Dieser fürchterliche Aufwand für die Gewinnung eines solchen stillen Wassers ist natürlich fürchterlich teuer. Und für Evian offenbar besonders teuer. Da muss man schon gucken, wo man als Abfüller bleibt. Evian hält den aktuellen Titel der Mogelpackung des Jahres, verliehen von der Verbraucherzentrale Hamburg. Die kritisierte neue Flasche ist kleiner (0,25 Liter weniger), kostet aber dafür mehr. Die Verbraucherzentrale sagt: „Versteckte Preiserhöhung bis zu 47 Prozent.“ Für ein Produkt, das ganz ähnlich fast kostenlos aus der Leitung schießt.
Evian kostet pro Liter bei REWE zurzeit 87 Cent, bei Amazon fresh 73 Cent, bei Edeka online 93 Cent. Ein Liter Leitungswasser kostet rund 0,2 Cent. Wer jeden Tag zwei Liter Wasser trinkt, bezahlt im Jahr mit Evian mindestens 533 Euro. Mit Leitungswasser 1 Euro 46. Macht eine Ersparnis von 99,7 Prozent, oder gerundet 100 Prozent. Anders herum: Evian ist 36.500 Prozent teurer als unser Leitungswasser. Ich sach´s nur.
Wer jetzt kontert: „Nimm halt billigeres stilles Wasser zum Vergleich, stilles Bonaqa kostet zum Beispiel nur 33 Cent pro Liter“, der suche sich jetzt bitte festen Halt. Bonaqa aus dem Hause Coca-Cola ist nichts anderes als in Flaschen gefülltes Leitungs-wasser. Leitungswasser, das immerhin noch 16.500 Prozent teurer ist als das aus der Leitung ohne Umweg über die Flasche. Solch ein Leitungswasser aus der Flasche nennt sich Tafelwasser.
Der Abfüller darf hier - anders als beim Mineralwasser - am Gehalt der Mineralien herum manipulieren (beim Mineralwasser dürfen im Wesentlichen nur gesundheitsschädliche Bestandteile entfernt werden). So kann etwa Coca-Cola Leitungswasser in allen Ecken der Republik entmineralisieren und nach eigenem Geschmack (im Rahmen der Gesetze) Mineralien zusetzen, bis das Tafelwasser trotz unterschiedlicher Leitungswasserquellen immer gleich schmeckt. Danach setzt man dem Ganzen dann Zucker, Aromen und Farbstoffe zu und erhält einheitlich schmeckende Fanta oder Sprite oder Coke. Oder man füllt das glattgebügelte Wasser direkt in die Flasche. Mit oder ohne Kohlensäure.
Auf den ersten Blick wirkt Tafel-Wasser aus Kundensicht wirtschaftlich betrachtet deshalb als der besondere Irrsinn. Wie Kategorie 2 extrem.
Die Shortlist zur „Mogelpackung des Jahres“
Sie ärgern sich über verdeckte Preiserhöhungen? Die Verbraucherzentrale Hamburg zeichnet jedes Jahr ein Unternehmen mit dem Negativ-Preis „Mogelpackung des Jahres“ aus. Bis zum 22. Januar können Verbraucher abstimmen.
Das Mineralwasser Evian von Danone Waters habe es mal in 1,5-Liter-Flaschen gegeben. Kostenpunkt: 0,89 Euro. Heute seien es nur noch 1,25 Liter. Dafür koste es jetzt 20 Cent mehr.
Der Hersteller Lorenz Bahlsen habe seine 200-Gramm-Crunchips-Tüte ausgedünnt. Mittlerweile seien nur noch 175 Gramm Chips darin – der Preis sei gleich geblieben.
Nestle’s Choco Crossies kosten pro 160-Gramm-Packung 1,99 Euro. Für denselben Preis habe es einmal 180 Gramm gegeben.
Der Inhalt von Mirácolis Pastasaucen Arrabiata sei von 530 Gramm auf 400 Gramm reduziert worden – der Preis sei gleich geblieben.
Statt 60 Gramm wiege der Milka Schokoladen-Weihnachtsmann nur noch 50 Gramm. Der Kaufpreis sei – trotz des Abnehmens – bei 1,19 Euro geblieben.
Der Witz ist aber: Weil Leitungswasser ein spitzenmäßig kontrolliertes Lebensmittel ist, enthält das Tafelwasser eben auch spitzenmäßiges Wasser. Weil es an jeder beliebigen Trinkwasserleitung gewonnen werden kann, ist es billiger abzuzapfen als Mineralwasser. Und weil nicht alles aus einer zentralen Quelle in Frankreich sternförmig in die ganze Welt verfrachtet werden muss, sondern dezentral abgefüllt werden kann, ist Tafelwasser per se umweltfreundlicher als Mineralwasser aus Quellen im Ausland.
Ergo: Weil sich stilles Mineralwasser aus dem Herzen der Alpen von Leitungswasser nicht wesentlich unterscheidet, unterscheidet sich auch Mineralwasser nicht wesentlich von Tafelwasser. Tafelwasser ist aber gut die Hälfte billiger. Wer deshalb Tafelwasser bevorzugt, kann aber erst recht Leitungswasser trinken. Wie man es also dreht und wendet: Leitungswasser ohne Plastikflasche direkt aus dem Hahn ist einfach unschlagbar im Preis-Leistungs-Verhältnis. Das bestätigen immer wieder etliche Tests.
Wenn wir jetzt Alpen-Mode-Wasser trinken, sitzen wir natürlich in der Kategorie 2.
Evian plakatiert deshalb gerade wieder für mehr Emotionen. Am Berliner Alexanderplatz gucken uns zurzeit lauter verdatterte Kleinkinder in übergroßen Erwachsenen-Klamotten von den Postern an, während den Kleinen die Evian-Flasche vor Schreck aus der Hand fällt. Goldig. Botschaft: Wer Evian trinkt, wird jünger. Claim: „Live young“. Evian als eine Art Jungbrunnen. Wer aber dann mal rechnet, bekommt graue Haare: Wer im Alter von 35 erste Fältchen an sich entdeckt und inmitten von Kategorie 2 gefangen anfängt, seinen Durst bis zu seinem Lebensende mit hoffentlich 90 Jahren mit auch nur einem einzigen Liter Evian täglich zu löschen, zahlt dafür (ohne Preissteigerungen und neue Mogelpackungen einzurechnen) 14.655 Euro. Mit Bonaqa bei gleicher Menge weniger als die Hälfte, mit Leitungswasser 40 Euro.
Jetzt können wir uns nur noch mit einem Argument aus der Kategorie 2 hieven: Geschmacksache.