Werbesprech

Werber reiben sich bei Amazon Alexa die Hände

Kaum sind die Sprachassistenten Alexa und Google Home auf dem Markt, herrscht in der Werbung Goldgräberstimmung. Doch egal, ob die Verbraucher Werbung in ihren Wohnzimmern zulassen: Amazon verfolgt mit Alexa einen ganz anderen Plan.

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Amazon-Echo Quelle: REUTERS

Die Werbebranche bejubelt einen neuen Werbe-Coup von Burger King. Im TV-Spot spielt der Burgerbräter mit der Sprachsteuerung des Sprachassistenten Google Home. Der Clou: Am Ende des Spots fragt der Burger-King-Mitarbeiter in die Kamera: „Ok Google, was ist der Whopper Burger?“ und löst mit diesen Worten die Sprachassistenten aus. Home beginnt nun automatisch einen Wikipedia-Eintrag über den Whopper vorzutragen, den der vermeintlich clevere Marketingchef von Burger King zuvor werblich überarbeitet hatte.

Das ist dreist. Die Aktion löste ordentlich Verärgerung aus. Viele User beschwerten sich über diesen Eingriff in ihre privaten Wohnzimmer. Nutzer machten sich einen Spaß und veränderten ihrerseits den Burger King-Eintrag bei Wikipedia, so dass Google Home plötzlich vorlas, dass der Whopper aus Ratten- oder Kinderfleisch bestehe.

Bei Wikipedia war man verständlicherweise wenig begeistert und nannte das Vorgehen Burger Kings „unmoralisch“. Denn das digitale Lexikon darf für Werbezwecke nicht missbraucht werden. Also sperrte man kurzerhand den Wikipedia-Eintrag des Systemgastronomen und forderte in einem offenen Brief eine Entschuldigung. Auch Google griff ein und sorgte dafür, dass Home auf den Spot nicht mehr reagiert.

Durch eine spezielle Werbe-Aktion von Burger King wurden in den USA „Google-Home“-Lautsprecher nicht ganz freiwillig zu Werbeträgern. Ein weiteres Mal zeigen sich die Schwachstellen der vernetzten Lautsprecher.

Unvergessen ein ähnlicher Vorfall, der im Januar um die Welt ging. Der Nachrichtensprecher einer Morning Show in San Diego berichtete über ein Mädchen, das sich via Sprachsteuerung ein Puppenhaus bei Amazon bestellt hatte. Als er den Satz "I love that little girl saying Alexa ordered me a dollhouse“ aussprach, löste er damit angeblich in mehreren Haushalten über die mithörenden Sprachassistenten erneute Bestellungen aus. Amazon erwies sich, so die Legende, als kulant und stornierte die Bestellungen.

Eindringen und verwurzeln

Die Marketingbranche hyperventiliert dagegen vor Freude. Angesichts der neuen Möglichkeiten, die die Sprachassistenten bieten, wetzen die Werber die Messer und ahnen bereits einen Goldrausch. Sie träumen von Sprachanwendungen, die hier „Skills“ heißen, und sich Unternehmen zunutze machen, um „noch tiefer in die Lebenswelt der Nutzer einzudringen und sich in deren Alltag zu verwurzeln“, wie bei Online Marketing Rockstars zu lesen ist. Noch sind es überschaubare Mengen an Nutzern und Anwendungen, doch bald sollen es Hundertausende sein.

Nützlich und absurd: Die Amazon Skills

Alexa quatscht bereits mit Kunden in einem Mönchengladbacher Hosengeschäft. Dem Branchenmagazin „Werben & Verkaufen“ waren die „Helfer aus der Dose“ sogar eine Titelstory wert. Darin heißt es: „Marken, die bei dem neuen Angebot eine Rolle spielen wollen, sollten frühzeitig mit dabei sein.“ So bietet die ARD bereits Tagesschau-Nachrichten, die bei Alexa abrufbar sind, und das Gruner + Jahr-Magazin „Chefkoch“ liefert das Rezept des Tages. Bei Lieferando kann Alexa bereits Pizza und Pasta bestellen, ebenso gerne auch ein Taxi bei Mytaxi.

