Werner knallhart

Schmeißt Bücher in den Müll!

Wer alte Zeitungen und Illustrierte hortet, ist ein Messi. Wer meterweise Bücherregale in die Wohnung stellt, gilt als intellektuell. Warum trauen wir uns nicht, Bücher wegzuschmeißen?

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Ein Bücherregal Quelle: dpa

Neulich erzählte mir eine Freundin: "Boa, ich habe zwei Umzugskartons mit alten Büchern im Keller. Die wiegen gefühlt vier Tonnen und müffeln schon schimmelig."

"Was sind das denn für Bücher?"

"Ach, Jahrzehnte alte Taschenbücher. Da kriege ich auf dem Flohmarkt vielleicht noch fünf Euro pro Kiste. Da lohnt sich noch nicht mal die Schlepperei."

"Dann schmeiß sie doch weg."

Sie guckte verknautscht: "Hä? Du schreibst selber Bücher und sagst: Schmeiß doch Bücher weg? Mal mehr Respekt, ja?"

"Du, ich habe vor kurzem sogar eins meiner eigenen Bücher weggeworfen. Es war von einer Lesung etwas zerknickelt und voller Kugelschreiber-Markierungen. Außerdem hatte ich es im Zug mit Schokoladenfingern angefasst."

"Banause."

Tatsächlich kenne ich in meinem Bekanntenkreis keinen einzigen, der Bücher vernichtet. Denn:

Argument Nummer 1: Die Zeiten sind zum Glück vorbei, in denen in Deutschland Bücher verbrannt wurden.

Die zehn beliebtesten Bücher auf Amazon 2014
Platz 10: „Killing Patton: The Strange Death of World War II’s Most Audacious General” (Bill O'Reilly)Fox-Moderator Bill O'Reilly ist für seine konservativen Ansichten bekannt. In seinen „Killing“-Büchern beleuchtet er die Todesfälle berühmter Personen: „Killing Lincoln“, „Killing Kennedy“, „Killing Jesus“ – und nun „Killing Patton“. Hier beleuchtet er die Umstände des nach dem Zweiten Weltkrieg bei einem Autounfall in Heidelberg verstorbenen US-Generals George S. Patton. Noch ist das Buch nicht auf Deutsch erschienen. Quelle: Macmillan
Platz 9: „Top Secret Twenty One“ (Janet Evanovich)In Deutschland hat Ermittlerin Stephanie Plum erst den 19. Fall hinter sich gebracht. In den USA kommen die Leser schon in den Genuss von Nummer 21. Ihre Aufgabe: Einen verschwundenen Autohändler auffinden, der seinen Gerichtstermin verpasst hat. Quelle: Random House
Platz 8: „The Heroes of Olympus Book Five: The Blood of Olympus” (Rick Riordan)Die Buchreihe der „Helden des Olymps“ geht in die fünfte Runde. Das noch nicht auf Deutsch erschienene Buch versetzt die Leser mitten in einen Kampf zwischen der Besatzung der „Argo II“ gegen die Erdmutter Gaia. Quelle: dpa
Platz 7: „The Fixed Trilogy“ (Laurelin Paige)Fans von „Fifty Shades of Gray” werden sich freuen: Die Trilogie erzählt wie Alayna zum Star der Nachtclubszene aufsteigt und wie Clubbesitzer Hudson nicht die Augen von ihr lassen kann. Quelle: REUTERS
Platz 6: „The Target“ (David Baldacci)Ein Buch, über das sich Nordkorea freuen wird. US-Agent Will Robie soll es mit einer nordkoreanischen Terroristin aufnehmen und wird dabei selbst zum Gejagten. Quelle: dpa
Platz 5: „(Große) kleine Lügen“ (Liane Moriarty)Nicole Kidman und Reese Witherspoon drehen aktuell die  Geschichte von drei Müttern in einer unscheinbaren australischen Vorstadt. Jede von ihnen trägt ein Geheimnis mit sich und am Ende wird eine sterben. Quelle: Random House
Platz 4: „Personal“ (Lee Child)Ein ehemaliger Schütze des US-Militärs ist aus dem Gefängnis ausgebrochen und kurz davor, einen Anschlag auf den G8-Gipfel zu verüben. Jack Reacher soll ihn im Auftrag der CIA stoppen. Quelle: Random House

Für die meisten (mich eingeschlossen) wäre es kein schöner Anblick, wenn 2015 auf dem Dorfplatz Haufen von Büchern umringt von grölenden Nazis in Flammen aufgingen.

