Ehrlich! Wenn ich eins nicht abkann, dann sind das Lebensberater, die einen durch ihre Besserwisserei noch zusätzlich kirre machen. Wie die Trainerin, die Manager für Bühnenauftritte und Präsentationen schulen will, und ihnen beibringt: "Um Körperspannung zu bewahren, stellen Sie sich vor, Sie müssten beim Reden eine Walnuss zwischen den Pobacken halten." Das ist ja genau das, was man bei öffentlichen Auftritten braucht: einen verkrampften Hintern und die Angst, es könnte einem etwas aus der Unterhose fallen.
So ähnlich halten es auch manche Stil-Berater und Modejournalisten: Verunsichere die Leute, dann bleiben sie von deinen weisen Ratschlägen abhängig. Dabei gibt es zwei Philosophien.
1. Rede den Leuten ein, endlich mit der Mode zu gehen
Nach diesem Ansatz ist zum Beispiel jeder ein Stil-Clown, der in diesem Sommer Schuhe mit Socken trägt. Jüngst las ich: Sneaker und Slipper zurzeit um Gottes Willen nur barfuß.
Dass es da unten durch den ins Schuhwerk sickernden Schweiß nach ein paar Tagen ganz ordentlich müffeln kann, spielt offenbar keine Rolle.
Im Film "Zurück in die Zukunft II" laufen alle Jugendlichen in Jeans mit nach außen gestülpten Taschen herum. Weil es Mode ist. So kommen mir einige Tipps im wahren Leben auch vor. Da tragen zwei Modells für vier Minuten keine Socken und ein namhaftes Modemagazin druckt es ab, schon ist es offiziell Trend.
Ich bin vorletzte Woche mal eben schnell ohne Socken in die Turnschuhe und runter zu Kaisers für einen Liter Milch. Danach hatte ich eine offene Blase am großen Zeh. Toller Trend: Blut im Schuh.
So kleiden Sie sich richtig
Wie kleidet man sich ordentlich? Dabei geht es um mehr als die Frage, ob mit oder ohne Krawatte. Welche Aussagen lassen sich durch welche Kleidung transportieren? Das ist keineswegs Jacke wie Hose. Ein Crashkurs.
Im Englischen heißt es „it fits“, wenn etwas passt. Daher das Wort „Outfit“. Ihre Kleidung sollte in drei Kategorien passen: Dem Anlass entsprechend, dem Typ entsprechend und der individuellen Aussage entsprechend. Genau in der Schnittmenge liegt das für sie optimale Outfit.
Anzug oder Kostüm sollten Werte wie Vertrauen und Sicherheit widerspiegeln. Das gilt auch für Mitarbeiter im Back-Office. Ein Ziel ist Understatement. Die Kleidung sollte modern und nicht bieder wirken; dunkle Business-Farben wirken am besten.
Es gilt, einen Tick schicker zu sein als im klassischen Business. Hosen mit Pullover gehen maximal in der Werbebranche. Ansonsten eher kompletter Hosenanzug oder Blazer-Hose-Kombi für Damen, Anzüge und Kombinationen für Herren. Anspruchsvoll, gehobene Qualität und dunklere Farben.
Professioneller Look ist hier unabdingbar. Klassische Kostüme, Anzüge und Kombinationen in mittleren bis dunkleren Farbtönen. Farben dürfen nicht ins Auge springen, sollten aber modern sein.
In der Werbung oder bei den Medien darf es bunter und ausdrucksstark zugehen. Hier ist Nähe angesagt und schwarze Kleidung ist da sehr hinderlich.
Für besonders große Männer empfehlen sich farbliche Unterteilungen. Also zum Beispiel blaue Hose oder roter Pullover. Das unterbricht die Größe und lässt Sie weniger lang wirken. Männer mit langen Beinen tragen am besten längere Jacken und Ärmel.
