Im Advent sagt man sich ja auch nicht: "Ich möchte meinen Lieben zu Weihnachten dieses Jahr so gerne eine ganz besondere Freude machen, die sie so schnell nicht vergessen werden". Sondern: "Verdammt, morgen ist Heiligabend und ich brauch noch voll viele Geschenke".
Weihnachtsgeschenke sind für einen Großteil der Gesellschaft deshalb so etwas wie der Lohnsteuerjahresausgleich. Und wenn das alles schon nicht mehr ist, als eine immer wiederkehrende Pflichtübung, dann sollten wir auf den letzten Metern nicht vor lauter geplanter Romantik und Kerzenschein einknicken.
Wenn der Beschenkte mir dem Weihnachtsgeschenk nichts anfangen kann, dann sollte der Flop souverän rückabgewickelt werden. Ein Mindestmaß an Vernunft ist nach all dem emotionalen Stress jetzt endlich fällig. In erfolgreichen Industrienationen bekennen sich Menschen zu ihren Fehlern und lernen daraus. Deshalb gilt:
1. Wer sich selbst zu fein ist, Bargeld oder Gutscheine zu verschenken: Kassenbon aufheben.
2. Offensiv kommunizieren: "Wenn du mein Geschenk scheiße findest, geht unsere Freundschaft trotzdem irgendwie weiter. Mir ist halt nix Besseres eingefallen."
3. Haben Sie immer eine Geschichte parat, in der Ihnen selber mal etwas geschenkt wurde, das ein Vollversenker war. Das ebnet die Bahn für ehrliche Bekenntnisse.
Hier meine kleine Geschichte: Eine meiner Tanten schickte mir in den 90er-Jahren zu Weihnachten einst eine CD per Post. Weil meine Eltern meine Tante gut kannten, öffneten sie das Päckchen vorab, sozusagen zur Sicherheitskontrolle, denn die Bescherung sollte ja für alle schön werden. Und siehe da: eine CD mit gregorianischem Gesang. Für einen Teenager. Meine Eltern schluckten trocken, wägten kurz ab und entschieden sich dann, mir die CD schon mittags zu überreichen, fernab aller Feierlichkeiten und mit dem Hinweis, ich solle es mit Humor nehmen. Das tat ich. Wir lachten viel.
Was ich besser nicht erwähne: Am Tag drauf war großes Familientreffen. Ich begrüßte meine Tante, bedankte mich aber nicht für die CD, um größere Heuchel-Orgien von vornherein zu vermeiden. Deshalb nahm meine Tante kurz darauf meinen Vater beiseite: "Marcus hat sich gar nicht bedankt. Hat ihm die CD nicht gefallen?" Daraufhin sagte mein Vater: "Nein."
Dann reiste meine Tante mit ihrer ganzen Familie vorzeitig ab.
Wahrheit an Weihnachten tut eben ganz schön weh. Wir müssen es erst lernen. Aber wenn wir im ersten Schritt zumindest zu uns selbst ehrlich wären, dann würde es wohl eine neue Massenbewegung geben: die GEFEWOG - Gestresste Europäer für ein Weihnachtsfest ohne Geschenke.
Kein Einkaufsstress mehr davor, kein Heuchelstress mehr währenddessen, kein Umtauschstress mehr danach. Stattdessen schenken, wenn es passt, was passt, für wen man will, nicht auf Knopfdruck, sondern wenn es von Herzen kommt. Ganzjährig. Überraschung garantiert. Ha! Das Abendland stünde Kopf.
Meine Familie fängt jetzt langsam mit dem neuen System an. In zehn bis zwanzig Jahren haben wir wahrscheinlich voll umgestellt.