TV-Werbung gilt seit jeher als Fundament erfolgreicher Kampagnen. Werden Verbraucher befragt, an welche Werbung sie sich erinnern, fällt ihnen meist Fernsehwerbung ein. Eine Marke, die im Flimmerkasten wirbt, gilt als groß und erfolgreich. Und der Handel nimmt neue Produkte bereitwillig in die Regale auf, wenn diese im TV beworben werden.
Jeder Deutsche verbringt täglich fast vier Stunden vor dem Fernseher und lässt die Reklame über sich ergehen. Angeblich finden wir sie grässlich und keiner guckt hin. Doch fast jeder kennt die neuesten Spots und kann viele Jingles auswendig. Die Werber haben im Laufe der Zeit mehr oder minder subtile Methoden entwickelt, damit wir ihren Filmen nie ganz ausweichen können.
Das Kölner Institut Heart.facts hat nun in „Werben & Verkaufen“ sieben verschiedene Werbespot-Typologien vorgestellt und dabei ihre Wirkung mit tiefenpsychologischen Interviews und Lügendetektoren überprüft. Das Ergebnis ist spannend, weil die Analyse zeigt, welche Marken das TV-Metier beherrschen - und welche scheitern.
Typ 1: Drama
In diesem Spot-Typ steht die Marke im Mittelpunkt. Die Werbung inszeniert einen Konflikt, den sie sogleich auflöst. Mercedes macht das gekonnt. Im Rama-Spot mit dem Butter-Jungen und dem Rama-Mädchen dagegen wird zuvor kein Konflikt aufgebaut und die Stimmung kippt zum Schluss.
Typ 2: Animateur
Hier tritt in der Hauptrolle eine Kunstfigur auf, die das Produkt empfiehlt. Mobilcom-Debitel gelingt das mit „Costa Fastgarnichts“ noch einigermaßen, Apollo Optik tarnt einen Journalisten als Promoter und bleibt emotional platt. Am Ende macht er „alles kaputt“.
Typ 3: Erzähler
Der „Erzähler“ lebt von Geschichten aus dem Leben. Wenn der Smart dem scheinbar überlegenen SUV den Parkplatz wegschnappt, wird er zum Helden. Bacardi inszeniert seine eigene Geschichte - allerdings ohne wirklichen Höhepunkt und lässt den Betrachter damit skeptisch zurück.
Typ 4: Therapeut
In diesem Spot-Typ wird die Marke zum Problemlöser. Hohes C etwa zeigt augenzwinkernd elterliche Konflikte mit Kindern und präsentiert sich („Wer mild trinkt, kann nicht sauer sein“) als sympathische Marke. HUK Coburg bleibt beim gleichen Versuch konfliktlos, langweilig und irrelevant.
Typ 5: Provokateur
Der Provokateur überschreitet Grenzen und projiziert unsere heimlichen Wünsche auf das Produkt. Leerdammer zelebriert seinen Käse als attraktiven, erotischen Liebestanz. Tchibo misslingt dies mit seinem „Black `N White“-Spot dagegen auf ganzer Linie. Die Forscher konstatieren: „Diesen Kaffee braucht kein Mensch.“
Typ 6: Vorbild
Hier findet sich der Kunde im Mittelpunkt des Geschehens. Otto zeigt Gorillas im Nebel, eine Frau, die nur Augen für den Fummel des Versenders hat und mit der sich die Zuschauerinnen identifizieren. Ganz anders Amorelie: Man präsentiert zwar Abwechslung im Bett, ausgerechnet der Online-Sexshop hinterlässt jedoch eine „Nullnummer ohne Höhepunkt“.
Typ 7: Lehrerin
Zuletzt die „Lehrerin“, die uns die Welt erklärt. O2/E-Plus führen ihre Netze zusammen und zeigen lehrreiche und zugleich relevante Analogien. Fol Epi gelingt das nicht. Die Bilder von Genießern, die ihren Käse ausgiebig streicheln und liebkosen, wirken eher verwirrend.