Ist Ihr Körper insgesamt kurz, empfiehlt sich farblich Ton in Ton. Farbliche Unterteilungen würden die Kürze betonen. Haben Sie kurze Beine, sollten Sie von Hosenaufschlägen absehen – und auch davon, Ärmel aufzukrempeln.
Tiefsinnige und Kreative wollen sich ausdrücken. Die Erscheinung darf Außergewöhnliches bieten, also kreativer Kragen, Schmuck, extravagante Brille oder bunte Farben. Bodenständige Typen verwenden besser natürliche Materialien und Erdtöne. Dramatiker und Extrovertierte mögen vielleicht asymmetrisch geschnittene Kleidung – sie sollten dann aber darauf achten, dass sie niemals billig wirkt. Zu sportlichen Typen passen Blau und Grün.
Sollten Sie eine schlanke Frau sein und Kleidergröße 32 bis 34 tragen, sehen Röhrenjeans super aus. Ab Kleidergröße 40 sehen Sie mit ihnen dicker aus. Es liegt also stets an der Form ihres Körpers.
Sind Schulter, Taille und Hüfte gleich breit, empfiehlt sich eine gerade Hose oder ein gerader Rock.
Die Schulter ist schmaler als die Hüfte. Hier sollten Sie Hosen und Rücke in der sogenannten A-Linie mit kurzen Oberteilen kombinieren.
Die Schulter ist breiter als die Hüfte: Hier empfehlen sich Caprihosen, Röhrenhosen und enge Röcke. Die schmalen Hosen lassen sich gut in Stiefel stecken.
Die Figur ist wie eine 8 geformt. Sie ist eine sehr weibliche Figurform. Die Röcke sind konisch geschnitten, sie werden zum Knie hin schmaler. Passende Hosen sind Hosen in Bootcut-Schnitten.
Aber noch schlimmer ist:
2. Rede den Leuten ein, sie seien zu alt, zu arm und zu hässlich, um mit der Mode zu gehen
Bei Spiegel Online arbeitet ein Kollege, der weiß, wie man Leuten Komplexe einredet. In einem Artikel über Mode - Titel: Männer, das geht gar nicht! - berichtet Dirk Brichzi, er würde an fast jeder Straßenecke am liebsten im Boden versinken vor Fremdscham. Meine Güte! Und dann geht er los, der allumfassende Vernichtungsschlag:
Flipflops und Sandalen. Es wird schnell klar: Dirk Brichzi hat andere Fetische als nackte Männerfüße. Deshalb müssen alle Männer an jeder Straßenecke ihre Füße verhüllen. Selbst wenn die Füße gepflegt sind! Selbst in teuren Designer-Sandaletten! Herr Brichzi sagt nein.
Ausnahme: Menschen wie Facebook-Gründer Zuckerberg. Dem sei ein Auftritt zu einem Talk in Adiletten erlaubt. Begründung: Weil er Milliardär ist.
Heißt im Umkehrschluss: Ach, keine Ahnung, welchen Unsinn diese These im Umkehrschluss bedeuten könnte.
Hochgekrempelte Hosen. Ist zurzeit der oberste Allerwelts-Modetrend unter Männern. Das rät einem jeder zweite Klamottenverkäufer in Berlin-Mitte beim Hosenkauf. Da könnte man meinen, beim Krempeln kann man 2016 nicht viel falsch machen. Kurze Socken, die Hose zweimal umgeschlagen, ein bisschen Härchen zeigen, warum nicht?
Herr Brichzi schreibt: "Sie sollten bitte eine Hose in der passenden Länge kaufen - und statt mit der Länge mit den Farben und den Materialien experimentieren." Warum das eine, aber nicht das andere? Und wenn jemand wegen des Farbexperiments dann gleich wieder im Boden versinken möchte, ist aber eindeutig Herr Brichzi schuld.