Wer aber ein Buch liest und es so schlecht findet, dass er keinen wüsste, dem er es guten Gewissens in zweite Hand verschenken könnte, der ächtet das Werk nicht als entartete Kunst, sondern höchstens als billigen Schinken. Und sollte das Medium Papier ordentlich dem Abfallkreislauf zuführen. So mancher alter Rosamunde Pilcher könnte heute schon eine Küchenrolle sein. Aber nein.

Argument Nummer 2: Bücher wegzuwerfen ist respektlos gegenüber dem Autoren

Gönnen Sie sich diese kleine Frechheit. Ich bin mir sicher: Ihr Lieblingsschriftsteller wird es nie erfahren. Und warum bekommen Buchautoren eigentlich eine Extrabehandlung? Warum wird ein Dreigänge-Menü eines Sternekochs einfach so weggefuttert und damit unwiederbringlich vernichtet? Wieso hören wir einfach so Radio, ohne alles höflich mitzuschreiben und abzuheften? Warum drucken Sie nicht das Internet aus? Weil der Konsum schon Kompliment genug ist. Der Datenträger Buch darf deshalb zerstört werden. Wer will, kann beim Entsorgen ja ein paar tröstende Worte sprechen.

Argument Nummer 3: Vielleicht lese ich das Buch ja irgendwann nochmal.

Gegenargument: Nein, tust du nicht.

Wie viele Bücher haben Sie in Ihrem Leben mehr als einmal gelesen? Ich persönlich komme da auf etwa fünf. Darunter "Die kleine Raupe Nimmersatt", "Oh, wie schön ist Panama" und "Der Struwwelpeter" (das Bild des ausgemergelten Suppenkaspers prägt bis heute mein Essverhalten). Dann "Der Prozess" von Kafka, weil der im Abi vorkam. Aber sonst?

Wer Bücher aufhebt, weil er sie vielleicht noch einmal liest in seinem Leben, der kann sich genauso gut einen privaten atombombensicheren Bunker im Keller einrichten. Für den Fall der Fälle. Und der sollte auch immer gleich zwei Gläser Wein bestellen. Falls einer korkt.

Die schönsten Bibliotheken der Welt
Vatikanische apostolische Bibliothek Sie wurde im 16. Jahrhundert gebaut und wird heute noch von zahlreichen Gästen genutzt - nicht nur wegen ihrer Optik, sondern auch wegen der vorhandenen Schriftstücke. Der Buchbestand wird zum wertvollsten der Welt gezählt, insgesamt zwei Millionen Bücher und Manuskripte befinden sich im Besitz der Bibliothek im Vatikan. Quelle: GNU
StockholmDie seit 1928 bestehende Stadtbibliothek Stockholm markiert den Umbruch der schwedischen Architektur der Zeit. Die klare Struktur des Äußeren zieht sich im Inneren fort, rundlaufende Regale säumen den zylindrischen Innenraum des Hauptgebäudes. Insgesamt wird der Medienbestand auf über zwei Millionen Büchern und über 2,4 Millionen Audiokassetten, CDs und Hörbüchern beziffert. Quelle: Creative Commons
BaltimoreDie George Peabody-Bibliothek in Baltimore stammt aus dem 19. Jahrhundert. 1878 fertiggestellt, vereinigt das neugriechische Interieur ein mit Marmor ausgelegtes Atrium mit 18 Metern Deckenhöhe - ein Grund dafür, dass das Gebäude ursprünglich auch als "Kathedrale der Bücher" bezeichnet wurde. Vor rund zehn Jahren wurde die komplette Bibliothek renoviert und überarbeitet. Quelle: Gemeinfrei
ZürichEine ungewöhnlich verortete Bibliothek findet sich im B2-Hotel in Zürich. Den Gästen stehen insgesamt rund 33.000 Bücher in elf Meter hohen Regalen zur freien Verfügung. Wer möchte, kann die Bücher sogar ausleihen. Quelle: PR
Den HaagDie ursprüngliche Bibliothek des niederländischen Justizministeriums beherbergt sämtliche Unterlagen des Senats und des Repräsentantenhauses. Das Gebäude wurde Ende des 19. Jahrhunderts gebaut. Um die wertvollen Unterlagen zu schützen, wurde auf eine Beleuchtung durch Kerzen und Gaslampen verzichtet. Stattdessen setzten die Baumeister auf ein komplett verglastes Dach und eine ausgeklügelte Etagenstruktur. Quelle: GNU
AdmontDie größte Klosterbibliothek der Welt befindet sich im österreichischen Benediktinerstift Admont. Das Ziel der Baumeisters Josef Hueber: "Wie den Verstand soll auch den Raum Licht erfüllen." Der in drei Teile gegliederte Raum ist 70 Meter lang, 14 Meter breit und 11 Meter hocch. An der Decke stellen Fresken die Stufen der menschlichen Erkenntnis dar. Quelle: PR
WienDer Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek wurde im Jahr 1726 fertiggestellt und ist in eine Kriegs- und eine Friedensseite aufgeteilt, die sich in den vorhandenen Fresken widerspiegeln. Neben dem Archiv aller in Österreich veröffentlichten Büchern verfügt die Bibliothek über einen umfangreichen Bestand alter Karten und Globen sowie eine Sammlung alter Papyrus-Schriftstücke. Quelle: Creative Commons

