Sprache funktioniert erst dann richtig gut, wenn Absender und Empfänger den Sprachcode gleich interpretieren. Bei den allermeisten Formulierungen funktioniert das. Sagt jemand: „Lass uns mit dem Bus fahren“, wird das Gegenüber sich meist keinen Hubschrauber vorstellen.
Ungleich schwieriger wird es, wenn sich die eine Seite in ihrer Not Begriffe ausdenken muss, weil es für das, was sie ausdrücken will, bislang keine Wörter gibt. Steht man an der Haltestelle und es kommt ein Bus mit der Beschriftung „DIENSTFAHRT“, dann würde zunächst jeder verständige Fahrgast denken: Super, der Bus ist im Dienst, da steige ich jetzt ein.
Erst, wenn ein solcher Bus einfach an der Haltestelle vorbeirauscht, lernt man: Der Absender des Codes meint mit „Dienstfahrt“, dass der Bus eben gerade nicht im Dienst ist. Bescheuert! Nach dieser Definition wäre „Dienstbeginn“ der Feierabend. Auch die „Betriebsfahrt“ bedeutet, dass die Fahrt gerade außerhalb des geplanten Betriebs stattfindet. Wer denkt sich so etwas aus?
Am schlimmsten ist es, wenn eine Seite sich einen Sprachcode ausdenkt, der sich an einen bereits vereinbarten Sprachcode heranpirscht, um den Empfänger zu verwirren. Diese Kunst beherrschen Lebensmittelhersteller auf das Feinste. Und sie werden von den Gesetzgebern in Europa und Deutschland dabei noch auf frechste Weise unterstützt.
Berühmtestes Beispiel war sicherlich die Kalbsleberwurst. Sie war sprachlich betrachtet staatlich gutgeheißene Verbrauchertäuschung. Wirklich, die Kalbsleberwurst war eine gnadenlose Frechheit! Denn in Kalbsleberwurst musste bis zu Beginn des Jahrzehnts keine Kalbsleber enthalten sein. Es reichte Kalbfleisch und Schweineleber.
Dass das überhaupt jemals erlaubt war, ist irre in einem Land, in dem Rahma schon vor vielen Jahrzehnten zu Rama werden musste, weil Rahm eben von der Butter stammt und in Margarine nicht drin ist. Und trotzdem klingt Rama rahmig. So ein h verpufft ja schnell. Was sagen Sie: Würde ein Kuchen mit dem Namen Zitrohnella nach Zitrone schmecken oder ist er ganz ohne Zitrone?
Naja, ganz aktuell ist aber noch das „Wiener Schnitzel“. Denn so ziemlich genau, seitdem die Kalbsleberwurst Kalbsleber enthalten muss, hat das Verwaltungsgericht in Arnsberg das Wiener Schnitzel entweiht. 2009 war das. Das Gericht hat den Verbrauchern damit sogar einen Gefallen getan. Und das kam so:
Das Wiener Schnitzel ist laut deutscher und österreichischer Lebensmittelrichtlinien eine flache, panierte und in Fett gebackene Scheibe Kalbfleisch. Aber Schweinefleisch ist billiger. Und weil zumindest in Deutschland gilt: Billiges Fleisch ist besser, kann man ein paniertes Schnitzel im Restaurant auch vom Schwein bestellen. Aber das ist ja dann kein Wiener Schnitzel. Also haben die cleveren Gastronomen die Bezeichnung „Schnitzel Wiener Art“ in Umlauf gemogelt. Und kommen damit bislang durch (obwohl sie ihr Rezept ja auch „paniertes Schweineschnitzel“ nennen könnten).
Als wenn etwas, das nach einer bestimmten Art zubereitet ist, ganz anders sein darf, als das Original.
Ein Wiener Schnitzel besteht aus Kalbfleisch und Panade. Tauscht man Kalb gegen Schwein, dann ist es eben nicht mehr auf Wiener Art zubereitet. Denn zum Zubereiten gehört ja dem landläufigen Sprachgebrauch ja nicht nur das Schwenken in Panade und heißem Fett. Zum Zubereiten gehört auch, dass man die richtigen Zutaten verwendet.
Eine mit Teewurst bestrichene Scheibe Vollkornbrot ist eben auch kein auf bestimmte Art zubereitetes Marmeladentoast. Es ist etwas ganz anderes, auch wenn die Zubereitungsweisen sich sehr ähneln: Man streicht eben. Die Auswahl der Zutaten aber macht den Unterschied aus.