Ein Stückchen toleranter
Große V- oder Rundhalsausschnitte. Den sollen laut Brichzi nur Modells um die 20 tragen. Weil? Weil jemand um die 40 seinen Körper nicht mehr herzeigen sollte?
Ich sage: Wenn ein Bereich des männlichen Körpers den Alterungsprozess am längsten standhält, dann ist es das männliche Dekolleté. Selbst wenn langsam die Bauchmuskeln nachlassen. Der Mann 30+ muss also gerade nicht zum von gewissen Experten favorisierten "normalen Halsausschnitt" greifen. Zum Normalen zu raten, ist ohnehin der lahmste Tipp von allen.
Den Hals im Sommer mit Tüchern und Schals zu verbergen, das ist Brichzi aber auch nicht recht. Weil das ja albern aussieht. Und Ketten dürfen Männer auch nicht tragen. Ohne Begründung.
Was bleibt einem noch als Mann über 30?
Ich lese weiter: Trainingsjacken darf man nicht anziehen, das sieht aus wie Provinz-Sportverein. Schmale Sonnenbrillen sehen offenbar irgendwie scheiße aus. Bei Hüten sind nicht die beliebtesten im Stil des verstorbenen Musikers Roger Cicero erlaubt, sondern da muss man sich vom Experten beraten lassen - der eigene Geschmack reicht da nicht aus. Slipper sind tabu, weil man die ja nur ohne Socken tragen kann, aber dann wäre der Fuß ja nackt und das findet Herr Brichzi ja iiih. Ich frage mich: Ist jemandem schon mal aufgefallen, dass ein Fuß nackt im Socken steckt?
Quergestreifte Hemden und Pullover über den Schultern? Nur erlaubt, wenn Sie eine Yacht im Mittelmeer haben. Logisch. Denn wer reich ist, der steht laut Brichzi ja über allen Moderegeln.
Aber jetzt kommt der Knaller: Rucksäcke sind tabu! Als ich das gelesen habe, wusste ich, worüber ich meine Kolumne diese Woche schreibe. Da wird uns geraten, Schlüssel, Geldbeutel und Handy in die Hosentaschen zu stopfen. Auch Supermarkteinkäufe dürfen nicht in den Rucksack, sondern müssen in Tüten. Sollen Dokumente oder ein Laptop mit, braucht man eine - ACHTUNG - Aktentasche! Oje! Die einen tragen eben Rucksack, die anderen finden es schicker, mit ausgebeulter Hose, Aktentasche und Tüten von Saturn und Kaufhof behängt durch die Gegend zu rennen. Übrigens: Umhängetaschen gehören laut Brichzi an die Uni. Mir hingegen war, als trüge dort fast jeder Mann längst einen Rucksack.
Was bleibt einem noch als Mann über 30? Wie muss man sich einen Mann mittleren Einkommens vorstellen, dem folglich keine modische Eskapade erlaubt ist?
Ich habe mir ein Foto von Herrn Brichzi im Internet angeguckt. Da blickt er in die Kamera und trägt einen schwarzes Sweatshirt mit an den Nacken gezurrter Kapuze. Ein Kapuzen-Pulli. Damit kann man seit Jahrzehnten nicht viel falsch machen. Aber wenn wir uns zum Motto machen, bloß nichts anders machen zu dürfen als früher, weil man damit ja daneben liegen könnte, wenn wir uns nicht trauen aufzufallen, weil sonst irgendwelche Experten an der Straßenecke im Boden versinken vor Fremdscham - wenn dieses verschnarchte kapuzenpulli-hafte Mode-Prinzip auf andere Lebensbereiche wie etwa das Berufsleben oder die Politik durchschlägt, dann gute Nacht, Freunde.
Es könnte doch so einfach sein: Liebe Mode-Götter, hört auf, euch für andere zu schämen und schreibt doch einfach: "Sommertrend 2017: Tennissocken in Sandalen und Banker mit Gesichts-Tattoo" - und macht die Welt damit ein Stückchen toleranter.