Was könnte man alles in der Wohnung haben, wenn die Platz raubenden Bücherregale rausflögen? Ein Aquarium mit Piranhas, einen Bierkühlschrank mit Glasfront, einen Flügel, einen Billardtisch, ach, bei einigen wäre doch plötzlich Platz für einen Swimmingpool nebst offenem Kamin.

Das unausgesprochene Argument Nummer 4: Angeberei

Warum verweigern sich so viele Leser einem elektronischen Reader wie etwa dem Kindle von Amazon? Antwort: Weil die Freunde und Kollegen beim Besuch zum Dinner einem Reader auf der Kommode nicht ansehen, wie viele Werke drauf gespeichert sind. Viele Bücher hingegen sehen aus wie "viel in der Birne".

Das ist so, als würde jemand, der jeden Abend das heute Journal guckt, über Jahrzehnte jede einzelne Sendung zum Nachweis auf DVD brennen. Macht aber hoffentlich keiner.

Wer Bücher zum Angeben aufhebt, trägt bestimmt auch langärmlige Hausjacken mit Zopfmuster. Ich wette, da gibt es Studien. So!

Deshalb: Mehr Mut zur Lücke im Regal. Beim Ausmisten von Klamotten gilt die goldene Regel: ein Jahr nicht getragen - weg! Ich hatte mal eine dicke knallblaue Winterjacke, die hatte ich aufgehoben, für den Fall, dass ich mal in Köln Karneval feiere und eine Partyjacke brauche. Denn die durfte im Kneipentrubel ruhig rauchig und kölschsiffig werden. Oder verloren gehen. Im ersten Jahr passte sie null zum Kostüm und blieb daheim, im zweiten Jahr war es zu mild, im dritten Jahr war ich verhindert. Vier Jahre ging das unmodische Ding unnütz im Schrank. Dann endlich nahm ich sie mit zum Feiern und ließ sie absichtlich an der Garderobe hängen. Es half ja nichts.

Bei Büchern vergehen hingegen meist Jahrzehnte, bis man merkt, dass man Müll hortet. Das gleiche gilt für CDs und DVDs. Warum kaufen wir heute noch Disks, wenn es alles zum Download oder Stream im Internet gibt?

Ein Freund von mir sortierte vor einigen Jahren seine große CD-Sammlung in zwei Stapel. 1. aufheben, 2. Flohmarkt. Stapel 1 und 2 im Verhältnis von circa  5 zu 1. Am nächsten Morgen packte seine Freundin die CDs ins Auto und verkaufte sie recht erfolgreich und günstig auf den Rheinwiesen in Bonn an begeisterte Musikfreunde. Am Abend hing dann der Haussegen schief, denn seine Freundin hatte versehentlich den großen Aufheben-Stapel verscheuert. Pro CD ein Euro. Ups, Missverständnis.

Mein Freund war dann dafür einer der ersten, der Musik im Internet abonnierte. Er hat heute nur noch eine Handvoll Disks zuhause - und lebt trotzdem glücklich und gesund.

Ich habe es ihm längst nachgemacht. CDs, DVDs, alte Bücher: raus! Und siehe da: Ich trage niemals langärmelige Hausjacken mit Zopfmuster. Läuft!

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