Werner knallhart

Bekenntnisse eines Desinfektions-Junkies

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Schmutz trainiert die Abwehrkräfte?

Ich habe einmal gesehen, was Leute im ICE so machen, wenn sie niesen. Hatschi, Blick in die Hand, Hand geht unauffällig nach unten und schubbert einmal elegant über Armlehne. Es ist die Wahrheit! Lust auf eine Runde Sterillium?

Und leider leben wir in Deutschland immer noch in einer Welt mit öffentlichen Toiletten, bei denen man zwei, drei Türklinken drücken muss und danach noch manuell die Spülung am Urinal, dann noch die Wasserhahn-Knäufe drehen, dann den Seifenspender drücken, dann mit einem Hebel das Papierhandtuch aus dem Kasten abrollen und am Ende des Reinigungsprozesses zwei Türklinken drücken. Und alles war umsonst.

Gehen Sie mal in Düsseldorf oder in Berlin-Tegel am Flughafen austreten. Da wird Ihnen als bakterienbewussten Menschen schlecht. Und dann mal nach Bangkok an den Airport. Da berühren Sie nichts außer sich selber und den Strahl aus dem Wasserhahn.

Hier lauern die meisten Keime im Büro
Platz 10: KopiererDie Wissenschaftler haben über 5.000 Oberflächen in Bürogebäuden unter anderem von Versicherungen, Anwaltskanzleien und Callcentern auf ihren Bakteriengehalt untersucht und dabei ein Schmutz-Ranking erstellt. Auf Platz zehn landet der Kopierer, an dem täglich Dutzende Angestellte arbeiten.
Platz 9: KaffeetassenHinter den Kopierern folgt die Kaffeetasse, die gerne mal länger in offenen Schränken vor sich hin vegetiert. Im Durchschnitt berührt jeder Büroangestellte übrigens 300 Oberflächen in 30 Minuten und kommt dadurch am Tag mit 840.000 Keimen in Berührung.
Platz 8: TelefoneAuf Platz acht der schmutzigsten Büro-Oberflächen hat es das Telefon geschafft. Mehrmals täglich wird es von einem oder sogar mehreren Mitarbeitern in die Hand genommen und vor allem nah an den Mund gehalten. Da können sich die Bakterien leicht in die Schleimhäute einnisten. Quelle: dpa
Platz 7: ComputermäuseDen ganzen Tag fast halten wir sie in unseren schwitzigen Händen - die Computermaus. So bildet sich mit der Zeit eine immer dickere Dreckschicht. Viele Unternehmen weisen ihre Mitarbeiter mittlerweile daraufhin, den Schreibtisch inklusive Computermaus und Tastatur mit Desinfektionsmittel zu reinigen. Solche Ansagen vom Chef können die Krankheitsrate offenbar um 80 Prozent senken. Quelle: AP
Platz 6: Tasten an Kaffee- und SnackautomatenDie Wissenschaftler fanden heraus, dass 79 Prozent der Tasten von Kaffee- oder Snackautomaten verschmutzt sind. 21 Prozent waren sogar mit einer sehr hohen Bakterienzahl befallen. Am besten also immer die Hände waschen, bevor der Schokoriegel aus dem Automaten verputzt wird. Quelle: AP
Platz 5: Tasten und Griffe an WasserspendernViele Mitarbeiter freuen sich, wenn der Arbeitgeber ihnen kostenlos Wasser bereitstellt. Aber Achtung: Viele Griffe und Tasten an Wasserspendern sind voll von Keimen und Schädlingen. Quelle: AP
Platz 4: KühlschränkeAusgelaufene Säfte, abgelaufener Joghurt und keiner fühlt sich verantwortlich - der Kühlschrank im Pausenraum ist ein richtiges Nest für Keime. Angestellte sollten ihr Pausenbrot also gut einhüllen, wenn sie es für einige Zeit kalt legen wollen. Gleiche Schmutz-Gefahr gilt übrigens auch für die Kühlschrank-Griffe. Quelle: dpa

Wenn ich mir vorstelle, wie die Leute am deutschen Uralt-Urinal mit manueller Spülung sich erst untenrum frei machen und dann mit den zwangsläufig ungewaschenen Fingern die Taste drücken, und jetzt stehe ich da, dann will ich am liebsten sofort wie eine Piemont-Kirsche in Alkohol versinken.

Oder achten Sie auf Ihrer nächsten Flugreise mal auf die Vielflieger. Manchmal sieht man Leute, die setzen sich nach dem Einsteigen, klappen den Tisch runter, spritzen Oberfläche, Tastenfeld in der Armlehne, den Monitor vor sich und die Lampenschalter über sich mit Desinfektionsmittel ein und wischen sie sorgsam ab. Danach haben sie ihren Sitzplatz für die nächsten zwölf Stunden Fernstrecke für sich allein. Ohne Millionen von Bakterien an den entscheidenden Stellen. Ich finde das clever und mache das jetzt auch immer. Falls man mal unbewusst im Halbschlaf mit den Fingern ins Auge fasst und im Urlaub trotzdem keine rot entzündeten Klüsen haben will.

Experten sagen: Regelmäßig Händewaschen reicht. Aber das geht unterwegs halt nicht immer. Da muss es eben das Fläschchen mit dem puren Alkohol sein. Gegen die 99,9%.

Wie? Ein bisschen Schmutz trainiert die Abwehrkräfte? Ach, bitte, aus dem Alter bin ich raus. Ich will meine Abwehrkräfte einfach nicht mit diesem unnötigen Quatsch belästigen. Die sollen sich auf Angriffe aus dem Rohmilchkäse konzentrieren. Und außerdem trainiert mein Immunsystem mit Birkenpollen.

Der Rest wird unterwegs wegdesinfiziert. Erst wenn sich andere Passagiere umdrehen, weil die Atemluft plötzlich so stechend riecht, erst dann weiß ich, jetzt bin ich rein. So ein neues Tempo-Feuchttuch ist doch höchstens ein Hygiene-Placebo. Fürs gute Gefühl. Für mich als 80er-Jahre-Erfrischungstuch-Kind ist mir das einfach viel zu heikel.

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