Wer sich vor einem Jahr das Fußball-WM-Endspiel am 13. Juli im Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro mit bester Sicht gönnen wollte, war mit 730 Euro dabei. So viel verlangte der Weltfußballverband Fifa damals für einen Platz der besten Kategorie, als er die Tickets offiziell zum Kauf anbot.
Der gleiche Spaß kommt jetzt um ein Vielfaches teurer. Denn das Ticket-Online-Portal Viagogo im schweizerischen Genf macht eine neue Rechnung auf. Das Unternehmen verkauft Tickets für Fußballspiele und Popkonzerte weiter, deren Besitzer das Event nicht mehr besuchen können oder wollen. Die gleiche Eintrittskarte für das WM-Finale, die ursprünglich 730 Euro kostete, hat Viagogo nun für 22.000 Euro im Angebot. Zehn Prozent muss der Verkäufer und 15 Prozent zusätzlich der Käufer berappen, plus Versandkosten und Mehrwertsteuer.
Ein Besuch im Stadion im Wert eines Mittelklasse-Autos – Viagogo sieht darin nur das Wirken eines „freien Marktes, wo der Preis den Marktwert reflektiert“. Für Kritiker hat sich der Weiterverkauf von Eintrittskarten, der inzwischen weit über den Fußball hinausreicht, jedoch längst zu einem „legalen Ticketschwarzmarkt“ entwickelt. Das sagt der Ticketing-Berater Hans-Wolfgang Trippe aus Bad Münstereifel bei Bonn.
Nach seinen Beobachtungen ziehen einzelne Anbieter zunehmend einen Zweitmarkt auf, auf dem sie tatsächlich oder angeblich bereits verkaufte Tickets ein weiteres Mal anbieten. So werde beispielsweise das offizielle Angebot von vornherein verknappt, um die abgezweigten Eintrittskarten dann in einer zweiten Runde teurer zu verkaufen. Auf diese Weise könnten zum Beispiel Veranstalter Mondpreise erzielen, die sie sich offen nicht zu verlangen trauten.
Zwielichtige Geschäfte
Der Wiederverkauf von Tickets zu exorbitanten Preisen war früher ein typisches Geschäft im Zwielicht. Verruchte Gestalten bieten mitunter noch heute Tickets in Spelunken und dunklen Gassen feil, um sie zu Horrorpreisen loszuschlagen. Gerade erst hob die Polizei in Brasilien einen WM-Tickethändler-Ring aus. Doch das Internet änderte das Geschäft grundsätzlich. Vor allem Pionier Viagogo hat es mit seinem Auftritt 2007 in Deutschland professionalisiert. Dazu garantiert das Unternehmen dem Verkäufer die Zahlung und dem Käufer die Echtheit der Tickets sowie die pünktliche Lieferung. Neben Viagogo sind heute Internet-Plattformen wie Ebay, Seatwave, Fansale und Ticketbande im Geschäft.
Der Weiterverkauf von Tickets zu viel höheren Preisen ist nach dem Wettbewerbsrecht grundsätzlich nicht verboten. Zwar können Veranstalter in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) einen Weiterverkauf zu gewerblichen und kommerziellen Zwecken oder zu höheren Preisen als dem Originalpreis verbieten. Die AGBs gelten jedoch nur für den Erstkäufer, der sein Ticket wieder loswerden will. Kauft dies dann jemand, gelten die AGBs für den Zweitkäufer nicht. „Hat der Zweitmarktanbieter seine Karten von Privatpersonen gekauft, ist der Handel damit erlaubt“, sagt Sylle Schreyer-Bestmann, Anwältin und E-Commerce-Expertin der Sozietät CMS Hasche Sigle in Berlin.
Wer von den Wucherpreisen noch profitiert
Hinter dem 2006 in London gegründeten Viagogo stehen illustre Investoren wie das Tennistraumpaar Steffi Graf und Andre Agassi, Bernard Arnault, Chef des französischen Luxuskonzerns LVMH, und der Münchner Sportrechtehändler Herbert Kloiber. Offiziell sieht sich das Portal, das in mehr als 50 Ländern mit Web-Sites präsent ist und von London aus gelenkt wird, als reiner Vermittler zwischen denjenigen, die ihr Ticket nicht mehr selbst nutzen, und allen anderen, die gern noch eines hätten. „Wir sind ein Marktplatz für den Verkauf von Eintrittskarten. Es sind die Verkäufer, die Tickets einstellen und einen Preis festlegen“, lässt das Unternehmen erklären.
Direkte Einflussnahme
An dieser Darstellung gibt es jedoch immer mehr Zweifel. So wirft Experte Trippe den Schweizern vor, die Preise aktiv nach oben zu treiben. „Wer nach deren Geschmack einen zu niedrigen Ticketpreis einstellen will, den korrigieren sie direkt bei der Eingabe, indem sie einen höheren Preis vorschlagen“, hat Trippe von vielen Nutzern erfahren. Viagogo wollte dazu bis Redaktionsschluss nicht Stellung nehmen.