Noch untersagt Amazon Werbung auf Alexa. Es stellt sich jedoch die Frage, was Amazon als Werbung interpretiert und was nicht, wo Werbung anfängt und Content (wie im Falle von Chefkoch) aufhört. Auch der Verbraucher muss mitspielen. Noch lehnen laut einer Studie von Trnd 27 Prozent der Menschen Alexa grundsätzlich ab - wegen Unsicherheiten beim Datenschutz. Für viele ist es schwer vorstellbar, sich einen derartigen Lauscher ins Wohnzimmer zu stellen, der jedes Wort mithört.

Die Litfaßsäule fürs Wohnzimmer

Eine Litfaßsäule in jedem deutschen Wohnzimmer, die Singles, Paare und Familien mit Werbung zutextet - das wäre der Traum mancher Werber. Eine Werbezukunft gar, in der jedes Unternehmen quasi von hinten durch die Brust ins Auge unsere Wünsche und Einkäufe steuern kann? Es ist kaum anzunehmen, dass die Verbraucher das zulassen. Auch die Werber haben bei Innovationen ein ums andere Mal heftig daneben gelegen.

Der Hype um Second Life sollte für Marken-Avatare eine zweite, werbliche Heimat inmitten unseres virtuellen Lebens werden. Stattdessen wurde Second Life einer der größten Flops der Digitalgeschichte.

Während des ebenso überraschend kurzen Lebens von Pokémon GO träumten Werber davon, wie sich das Phänomen werblich nutzen ließe. Es bildeten sich in manchen Agenturen sogar Pokémon-GO-Spezialisten. Davon spricht heute niemand mehr. Lieber eilt man der nächsten Sau hinterher, die durchs digitale Dorf getrieben wird.

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Amazon und die Weltherrschaft

Die digitalen Sprachassistenten wird ein solches Schicksal kaum ereilen. Doch das hat einen gänzlich anderen Grund. Amazon wird mithilfe von Alexa ein völlig neues Ökosystem erzeugen. Alexa könnte damit zur größten Bedrohung für die Markenwelt werden, die es je gab.

Alexa ist ein Tausendsassa. Vor allem aber hilft sie uns beim Einkauf. Sie erstellt Einkaufslisten, kennt die Lieblingsspeisen aller Familienmitglieder und jede unserer Markenpräferenzen. Sie informiert über die aktuellen Sonderangebote des Handels. Selbst über die Bevorratung des Haushalts ist sie - dank Smart-Home-Anbindung - bestens im Bilde.

Alexa weiß, wann ein Geburtstag bevorsteht und verwaltet die Geschenkeliste. Sie weiß, dass wir in Urlaub fahren und schlägt Rezepte vor, mit denen wir die restlichen Lebensmittel sinnvoll verbrauchen. Da sie alle Terminkalender kennt, weiß sie, wer wann zu Hause ist und empfiehlt etwa dem Strohwitwer, eine Pizza zu bestellen. Natürlich füllt sie rechtzeitig auch den Biervorrat auf.

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Das trojanische Pferd

Gleichzeitig greift Amazon massiv in den Lebensmittelhandel ein. Amazon Go heißt ihr futuristisches Ladenkonzept. Im Mai soll auch Amazon Fresh in Berlin an den Start gehen. Schon bald wird der Internetkonzern frische Lebensmittel in unsere Haushalte ausliefern und dürfte damit die Lebensmittelbranche mächtig aufwirbeln.

Die Strategie, mit der Amazon diese Werkzeuge in den Markt hebt, ist genial. Führt man nämlich beide Innovationsstränge zusammen - Alexa und Fresh - entsteht ein geschlossener Kreislauf: Alexa führt unsere Einkaufslisten und kauft anschließend im eigenen Supermarkt ein. Besonders gern die Eigenmarken des Versandhändlers.

Gerüchte über einen bevorstehenden Start des Lieferdienstes Amazon Fresh gab es immer wieder. Doch nie war ein baldiger Start wahrscheinlicher. Das könnte den Lebensmittelhandel auf den Kopf stellen.

In naher Zukunft werden sich Marken weniger um eine Listung bei Edeka oder Lidl kümmern, sondern um die bei Amazon. Marken werden sich in erster Linie bemühen müssen, überhaupt in diesen neuen Kreislauf vorzudringen. Der Verbraucher wird frohlocken, denn Einkaufen war für ihn noch nie so simpel. Er braucht dazu weder die Werbung der Marken, noch die des Einzelhandels. Er braucht nur noch Amazon.

Alexa ist für Amazon ein trojanisches Pferd auf dem Weg zur Übernahme der Handels- und Marken-Weltherrschaft. Die Marken und ihre Werber sollten sich warm anziehen.

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