Werner knallhart

PET-Flaschen: Der reinste Wahnsinn

In Entwicklungs- und Schwellenländern kommt man um Trinkwasser in PET-Flaschen nicht herum. Die Deutschen kaufen die Flaschen, obwohl Wasser sauber aus der Leitung sprudelt. Warum?

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Eine Frau füllt ein Glas mit Leitungswasser Quelle: dpa

Sabine ist Anfang vierzig und seit neuestem und wider Willen Single. Um sich wieder voll ins Leben zu stürzen, hatte sie ein paar Freunde kürzlich zu einem Frühlingsdinner auf ihrer Dachterrasse eingeladen. Beelitzer Spargel en Masse und eiskalter Weißwein gegen den Liebeskummer. Im Gegenzug sollten wir alle halbwegs attraktiven, ledigen Männer zwischen 30 und 45 mitbringen. Soweit der Plan für den Freitagabend.

Normalerweise gelang es Sabine, sich an dem Tag schon um 16 Uhr aus dem Büro zu verabschieden. Nur ausgerechnet an jenem Freitag erwartete ein neuer Kunde dringend die Entwürfe für seine Plakatkampagne. Mit dem Einkauf für die Spargel-Party wurde es also eng. Sabine hatte für 18 Uhr eingeladen.

Um 16 Uhr 45 verabschiedete sich Sabine von den zwei Junior-Designern und dem Hospitanten, eilte in die Tiefgarage und brauste zum Feinkostladen. Sechs Kilo Spargel, Butter, Räucherlachs, frische Himbeeren. Und gegen den Durchhänger um Mitternacht: vier Kästen Evian. Von ihrem Lieblingsweißwein hatte sie noch da.

In der heimischen Tiefgarage angekommen, schob Sabine die Evian-Kästen fluchend mit den Füßen über den Betonboden rüber in den Aufzug, das Essen unterm Arm.

Im siebten Stock angekommen, bugsierte sie einen der Kästen als Bremsklotz vor die geöffnete Wohnungstür, die aus Brandschutzgründen sonst mit Wucht ins Schloss gefallen wäre. Einen zweiten Kasten schleppte sie auf den Balkon. Dort fielen ihr die acht leergetrunkenen Evian-Kästen auf. Die Plastikpfandflaschen standen in der Sonne.

Das sieht nicht aus, dachte Sabine und schnappte sich zwei leere Kästen, um sie vorübergehend im Treppenhaus zu deponieren. Einen knallte sie als neuen Bremsklotz vor die Wohnungstür, und brachte den vollen dafür auf den Balkon.

Und das war ihr Fehler.

Als die Gäste eine halbe Stunde später im siebten Stock aus dem Aufzug stiegen, stießen sie auf eine in Tränen aufgelöste Sabine. Sie hockte vor der verschlossenen Tür, neben ihr eine Tüte mit rohem Spargel, Butter, Himbeeren und Räucherlachs, ein Kasten Evian und zwei Kästen Leergut.

"Die verdammte Tür ist zugeschlagen. Und meine Handtasche mit dem Wohnungsschlüssel liegt auf der Couch. Diese scheiß Brandschutztür hat den leeren Wasserkasten einfach weggeschoben. Willkommen auf der peinlichsten Party Berlins."

Und ich dachte mir: Mit Leitungswasser wäre das nicht passiert.

Warum um alles in der Welt tun wir uns das an? Warum schleppen wir Plastikflaschen mit einer Flüssigkeit umher, die genauso gut im siebten Stock aus der Leitung direkt ins Glas sprudelt?

Kein anderes industriell aufbereitetes Lebensmittel wird bei uns so akribisch kontrolliert wie Leitungswasser. Obwohl die Grenzwerte insbesondere bei Keimen sogar strenger sind als bei Mineralwasser, werden Verunreinigungen fast nie festgestellt. Und wer als Verbraucher auf Nummer Sicher gehen will, kann im Labor untersuchen lassen, ob die Hausleitungen auf den letzten Metern vor dem Wasserhahn Schadstoffe wie Blei oder Kupfer ins Wasser abgeben. Die Stiftung Warentest übernimmt diesen Service zu bezahlbaren Preisen.