TV-Spots zuordnen? Ein Selbstversuch
Die Erkenntnisse von Heart.facts stimmen sehr nachdenklich. Denn nur wenigen Spots gelingt es, eine Geschichte zu erzählen, die die Marke attraktiv macht und zum Kauf anregt. Das rief förmlich nach einem experimentellen Selbstversuch.
Einen Abend lang inspizierte ich alle TV-Spots, die mir willkürlich vor die Flinte gerieten. Meine Absicht: Sie den einzelnen Typologien zuzuordnen. Ich scheiterte kläglich - jedoch an den Spots selbst, weniger an der Typologie.
Zunächst die gelungenen Beispiele: Im Milka-Spot auf dem Rummelplatz hilft ein Muskelprotz einem kleinen Jungen seine Stärke zu beweisen.
Ein schönes, kleines Drama mit einem Hauch Therapeut. Haribo spielt Verstecken mit Bully Herbig in der Rolle des Animateurs. Und Allianz (Typ: Therapeut) führt uns noch einmal das Drama mit dem Tomatenstapel vor.
Bücher, TV, Streaming? Diese Medien finden die Deutschen unverzichtbar
Nur wenige Erwachsene in Deutschland können sich ein Leben ohne Bücher oder Fernsehen vorstellen. Das ergab eine repräsentative Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur aus dem Januar 2016. Andere Unterhaltungsmedien hielten die Befragten dagegen eher für entbehrlich.
Nur eine Minderheit von 13 Prozent der Befragten findet gedruckte Bücher verzichtbar. Elektronische Bücher (zum Beispiel Kindle oder Tolino) halten 41 Prozent für verzichtbar.
14 Prozent der Befragten können sich ein Leben ohne das klassische Fernsehen vorstellen.
Schon wesentlich mehr können sich vorstellen, auf Musik-CDs zu verzichten: Rund ein Fünftel (21 Prozent) der Befragten fand CDs verzichtbar. Hörbücher auf physischen Tonträgern wie CDs spielen für 46 Prozent keine allzu wichtige Rolle.
Ein Leben ohne Kinobesuche ist für 23 Prozent vorstellbar.
Auf Spielfilme oder Serien von DVD würden 24 Prozent der Befragten verzichten.
Weniger wichtig finden die Erwachsene laut der YouGov-Umfrage Online-Videotheken. 38 Prozent könnten ohne das Streaming von Serien und Filmen (etwa via Netflix, Amazon, Maxdome, Watchever) leben, 40 Prozent ohne Musik-Streaming (zum Beispiel via Spotify oder Apple).
Eindeutig ist die Tendenz, wenn man nach den Altersgruppen schaut: So finden bei den 18- bis 24-Jährigen immerhin 21 Prozent das Fernsehen verzichtbar, bei den Menschen über 55 sind es dagegen nur 10 Prozent.
Film-Streaming finden dagegen die Leute ab 55 kaum relevant: 50 Prozent können darauf verzichten, wie sie angaben. Bei den Jüngeren (zwischen 18 und 24 Jahren) sind es dagegen nur 27 Prozent, die es missen könnten. In der Altersgruppe 25 bis 34 Jahre sind es sogar nur 24 Prozent
Auch Mikado erzählt eine Geschichte. Allerdings die einer Frau, die ihre Mikados ableckt, damit sie keiner der Kollegen bekommt. Der Spot hinterlässt das Gefühl, die blöde Tussi möge ihre Mikados doch für sich behalten. Aber Lust auf das Produkt macht er nicht.
Im Congstar-Spot lässt der Darsteller an einer Haustür die Geburtstagstorte fallen und tanzt stattdessen einen Striptease. Was das mit der Marke zu tun hat, bleibt ein Rätsel.
Im Gebrauchtwagen-Spot von Audi fahren diverse Audis auf zwei Reifen durch die Gegend. Warum, weiß der Henker. Diese Spots sind nicht nur keinem Typus zuordenbar, sie kommunizieren auch nichts.
