbaren Größen des Marktes abzuhängen.

Die drei häufigsten Fehler bei Veränderungen

Disruption ersetzt business as usual

Ganze Märkte stehen vor ungeahnten Disruptionen. Jeder weiß, dass Amazon und Ebay den Einzelhandel verändern, gar die Existenz ganzer Branchen wie den Buchhandel gefährden; dass Buchungsplattformen wie Booking.com und HRS.de die Reisebüros überflüssig machen. Dafür sorgt jeder von uns täglich. Und nirgends wird der Kampf der stationären Einzelhandels-Bastionen deutlicher als bei den bislang fruchtlosen Bemühungen von MediaMarkt und Saturn, ihre Kunden zu halten und zurückzugewinnen.

iTunes revolutionierte den Musikmarkt. Zalando stellt den stationären Schuh- und Textilhandel in Frage. Der textile Fachhandel muss zudem mit ansehen, wie neue Anbieter namens Modomoto und Outfittery die individuelle Kundenberatung übernehmen und damit ebenso wie unzählige Fashion-Blogger an die Stelle der ehemaligen (meist ohnehin schlecht ausgebildeten) Fachverkäufer treten.

Sie übernehmen die Empfehlungsfunktion und verlinken gleich auf Online-Shops - allerdings eher auf net-a-porter.com als auf peek-cloppenburg.de. Keine Branche ist mehr sicher vor den Umwälzungen des digitalen Wandels. Business as usual kann sich niemand mehr erlauben.

Die „Share Economy“ lässt überall neue Online-Vermittlungsbörsen entstehen. Uber stellt das herkömmliche Taxi-Unternehmen in Frage, Airbnb greift erfolgreich nach Marktanteilen im Hotelgewerbe. Jeder fünfte Deutsche hat solche Angebote bereits wahrgenommen. Tendenz steigend. Vor allem aber: Diese innovativen Start-ups beschreiben und betreiben das neue, digitale Marketing in seiner reinsten Form.

Jeder gegen jeden, klein gegen groß

Glaubte die Lufthansa bislang, Air Berlin sei der größte Wettbewerber, muss sie nun mit ansehen, wie der Billigflieger Easyjet die Streikphase der Kranich-Piloten ausnutzt und erstmals um deutsche Geschäftskunden wirbt. Das Unternehmen wildert ausgerechnet mit dem Thema Pünktlichkeit in der Kernzielgruppe des Noch-Marktführers. Das neue Motto im Marketing heißt „Jeder gegen Jeden“. Keine Marke ist mehr vor Angriffen sicher.

Die Kleinen fressen die Großen. Die größten Marken werden zum Freiwild für die schier unüberschaubare Schar der neuen Kleinen, die die Vorzüge der digitalen Medienwelt nutzen, um sich fast mühelos Bekanntheit und Vertrauen in ihren immer größer werdenden Zielgruppen zu ergattern.

Alyssa McDonald lehrt mit Blyss die Schokoladen-Konzerne das Fürchten und zeigt vorbildlich, wie man echte Schokolade macht. Emmas Enkel definieren den Lebensmittel-Einkauf neu. Nur ihr Name ist noch eine Leihgabe aus der guten, alten Tante Emma-Zeit.

Immer mehr Marken greifen nach Marktanteilen, ohne sich dabei traditioneller Werbung zu bedienen. Sie bauen ihre Markenwelten mithilfe sozialer Netzwerke und YouTube-Kanälen auf. Dass dabei nicht alle Old-Economy-Unternehmen tatenlos zusehen, beweist die Otto-Gruppe mit ihrem Start-up „Collins“, das jüngst den neuen Online-Shop „About You“ startete. Auch Rewe ist inzwischen aufgewacht und stellt sich den neuen Marktanforderungen.

Wie sehr die jungen, digitalen Unternehmen bereits an den Märkten der Old Economy nagen, zeigt sich auch an der Erhebung der weltweit beliebtesten Arbeitgeber. Darin platzieren sich Uber, Adobe, Airbnb und Booking.com erstmals unter den Top 100, während Traditionsunternehmen wie Procter & Gamble, Shell, McKinsey, Boston Consulting und Danone zu den Verlierern zählen. BMW und Roche büßen innerhalb eines einzigen Jahres sogar 22 Rangplätze ein.

Sie alle verlieren im Kampf um die besten Arbeitnehmer zunehmend an Gunst und Rang. Vier der ersten fünf Plätze belegen ohnehin die Digital-Fürsten Google, Apple, Microsoft und Facebook. Wenn die Traditions-Unternehmen auch den Kampf um die besten Leute verlieren, sind sie in Zukunft nichts mehr wert.

Die Befreiung aus dem Reklame-Ghetto

Unternehmen und Marken, die das Jahr 2020 erleben wollen, müssen sich schleunigst etwas einfallen lassen. Sie müssen sich dem digitalen Zeitalter und seinen mündigen, selbstbewussten Verbrauchern stellen - sich im Zweifel völlig neu erfinden. Sie müssen endlich beginnen, ihren Konsumenten zuzuhören und sich ihren Bedürfnissen in einer sich wandelnden Zeit beugen.

Sie müssen sich selbst wandeln. Über Change-Management nur zu philosophieren und zu reden, reicht nicht mehr aus. Dies ist allerdings die langersehnte Chance für zukunftsorientierte Marketing- und Werbe-Manager, sich aus ihrem Reklame-Ghetto zu befreien und die Rolle des Vorreiters zu übernehmen.

Wer heute noch glaubt, die Anfangserfolge der digitalen Start-ups seien Eintagsfliegen, sieht sich bald im Abseits. Die Platzhirsche, die sich dem Wandel versagen, sind zum Abschuss freigegeben. Denn die nächste und womöglich größte Revolution wartet bereits an der nächsten Ecke: Der 3D-Druck, der das Zeug dazu besitzt, die nächste industrielle Revolution auszurufen, wird bald die gesamte Warenproduktion auf den Kopf stellen. Den Letzten, der selbst darauf nicht reagiert, beißen die Hunde.

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