Der zweite Vorwurf gegen Zweithändler zielt auf die große Zahl der Tickets, die sie inzwischen anbieten. Kritiker bezweifeln, dass solche Mengen allein durch Privatpersonen zustande kommen, die ihre Tickets nicht selber nutzen. Branchenkenner vermuten, dass es Zweitverkäufern gelingt, sich heimlich oder indirekt mit Karten vom Veranstalter einzudecken. „Ich beobachte immer wieder, dass zum Vorverkaufsstart einer Band in einzelnen Städten auf einen Schlag mehrere Hundert Tickets verkauft werden“, sagt der Berliner Impresario Berthold Seliger. „Sodann läuft der Vorverkauf in den darauf folgenden Wochen auf einem normalen, niedrigeren Niveau weiter.“
Im Klartext: Jemand kauft ein Kontingent an Karten, einzig um sie dann über den Zweitmarkt teurer weiterzukaufen. Die Berliner Anwältin Schreyer-Bestmann, die geschädigte Konzertveranstalter vertritt, ist sich sicher: „Die wenden alle Tricks an, benutzen Strohmänner, Fantasienamen und falsche E-Mail-Adressen, um größere Mengen an Tickets zu bekommen.“
Mit Künstlern und Veranstaltern unter einer Decke
Kenner der Veranstaltungsszene gehen mittlerweile sogar davon aus, dass hinter dem angeblichen Weiterverkauf von Tickets manchmal sogar ein gemeinsamer Plan von Künstlern, Veranstaltern und Ticketverkäufern steht. Der dient dazu, die Zahlungsbereitschaft des Publikums zu testen und es zugunsten der Anbieter maximal abzuschöpfen. „Den Profit teilen sich die Beteiligten“, sagt Scumeck Sabottka, Chef der Berliner MCT Agentur und langjähriger Tourorganisator unter anderem der deutschen Hardrockgruppe Rammstein sowie der legendären Düsseldorfer Elektronik-Band Kraftwerk.
Sabottka beschreibt das Geschäftsmodell anderer Anbieter so: „Wenn ich als Veranstalter 10.500 Tickets für ein bestimmtes Konzert verkaufen kann, erkläre ich die Veranstaltung nach 7500 Karten für ausverkauft. Die verbleibenden 3000 Karten gebe ich einem Zweitverwerter. Somit kassiere ich noch einmal über die Wucherpreise des Wiederverkäufers tüchtig mit. Der Kunde bekommt das gar nicht mit.“ Bei größeren Hallen- und Stadiontourneen sei das schon gängige Praxis. Der Berliner schätzt den Anteil des Wiederverkaufsmarktes am gesamten Branchenumsatz inzwischen auf bis zu 20 Prozent.
Abwehrmaßnahmen gegen Viagogo
Eine Möglichkeit, den Grau- und Schwarzhandel auszutrocknen, sehen Branchenexperten in personalisierten Eintrittskarten. Die gibt es etwa beim Heavy-Metal-Festival im schleswig-holsteinischen Wacken. Innerhalb von 43 Stunden waren 75.000 Karten für das Ende Juli über die Bühne gehende Open-Air-Event vergriffen: „Wir sind das unserer treuen Community einfach schuldig, die das Abzocken der Schwarzhändler leid sind“, sagt Wacken-Sprecherin Anna Lorenz.
Den wachsenden Unmut der Fußballfans über die Horrorpreise im Zweitticketmarkt versucht die Deutsche Fußball Liga (DFL) zu besänftigen, indem sie eine Ticketbörse einrichtet. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Denn wie die Vereine mit dem Zweitverkauf von Tickets verfahren und ob sie damit zusätzliche Einnahmen generieren dürfen, da will sich die DFL nicht einmischen. „Das Ticketing ist Sache der Clubs“, sagt DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig. Ein Verbot, mit Viagogo zu kooperieren, kommt für ihn nicht infrage. „Wir sind in einem freien Wettbewerb und können einzelne Unternehmen nicht diskriminieren.“
Umso mehr sehen sich die Clubs offenbar gezwungen, ihre Anhänger nicht zu verprellen. Schalke 04 kündigte den Vertrag mit Viagogo, der dem Club 1,2 Millionen Euro pro Jahr bringen sollte, wenn er Viagogo im Gegenzug 300 Tickets für jedes Heimspiel abtreten würde. An den viel höheren Preisen sollte Schalke beteiligt werden.
Vereine gegen Viagogo
Inzwischen trennten sich auch andere Vereine von Viagogo, darunter der Hamburger SV, der 85 Prozent des Ticketaufschlags hätte einstreichen können. Der Vertrag mit Bayern München ist gerade zum Monatsende ausgelaufen. Lediglich der FC Augsburg steht noch zu Viagogo.
Grundsätzlich lassen die Vereine Einnahmequellen ungenutzt, wenn sie Preise mit Rücksicht auf die große Masse der Fans so volkstümlich niedrig festsetzen, dass die Nachfrage weit über dem Platzangebot liegt. Immerhin sind betuchte Fans bereit, für Top-Spiele Unsummen zu bezahlen. Deshalb wäre es „klug“, wenn die Vereine sich „kreative Preisdifferenzierungen“ einfallen ließen, sagt Philipp Biermann, Partner der Bonner Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners. „Das würde dem Schwarzmarkt die Luft abschnüren, ohne preissensible Fans zu verprellen.“