Nie belügen wir unsere Mitmenschen häufiger als zu Weihnachten. Das fängt schon mit unseren Kindern an. In der Weihnachtszeit haben wir uns traditionell derartig in Märchen verstrickt, dass wir uns besser aufschreiben sollten, wem wir welche Storys vom Christkind und dem Weihnachtsmann aufgetischt haben: Anfang Dezember kommt der Nikolaus, der sieht aber aus wie der Weihnachtsmann. Deshalb erkennt man den Nikolaus am besten an Knecht Ruprecht in braun, der nach Lust und Laune jeden verdrischt, bis er grün und blau ist. So habe ich mir das als Kind zumindest immer gemerkt.
Irgendwann erzählte uns eine Grundschullehrerin, dass der Nikolaus nur dann Schokolade in die Kinderstiefel stopft, wenn man im Gegenzug seinen Pferden Brot vor die Zimmertür legte.
Meine Mutter wehrte sich anfangs gegen diesen Brauch. Das sei ein Irrtum, der Nikolaus komme ohne Pferd, schleppen tue doch dieser Knecht Ruprecht. Nach einigen Minuten Gequengel ließ sie sich dann aber doch erweichen: "Dann mach halt. Aber nur eingeschweißtes Pumpernickel. Sonst gibt das nur Gekrümel."
Dann kommen irgendwann diese unentspannten Besserwisser und machen es den Kindern extra kompliziert: Den Weihnachtsmann gebe es nicht, das sei nur eine billige Coca-Cola-Kopie vom Nikolaus, denn nur den gebe es wirklich.
Aber was es wirklich wirklich gibt, sind erwachsene Menschen, die offenbar nichts Besseres zu tun haben, als in organisierten Gruppen über Weihnachtsmärkte zu laufen und ausgerechnet den Leuten dort zwischen Currywurst und Werkzeug aus Schokolade vorzujammern, der Weihnachtsmann sei ein unchristliches Kommerzprodukt. Als wenn die Besucher eines Weihnachtsmarktes in ihrem Glühwein-Zuckerrausch ein Problem mit Kommerz hätten.
Weihnachten wird zur inszenierten Show
Meiner knapp vierjährigen Nichte in Dänemark haben wir erzählt, der deutsche Weihnachtsmann komme dieses Jahr schon zwei Tage vor Heiligabend vorbei. Aus rein logistischen Gründen, denn Dänemark liege nicht gerade auf dem Weg und die Rentiere seien ja schließlich keine Düsenflugzeuge. Dieses Geflunker musste sein, denn dieses Jahr war ich wieder der Mann mit dem roten Kostüm und Rauschebart und es ließ sich für mich einfach nicht später einrichten. Die Lügen purzelten nur so aus unseren verdorbenen Mündern. Es ist ja Weihnachten.
Und so lässt diese hemmungslose Liebe zur Unwahrheit das ganze Fest zur inszenierten Show werden. Der Gipfel der Unverfrorenheit: diese gespielte Freude über Geschenke.
Die gut gemeinte Geste ist nicht alles
Ein Bekannter hat seinem Vater vorletzte Weihnachten Krawatten geschenkt. Und zwar 15 Stück. Eine geschmackloser und billiger als die andere. Und jede einzelne liebevoll verpackt. Selbst bei Nummer 12, Nummer 13, Nummer 14 bedankte sich der Vater, ohne mit der Wimper zu zucken, und wirkte wirklich ganz angetan von einer solchen Auswahl. "Super! Krawatten kann man immer brauchen." Aber bei Nummer 15 konnte er eine gewisse Erleichterung darüber nicht verbergen, dass die Schlips-Bescherung endlich vorbei war. Bis sein Sohn ihn aufklärte: "Pabba, das war 'n Witz. Schmeiß die Dinger weg."
Wir sollten alle endlich mit offenen Karten spielen. Denn ein Weihnachtsgeschenk soll nicht den Schenker glücklich machen, sondern den Beschenkten. Die gut gemeinte Geste allein ist nicht alles. Vor allem deshalb nicht, weil Weihnachtsgeschenke heutzutage ja weniger Herzenssache sind als Terminsache. Es steht halt an. Ein Weihnachtsgeschenk heißt heute nicht: "Ich habe an dich gedacht", sondern: "Ich habe rechtzeitig was in der entsprechenden Preisklasse für dich gefunden".