Die digitalen Plattformen tragen ohnehin zum besseren Verständnis der Werbung wenig bei. Wenn Facebook, die Fotos von Kunstwerken sperren, weil darauf Brüste zu sehen sind, einer Bloggerin gesponserte Werbung eines Laufhauses ausspielt, das Prostituierte sucht („Viele Männer und wenig Konkurrenz“), dann ringt man um Fassung. Digitale Werbung bleibt oftmals ein Buch mit sieben Siegeln.
Die schlimmsten Ausrutscher geschehen den Werbeprofis jedoch nach wie vor bei den Claims, die sie den Marken anhängen. Sie sollen kurz und prägnant sagen, wofür die Marke steht und was sie besonders macht. Suzuki gelingt das nicht. Ihr neuer Claim für das Modell Vitara lautet „Alles und mehr“ und ist an phantasieloser Aufgeblasenheit nicht zu überbieten. Verstehen muss man das nicht.
Nach einer Untersuchung der Naming-Agentur Endmark sind der Mehrheit der Deutschen insbesondere englischsprachige Werbesprüche ein Rätsel. Fast zwei Drittel geben an, solche Claims nicht zu verstehen. Und drei Viertel der Konsumenten verstehen englische Werbe-Claims nicht im Sinne des Absenders. Die ungezügelte Liebe der Werber zur englischen Sprache treibt wundersame Blüten.
Da wird aus dem „Have it your way“-Spruch von Burger King schnell mal „Nimm’s mit auf den Weg“. Und selbst aus dem Backshop ein „Hinterhofladen“. So wenig wie der Worst Case eine Wurstkiste ist, ist ein Bodybag ein Rucksack (der auf Englisch übrigens rucksackheißt) - sondern eben ein Leichensack.
Dergleichen Reklame-Kapriolen gibt es zuhauf: Aus dem RWE-Slogan „One Group. Multi Utilities“ wurde in den Augen mancher Betrachter “Ohne Gruppe. Multi-Kulti“, aus „Broadcast yourself“ von YouTube „Mach deinen Brotkasten selber“. Und unter Renaults „Drive the Change“ verstanden viele „Wechsel den Fahrer“. Mit „Drive alive“ war es jedoch Mitsubishi, die den Vogel abschossen: Deutsche Verbraucher verstanden darunter „lebend ankommen“. Unvergessen ist auch der Spruch der Parfümeriekette Douglas „Come in and find out“, den viele mit „Komm rein und finde wieder raus“ übersetzten.
Das Dilemma der Werber sitzt tief
Wenn so viele Werbekampagnen nicht verstanden werden oder bei den Zielgruppen falsch ankommen, muss es einen Grund haben. Eine Antwort darauf liefert Amir Kassaei. Der streitbare weltweite Kreativchef der Agenturgruppe DDB platzierte jüngst eine ungewöhnlich harte Breitseite gegen seine eigene Zunft. In einem Interview mit der Fachzeitung Horizont teilte er aus: „Es zeigt, dass unsere Branche den Kontakt zur Realität der Menschen verloren hat.“ Die Werbebranche berausche sich an Dingen, die null Relevanz hätten: „Wir müssen endlich mit diesem furchtbaren Selbstbetrug aufhören und aus unserer Parallelwelt raus!“
BrandIndex Buzz-Score-Ranking: Diese Marken haben sich 2016 am besten ins Gespräch gebracht
Grundlage des Rankings bilden die Ergebnisse auf der Erhebungsdimension Buzz im Markenmonitor BrandIndex von YouGov. Hierfür befragt YouGov repräsentativ ausgewählte Deutsche nach Ihrer Wahrnehmung und Bewertung von Marken: "Wenn Sie von dieser Marke in den vergangenen zwei Wochen etwas gehört haben – etwa in der Werbung, in den Nachrichten oder persönlich über Freunde oder Bekannte – war es positiv oder etwas negativ?". Positiv- und Negativ-Stimmenanteile gegeneinander aufgerechnet ergeben den Buzz-Score. Ein hoher Buzz-Wert bedeutet also, dass eine Marke bei Verbrauchern positive Aufmerksamkeit erregt hat.
Marke: Rewe
Buzz score: 13,0
Marke: Tchibo
Buzz score: 13,2
Marke: YouTube
Buzz score: 13,9
Marke: Deichmann
Buzz score: 14,9
Marke: Wikipedia
Buzz score: 14,8
Marke: Lidl
Buzz score: 15,2
Marke: Harbo
Buzz score: 16,5
Marke: dm
Buzz score: 17,4
Marke: DHL
Buzz score: 17,4
Marke: Nivea
Buzz score: 18,2
Und weiter: „Dazu gehört auch, dass wir endlich dieses absurde Bullshit-Bingo mit Begriffen wie Content Marketing und Programmatic Advertising stoppen.“ Man brauche, so Kassaei, Substanz und keinen Firlefanz.
Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Die Werbebranche hat offensichtlich die Bodenhaftung verloren. Sie gibt vor, den Verbraucher in den Mittelpunkt zu stellen, gibt sich aber immer weniger Mühe ihn zu verstehen. Schuld an der schwindenden Werbe-Aufmerksamkeit haben also weniger die Fragmentierung oder Digitalisierung der Medien, sondern ein fehlendes Verständnis für die Bedürfnisse der Menschen.
Amir Kassaei will nach Abschluss der Kampagne, an der er derzeit arbeitet, die Werbebranche nach 30 Jahren verlassen. Das ist schade. Die Branche braucht Querdenker wie ihn.