Sinnlose Geldverschwendung

Für kaum ein anderes Lebensmittel lässt sich also derart sinnlos Geld zum Fenster rauswerfen wie mit Mineralwasser aus dem Supermarkt. Wer genügend trinkt und seinen Durst allein mit diesen Modewässern stillt, der kann bei einem Verbrauch von zwei Litern ohne weiteres 1 Euro 20 am Tag verplempern. Das sind aufs Jahr hochgerechnet 438 Euro. Wer nur Leitungswasser trinkt, käme bei den aktuellen Wasserpreisen auf Getränkekosten von sage und schreibe rund 1 Euro 50 - pro Jahr. Doch der Wahnsinn geht noch weiter.

Zunächst werden die Flaschen etwa aus Frankreich über Hunderte Autobahnkilometer im LKW transportiert. Dann fahren die Kunden sie vom Supermarkt im Privatwagen nach Hause und den leeren Plastikmüll wegen des Pfands wieder zurück. Was für eine blödsinnige Umweltsünde.

Die teuersten Mineralwasser der Welt
Mineralwasser „MaHaLo“ Quelle: Pressebild
Mineralwasser „Cape Karoo“ Quelle: Pressebild
Mineralwasser “10 Thousand BC” Quelle: Pressebild
Mineralwasser „Cloud Juice“ Quelle: Pressebild
Mineralwasser „Lauquen“ Quelle: Pressebild
Mineralwasser „Veen" Quelle: Pressebild
Mineralwasser „Cape Grim“ Quelle: Pressebild

Viele New Yorker Restaurants bieten heute statt französischem Wasser aus Plastikflaschen nur noch Leitungswasser an. Schon vor Jahren schrieb das US-Magazin "Time": "Bottled water is now unforgivably Nineties."

Nun könnte man einwenden: Leitungswasser hat keine Kohlensäure. Doch ausgerechnet bei stillen Wässern steigen die Marktanteile in Deutschland besonders rasant. 2013 im Vergleich zu 2012 um 8,4 Prozent. Mittlerweile haben Wässer ohne Pitzel einen Anteil am Mineralwassermarkt von 12,6 Prozent. Ist das nicht albern?

In anderen Ländern sprudelt Öl aus dem verdorrten Wüstensand, bei uns sprudelt der wichtigste Rohstoff überhaupt. Aus klirrend klaren Quellen inmitten grüner Wiesen. Wir könnten uns so glücklich schätzen. Und doch ist das, was wir billig und im Überfluss haben, nicht gut genug, um sich zu freuen. Darum muss dann wieder teures Brimborium gemacht werden: Es gibt Spitzen-Restaurants, die mehr als fünfzig Sorten Wasser auf der Getränkekarte haben. Wasser-Sommeliers erzählen großspurig, wie das Verhältnis von Kalzium und Magnesium im Mineralwasser sein sollte, damit es zu einem Steak passt. Warum?

Weil man dann mit etwas, was pro Liter weniger als 0,003 Euro kostet, noch richtig Kohle machen kann. Sechzig zertifizierte Wasser-Sommeliers gibt es derzeit in Deutschland. Laut Welthungerhilfe sterben täglich weltweit Tausende Kinder, weil sie schmutziges Wasser getrunken haben.

Als Sabines Tränen getrocknet waren, knabberten wir rohe Spargelstangen mit Himbeeren, pulten mit den Fingern Lachs vom goldenen Pappdeckel, tranken Evian aus Plastikflaschen und warteten auf den Schlüsseldienst. Der hatte zwar schon gesagt, dass der Spaß rund 300 Euro kosten würde. Aber eilig hatte er es offenbar nicht.

"Himmel, wirkt Spargel entwässernd oder was?" Holger schnappte sich eine leere Flasche und verpieselte sich grinsend ins Treppenhaus. Das war nur einer von Holgers Scherzen. Aber im Grunde hatte er damit den einzigen echten Vorteil von stillem Wasser in Plastikflaschen ausgemacht.

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