TV-Einfalt pur
Es folgen eine Unzahl von Werbefilmen, die sich nicht einmal die Mühe machen, einem Typus anzugehören, geschweige denn eine Geschichte zu erzählen: Für Parship sagt ein Single: „Ich parshippe jetzt.“ Der Kleine Kuchen von Dr. Oetker zeigt Menschen, die Kuchen essen. Und im Spot für Pizzaburger zeigt Dr. Oetker zwei Männer, die Pizzaburger vertilgen. Nicht anders macht es Leibniz: Ein Mann isst einen Pickup-Riegel.
Für Eichbaum liegt ein Mann unterm Baum, anschließend sitzen drei zusammen und trinken Bier. Auch Vodafone begnügt sich damit, Menschen zu präsentieren - mit VR-Brillen statt Bier. Und Verivox lässt einfach diverse Protagonisten auftreten, die ein Victory-Zeichen machen.
Es geht noch einfältiger. Der Alpecin Sport spricht über Training für die Haare, zeigt aber nur die Flasche. Trivago demonstriert, wie sein Portal funktioniert und im zweiten Spot berichtet ein Presenter, dass man hier immer den besten Preis findet.
Hanse Merkur zeigt eine verwirrende Zahl von Menschen, die angeblich gemeinsam „Hand in Hand“ Pläne umsetzen.
Für die Joghurt-Schnitte wird erzählt, dass Menschen ihr Auto suchen, weil sie nicht mehr wissen, wo sie geparkt haben - auf Textcharts wohlgemerkt.
Die deutschen Agenturen beherrschen TV nicht
Das Elektroauto Nissan Leaf präsentiert ein fahrendes Auto - immer wieder gern genommen - darüber schweben Heißluftballone und Paraglider. In welchem Zusammenhang sie mit dem Fahrzeug stehen, bleibt offen.
Für den Dacia Duster singen Protagonisten „Another one drives a Duster“ zu den Klängen von Queens „Another one bites the dust“, bis dann unvermittelt Mehmet Scholl in Erscheinung tritt.
Und in seinem EcoSport-Spot überrascht Ford den Betrachter mit einem riskanten Überholmanöver in einer unübersichtlichen Bergkurve.
Bei der Entwicklung des Ford-Films haben die Verantwortlichen vermutlich jede Gehirnaktivität ausgeschaltet. Beim Betrachter löst es höchstens Unbehagen aus - ebenso wie der Knorr-Spot für „Natürlich lecker“. Denn jetzt enthält die Tüte, so die Botschaft, natürliche Zutaten. Man möchte gar nicht wissen, was Knorr zuvor jahrzehntelang in seine Würzbasen mischte...
Deutsche Werbung ist unzumutbar
Die Typologie der Kölner Werbeforscher hat einen klitzekleinen Fehler: Die überwältigende Mehrzahl der TV-Spots lässt sich ihren Typen nicht zuordnen. Die meisten TV-Spots bilden einfach in sturer Langeweile das Produkt ab, oder zeigen wahlweise fröhliche Menschen beim Konsum der Marke. Und wenn Bilder eingesetzt werden, passen sie oft nicht in den Kontext des Produkts.
Mein Fazit: Die deutsche TV-Werbung ist einfach grottenschlecht. Diese Spots helfen nicht, Marken zu differenzieren - geschweige denn Kauflust zu erzeugen. Da wundert es nicht, dass die Wirkung ausbleibt, dass TV-Werbung die Menschen langweilt und nervt.
Die meisten Werbefilme sind nichts weiter als abgefilmte Anzeigen. Und es wäre wohl besser gewesen, man hätte sie gleich als Anzeige produziert. Die deutschen Agenturen beherrschen TV nicht, wollen aber mit ihren unzumutbaren Spots auch online werben. Das kann nur in die Hose gehen.