Werner knallhart

Vorkasse bei McDonald´s am Bahnhof: Wie bei Ikea bei der Warenausgabe

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McPanik verkürzt das Leben

Als ich zum Abholschalter kam, suchte ich nach meiner Nummer auf dem Display, das über der Durchreiche hing, und dachte: „Scheiße.“

Sorry, aber da standen noch rund zehn andere Nummern vor meiner. Dabei waren Terminal und Kasse doch wie ausgestorben gewesen! Nach dem alten Bestell-Konzept konnten die Kunden an der Länge der Schlange vor der Kasse noch abschätzen, wie viel Lebenszeit sie ins Warten investieren mussten. Heute suggerieren die freien Terminals und Kassen Bedienung in Hochgeschwindigkeit. Das Geld ist auch tatsächlich schnell weg, aber das Essen kann dauern.

Ich blickte mich aufgeregt um: Da, um die Ecke warteten sie - Bielefelds Teenager aus aller Herren Ländern in geduldiger Sommerferien-Laune. Mit ihren halben Metern Kassenbons in Händen. Gelehnt an spezielle Warte-Stehstützen mit Po-Puffern und mit Kopfhörern im Ohr. Und ich dazwischen mit Blick auf die Uhr: Noch acht Minuten, dann kam mein ICE!

Bei Vapiano und Dean & David kann man ja wenigstens am Tisch warten, bis der persönliche elektronische Summer blinkt und zappelt. Bei diesen neuen McDonald’s muss man aber an der Essensausgabe rumlungern, um den Monitor mit den Nummern erkennen zu können. Wie bei Ikea bei der Warenausgabe.

Früher konnten die Kassierer auch noch beim Tüten-Packen helfen. Die waren ja sogar dafür zuständig, die Tabletts aufzufüllen UND zu kassieren. Jetzt standen sie isoliert hinter der Kasse, abgeschirmt von der Küche mit Durchreiche. Sie KÖNNEN ja jetzt gar nicht mehr einspringen, selbst wenn sie es wollten. Sie waren zum Däumchendrehen verdammt. Der einsame Tütenpacker hinter der Durchreiche indes kam nicht nach, sprang zwischen Bestelldisplay mit den Packvorgaben und den halbleeren Burger-Regalen hin und her. Noch vier Minuten! Ich verlor die Nerven: „Könnten Sie mir bitte einfach einen Veggie-Burger in die Hand drücken, mein Zug fährt gleich. Bitte. 274.“

„Veggie-Burger nicht fertig. Gleich. Noch fünf Minuten.“

„Was? Nein, das geht nicht. Mein Zug! Ich warte doch schon fast fünf Minuten.“ Leute, fünf Minuten sind im Fastfood-Business eine halbe Ewigkeit. 10 Minuten für einen labberigen Burger aber ist ein Desaster. Früher war man mit einem einzelnen Miniburger nach dem Bezahlen schnell wieder raus. Nach dem neuen Konzept aber mussten erst die riesigen Sparmenüs der anderen vor einem abgearbeitet werden. Von einem einzigen Tütenpack-Mitarbeiter für alle Bestellungen!

Ein Student mit Rollkoffer kam dazu: „Und dann bitte auch schnell 273.“ Aha. Ein Leidensgenosse. Der aber leider vor mir dran war. Ich wäre normal ja längst am Gleis gewesen. Aber ich hatte ja schon bezahlt! Und ich war es nicht gewohnt, Fastfood-Giganten für nix Geld in den Rachen zu werfen. Wenn es auch nur knapp drei Euro waren. Und vor allem: Ich hatte Hunger.

Ich öffnete die App. „+20“. Verdammt, der ICE hatte zwei Minuten Verspätung aufgeholt. Abfahrt 20:00 Uhr. Armbanduhr: 19:59 Uhr. Ich sah, wie hinten ein halbes Dutzend Veggie-Frikadellen aus der Fritteuse gezogen wurden. Der Tüten-Mann lächelte mir aufmunternd zu.

Aber das war´s! Ich schleuderte meinen Koffer nach hinten und drückte einem fröhlichen Sommerferien-Schülerin meinen Bon mit 274 in die Hand. „Ein Veggie-Burger. Schenke ich dir. Guten Appetit.“

20 Uhr! Ich rannte los und hörte von der Bahnsteig-Unterführung aus die Motorengeräusche des ICE 2 von oben dröhnen. Anfahrt-Geräusche oder Abfahrt-Geräusche? Anfahrt oder Abfahrt??? Subway-Salat und Bierdose schlugen mir auf der Treppe zum Gleis in der Tüte gegen die Schienbeine.

Die Türen standen noch offen. Ich rannte, mein Rollkoffer überschlug sich hinter mir. Die Türen piepsten. Der Schaffner rief von hinten: „Einsteigen!“ Ich sprang durch die Lücke in den Zug. Die Tür klackte hinter mir ins Schloss. Keuchend suchte ich mir einen Sitzplatz. Der Zug fuhr ab. Einige Minuten später schlenderte ich mit nass geschwitztem Rücken unterm Sakko ins Bordbistro und schwor mir: Nie wieder kurz vor Abfahrt zu einem McDonald´s mit Vorkasse. Das Konzept machte eine Mahlzeit bei denen ja jetzt noch ungesünder fürs Herz. Diese McPanik verkürzte mein Leben.

„Wie lange dauert es, bis Ihr vegetarischer Flammkuchen aufgebacken ist?“

„Och, fünf oder sechs Minuten.“

Ich lächelte: „Super. Alles klar. DIE Zeit hab ich.“

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